Es folgen die Beiträge dieser Mahnwache zum Nachlesen.
Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer 51. Mahnwache gegen den Krieg. Vielen Dank allen, die gekommen sind.
Auch heute stehen wir wieder im Kreis, versammelt um dieses Transparent mit der Aufschrift: „Mahnwache gegen den Krieg“. Schon einige Male wurden wir von Teilnehmern darauf angesprochen, warum wir immer noch diese Formulierung wählen. Besser wäre: „Mahnwache für den Frieden“. Richtig – es wäre uns allen viel lieber, wir könnten uns endlich über den Frieden Gedanken machen. Und: Frieden ist ja viel mehr als die Abwesenheit von Krieg. Aber leider tobt der Krieg in der Ukraine und auch in anderen Ländern nach wie vor in unverminderter Härte. Daher scheint es uns immer noch das Allerwichtigste, auf ein Ende des Krieges zu drängen, laut hörbar und sichtbar „Nein“ zu sagen zu jedem Krieg und sich gegen den Krieg zu engagieren.
Letzten Freitag fand in Stetten ein Vortrag der Journalistin und ehemaligen ARD Russland-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz zum Krieg in der Ukraine statt. Wer wie ich nicht dort war, konnte in den Schorndorfer Nachrichten eine einigermaßen objektive Zusammenfassung des Vortrags von Hans Pöschko nachlesen. Auch er widmete aber bereits einen langen Abschnitt den Vorwürfen, die von Kritikern gegen Frau Krone-Schmalz erhoben werden. Der sogenannte „Rundschlag“ von Peter Schwarz zum selben Thema ließ mich verstört und ärgerlich zurück. Ausgerechnet Peter Schwarz, der früher einmal der Friedensbewegung nahe stand, rechnet auf zynische Art mit der Referentin und ihren „Halb- und Viertelwahrheiten“ ab und empfiehlt am Ende drei Bücher, die aus seiner Sicht die „fundierte Wahrheit“ über diesen Krieg enthalten.
Schwarz kritisiert vor allem die Aussage, es gebe auf beiden Seiten Kriegsverbrechen. Er beschreibt dann in einem langen Absatz sehr detailliert und drastisch die russischen Kriegsverbrechen. Keine Frage, er hat damit leider Recht. Dennoch: er vermittelt den Eindruck, als gäbe es solche Verbrechen in einem Krieg zum ersten Mal. Ich frage: wie viele unschuldige Menschen mussten in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, im Irak, in Afghanistan, in Syrien usw. ein ähnlich brutales Schicksal erleiden? Für wie viele davon war der Westen verantwortlich? Wen interessiert das heute noch? Ich will bewusst keine Zahlen nennen. Ich will auch nicht ein Unrecht mit einem anderen Unrecht aufrechnen. Und ich will schon gar nicht den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands rechtfertigen. Das kann man nicht oft genug betonen. Ich will aber sagen: Es gibt nicht nur in jedem Krieg Kriegsverbrechen, sondern der Krieg selbst ist ein Verbrechen. Ein Verbrechen an den Menschen und an der Schöpfung. Krieg ist keine legitime Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, auch wenn man ihn wie die USA „Militärschlag“ oder wie Russland „militärische Spezialoperation“ nennt. Sondern Krieg ist eine Niederlage der Vernunft, der Wahrheit und der Moral.
Der katholische Theologe Paul Schobel sagt dies mit folgenden Worten: „Welcher Wahn überkommt Menschen, dass sie zu solchen Gräueltaten fähig sind? Es ist offensichtlich der Krieg, der die Menschen enthemmt. Wir erleben es in diesen Tagen schon wieder. Der Krieg ist der eigentliche Verbrecher gegen die Menschlichkeit, „Kriegsverbrechen“ sind seine logische Folge. Wem man das Töten befiehlt – „Befehl ist Befehl!“ – der sieht im Töten kein Verbrechen mehr. Dann wundert es nicht, dass viele Kämpfer auf allen Seiten wahllos foltern, vergewaltigen und töten. Das geht auch ohne Befehl. Der Krieg ist eine von Lügen gepeitschte Furie und treibt Menschen in einen kollektiven Wahn. Wer Kriegsverbrechen verhindern will, der muss dem Krieg das schmutzige Handwerk legen.“
Kriege werden vorbereitet und befeuert mit Waffen. Mit immer teureren, präziseren und zerstörerischeren Waffen. Zur Zeit findet weltweit eine gigantische Aufrüstungsspirale statt, die unvorstellbare Summen an Geld verschlingt. Oder anders ausgedrückt, die der Rüstungsindustrie gigantische Gewinne verschafft. Dass das irgendwie nicht gut sein kann, leuchtet eigentlich jedem ein. Daher hat der Redakteur Christoph Reisinger in den Schorndorfer Nachrichten die passende Rechtfertigung. Er schrieb letzte Woche in seinem Kommentar zu den steigenden Rüstungsausgaben: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“. So einfach kann man die Welt erklären.
Diese Woche war in der Zeitung zu lesen, dass die russische Luftwaffe wieder verstärkt Angriffe auf ukrainische Städte fliegt und dabei viele zivile Opfer verursacht und die Infrastruktur zerstört. Das ist entsetzlich. Außerdem war zu lesen, dass die sogenannte ukrainische Frühjahrsoffensive kurz bevorstehe. Überschrift: “Ukrainer hoffen, Russen bangen vor dem Sturm“. Auf ukrainischer Seite stehen „etwa 50 000 frische, oft in Nato-Staaten ausgebildete Soldaten für den Sturm bereit“. Man glaubt fest an den Sieg. Experten erwarten für die kommenden Monate „ein hochdynamisches Geschehen“. Das bedeutet übersetzt: Weitere Tausende von Toten und Verletzten, weitere zerstörte Städte, die Gefahr eines nuklearen Unfalls im Atomkraftwerk Saporischschja, die Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges. Solche Meldungen machen mir Angst.
Gibt es Hoffnung, dass die diplomatische Initiative des chinesischen Präsidenten das Schlimmste verhindern könnte? Niemand weiß das. Seit dem Telefonat zwischen dem chinesischen und dem ukrainischen Präsidenten war in der Öffentlichkeit nichts mehr darüber zu hören. Sicher, die chinesische Politik ist in vieler Hinsicht alles andere als gut zu heißen. Dennoch sollte jede Initiative unterstützt werden, die zu einem Waffenstillstand und zur Aufnahme von Verhandlungen führen könnte.
Zum Schluss möchte ich heute nochmals an die am 15. März verstorbene Antje Vollmer erinnern. Sie war ab 1983 Mitglied der ersten Parlamentsfraktion der Grünen. Von 1994 bis 2002 war sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. In einem berührendes Essay veröffentlichte sie kurz vor ihrem Tod in der „Berliner Zeitung“ ihre Sicht auf die letzten 30 Jahre der europäischen Geschichte und auf den Ukrainekrieg. Ich lese daraus zwei Absätze:
„Meine ganz persönliche Niederlage wird mich die letzten Tage begleiten. Gerade die Grünen, meine Partei, hatte einmal alle Schlüssel in der Hand zu einer wirklich neuen Ordnung einer gerechteren Welt. Sie war durch glückliche Umstände dieser Botschaft viel näher als alle anderen Parteien. Wir hatten einen echten Schatz zu hüten: Wir waren nicht eingebunden in die machtpolitische Blocklogik des Kalten Krieges. Wir waren per se Dissidenten. Wir waren gleichermaßen gegen die Aufrüstung in Ost wie West, wir sahen die Gefährdung des Planeten durch ungebremstes Wirtschaftswachstum und Konsumismus. Wer die Welt retten wollte, musste ein festes Bündnis zwischen Friedens- und Umweltbewegung anstreben, das war eine klare historische Notwendigkeit, die wir lebten. Wir hatten dieses Zukunftsbündnis greifbar in den Händen. Was hat die heutigen Grünen verführt, all das aufzugeben für das bloße Ziel, mitzuspielen beim großen geopolitischen Machtpoker, und dabei ihre wertvollsten Wurzeln als lautstarke Antipazifisten verächtlich zu machen?
Ich erinnere mich an meine großen Vorbilder: Die härtesten Bewährungsproben hatten die großen Repräsentanten gewaltfreier Strategien immer in den eigenen Reihen zu bestehen. Gandhi hat mit zwei Hungerstreiks versucht, den Rückfall der Hindus und Moslems in die nationalen Chauvinismen zu stoppen, Nelson Mandela hatte äußerste Mühe, die Gewaltbereitschaft seiner jungen Mitstreiter zu brechen, Martin Luther King musste sich von den Black Panthers als zahnloser Onkel Tom verhöhnen lassen. Ihnen wurde nichts geschenkt. Und das gilt auch heute für uns letzte Pazifisten. Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existentieller Ängste. Heute aber gilt: Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planeten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“
Soweit Antje Vollmer.
Der Priester und Friedensaktivist Max Josef Metzger, der 1944 zum Tode verurteilt wurde, verkündete schon 1921 in einer Rede: „Alle Völker haben nur einen Feind: Es ist der Krieg“.
Daher treffen wir uns hier weiter zur „Mahnwache gegen den Krieg“.
Uwe:
Wir laden Sie nun wieder dazu ein, 5 Minuten mit uns zu schweigen und all derer gedenken, die durch kriegerische Auseinandersetzungen ermordet, verletzt, ihrer Heimstatt beraubt wurden, oder sich auf der Flucht vor Krieg und Elend befinden.
Wir gedenken auch der Natur und unserer Lebensgrundlage, gegen die weltweit ein permanenter Krieg geführt wird, und die erbarmungslos zerstört wird.
Wir gedenken auch all der Menschen, die sich aktiv gegen den Krieg oder gegen die Zerstörung unserer Mitwelt einsetzen.
Ich lese nun ein Text von Bertha Suttner vor:
„Rache und immer wieder Rache!
Keinem vernünftigen Menschen würde es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen.
Nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden.
Vielleicht ist eine weltumfassende Schwesterlichkeit notwendig,
ehe eine brüderliche Verständigung
der gesamten Menschheit möglich wird.“
Zum Schluss unserer heutigen Mahnwache teile ich Ihnen noch einige Informationen über Veranstaltungen und Aktionen, die in der nächsten Woche stattfinden, mit.
- Am Montag, 8.Mai findet anlässlich des Jahrestages der Befreiung Deutschlands vom Nazi-Terror um 17 Uhr in Stuttgart am Mahnmal für die Opfer und Gegner des Faschismus eine Kundgebung statt.
- Am Donnerstag, 11. Mai referiert in der Manufaktur um 19.30h Mathias Quent
- zu dem Thema: „Klimarassismus – oder der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende.“
- Am Freitag, 19. Mai ist um 12 h eine Kundgebung vor der japanischen Botschaft in Stuttgart, in der Nähe des Hauptbahnhofs anlässlich in Hiroshima stattfindenden Gipfeltreffens der G7–Staaten. Das Motto der Veranstaltung: „Kein Einsatz von Atomwaffen, Atomwaffen verbieten, den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen“.
- Unsere nächste Mahnwache ist am kommenden Freitag, den 12.05. um 18.00 Uhr wieder hierauf dem Mittleren Marktplatz.