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Es folgen die Beiträge dieser Mahnwache zum Nachlesen:
Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer heutigen Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Vielen Dank allen, die gekommen sind. Besonders danken möchte ich Eberhard Fliegenschmidt, der heute einen Redebeitrag halten wird. Ich gebe das Mikrofon gleich weiter.
Eberhard:
Die Mehrheit der Deutschen folgt der vielgepriesenen Kriegslogik im Ukrainekrieg und ist mit weiteren Lieferungen von verschiedenartigen Kriegsgeräten einverstanden. Das aber bedeutet, dass das Verletzen und Töten von Menschen, von Soldaten und Zivilisten und das Zerstören von Gebäuden, von Infrastruktur, von Kultur und Natur tagtäglich weitergeht.
Haben die Menschen, die so denken und in ihrem sicheren und warmen Nest sitzen, überhaupt eine Ahnung, was Krieg wirklich bedeutet – auch für die Kinder?
Als Achtjähriger habe ich 1945 auf der Flucht den Krieg erlebt und möchte jetzt einige wenige mir noch gebliebene Erinnerungsszenen schildern.
Ich bin auf dem Bauernhof meiner Großeltern in Niederschlesien aufgewachsen. Als im März 1945 die russische Front immer näher rückte, beschlossen meine Großeltern zu flüchten. Mit zwei Planwagengespannen setzten wir uns in Richtung Westen in Bewegung: Dabei waren meine Großeltern, meine Mutter mit uns drei Kindern (ich 8 Jahre, meine beiden Schwestern 6 Jahre und 12 Monate), meine zwei Tanten und drei französische Kriegsgefangene. Mein Vater war damals schon sechs Jahre an der Front.
Wir waren noch nicht weit vom Hof entfernt, als ein Flugzeug über uns kreiste. Die Erwachsenen schrien: „In den Straßengraben!“ Dieses Kommando hörten wir auf der Flucht immer wieder! Eine andere Deckung gab es meistens nicht. Der Pilot musste schnell begriffen haben, dass da kein Militärkonvoi unterwegs war, sondern harmlose Flüchtlinge. Er drehte ab, und wir konnten unsere Flucht fortsetzen.
Am nächsten Morgen formierte sich ein größerer Flüchtlingstreck. An die Route, auf der wir geflüchtet waren, erinnere ich mich gar nicht. Aber es sind heute noch Bilder in mir, von den vielen toten Soldaten und Zivilisten, die am Wegesrand herumlagen. Doch immer wieder versuchten uns die Erwachsenen vor diesem Anblick zu schützen, indem sie uns hinter die Wagen zogen. In Erinnerung sind mir auch noch die Nächte, in denen die Russen ihre
„Stalinorgel“ einsetzten. Das waren Mehrfach-Raketenwerfer, die obwohl sie weit entfernt waren, furchtbare angsterregende Geräusche verursachten, so dass wir die Nähe der Erwachsenen suchten.
Die Gefühle, die damals meine Kinderseele erschütterten, kann ich auch heute noch nicht in Worte fassen. Ich kann nur erahnen, was alles sich in meinem Innern angesammelt hat. Aber durch das kluge Verhalten der Erwachsenen gab es manchmal Momente, in denen gegen Chaos und Schrecken eine vorübergehende Geborgenheit für uns Kinder entstand. Sie war zwar fragil, doch sie ließ uns erschöpft, aber sanft am Abend im Heu oder Stroh einschlafen.
Ein Treck ist eigentlich eine „träge Masse“. Bis alle am Abend untergebracht und am Morgen wieder abmarschbereit waren, dauerte es immer sehr lange. Wieder hatten wir auf einem Gutshof übernachtet, als es plötzlich hieß: „Die Russen kommen“! Zuerst waren die dort stationierten Soldaten verschwunden. Bis der letzte Wagen den Hof verlassen hatte, flogen schon die ersten Kugeln den Flüchtlingen“ um die Ohren“. Wir erreichten im Galopp das nächste Dorf. Am Dorfeingang stand ein großes Haus. Eine Frau und ein Mann schauten aus dem Fenster des Hauses dem Treiben auf der Straße zu. Plötzlich gab es einen dumpfen Schlag, und das ganze Haus war nur noch Schutt und Asche. Eine Granate der Russen hatte das Haus getroffen. Wir hatten sehr großes Glück, dass uns allen nichts passiert war.
Die Flucht verlief nicht geradlinig. Immer wieder mussten wir vor der Front ausweichen, manchmal befanden wir uns auch zwischen den Fronten. Wir waren den ganzen Tag den Kämpfenden ausgewichen und kamen spätabends an einem großen Bauerngut an. Der Vollmond beleuchtete eine gespenstische Szene: An der Einfahrt stand ein ausgebrannter
Panzer, darauf lagen die verkohlten Soldaten der Panzerbesatzung. Schnell stellten wir fest, dass wir zwischen die Fronten geraten waren. Auf der einen Seite des Dorfes kämpften die Deutschen, auf der anderen Seite die Russen. Und alle schossen über uns hinweg. Wir waren so erschöpft, dass an ein Weiterziehen nicht zu denken war. Für uns Kinder war der warme Stall der beste Schlafplatz. Aber die Erwachsenen bangten bis zum Morgengrauen – dann hatte sich die Front verschoben, und wir konnten weiterziehen.
Weil die Flucht nur eine Richtung kannte, kam es zur Vereinigung mehrerer Trecks. Über 50 Gespanne bildeten dann einen neuen Treck, der noch schwerfälliger war. Ein solcher befand sich zwischen zwei Dörfern. Plötzlich erscholl der Ruf: „Die Russen kommen!“. Am nahegelegenen Waldrand tauchte eine Reiterabteilung auf, die in breiter Front auf uns zu kam. Eine furchtbare Angst ließ uns alle erstarren. Hatte man uns doch erzählt, welche „Unmenschen“ diese Russen waren. Und nun kamen diese verwegen Aussehenden auf ihren kleingewachsenen zähen Pferden auf uns zu. Panik breitete sich aus. Meine Schwester und ich versteckten uns im Planwagen, und wir wurden lange Zeit von den besorgten Erwachsenen gesucht. Als die russischen Soldaten am Treck ankamen, wollten sie nur zwei Dinge: Taschenuhren und große Gespannpferde und überließen uns ihre kleinen Reitpferde.
Wie der Spuk begonnen hatte, so schnell war er auch wieder vorbei. Ganz plötzlich waren alle wieder im Wald verschwunden. Zurück blieben verängstigte Menschen und ratlose Gespannführer.
Russische Flieger über unseren Trecks waren keine Seltenheit. Zunehmend versteckten sich kleine Militärabteilungen zwischen den Flüchtenden. Auf diese hatten es die Piloten abgesehen, wenn sie im Tiefflug über den Treck flogen, dann wendeten und in entgegengesetzter Richtung wieder zurückflogen. Dabei schossen sie mit ihrem eingebauten Maschinengewehr. Wir alle wussten, wie wir uns verhalten müssen, nämlich sofort in den Straßengraben flüchten. Wenn die Piloten mehrmals dieses Manöver wiederholt hatten,
drehten sie ab, und man hörte in der Ferne nur noch leises Brummen. Wir aber trauten uns lange nicht, den Straßengraben zu verlassen, wussten wir doch nicht, ob sie zurückkommen würden. Totenstille herrschte zunächst. Dann hörte man das Schreien der Verwundeten,
das Weinen der Familien, die Tote zu beklagen hatten, das Jammern der getroffenen Tiere und sah die zerschossenen Wagen!
Am 8. Mai 1945 kam die erlösende Nachricht: Der Krieg ist zu Ende! Wir waren überglücklich, dass alle ohne äußere sichtbare Schäden durch den Krieg gekommen waren. Ungefähr 45 Tage waren wir auf der Flucht, 30 Tage brauchten wir, um am 6. Juni 1945 wieder in unserer Schlesischen Heimat anzukommen. Auch dort trafen wir Tod und Verwüstung an.
Und wie geht es heute den Kindern in den Kriegsgebieten, die jahrelang dem Grauen, Tod und Elend ausgesetzt sind, wo auch die Eltern verzweifelt, verletzt oder gar schon tot sind?
Ganz sicher ist, dass alle Überlebenden niemals die inneren Kriegswunden vergessen können.
Doris:
Ganz herzlichen Dank an Eberhard Fliegenschmidt für diese sehr berührenden und persönlichen Worte.
Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen. Wir denken an die Opfer der Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, und an die Opfer der Kriege in anderen Ländern, die oft vergessen werden. An die Menschen, die im Krieg verletzt wurden an Leib und Seele. An alle, die ihr Leben verloren haben, seien es Soldaten oder Zivilisten. An alle, die ihre Heimat verlassen mussten und auf der Flucht sind. An die geschundene Natur, an die zerstörte Kultur. An alle, die sich gegen den Krieg einsetzen. Mögen die Politiker auf allen Seiten endlich zur Vernunft kommen und eine weitere Eskalation verhindern.
Doris:
Ich lese ein Gedicht von Bertolt Brecht:
An meine Landsleute
Ihr, die ihr überlebtet in gestorbenen Städten
Habt doch nun endlich mit euch selbst Erbarmen!
Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen
Als ob die alten nicht gelanget hätten:
Ich bitt euch, habet mit euch selbst Erbarmen!
Ihr Männer, greift zur Kelle, nicht zum Messer!
Ihr säßet unter Dächern schließlich jetzt
Hättet ihr auf das Messer nicht gesetzt
Und unter Dächern sitzt es sich doch besser.
Ich bitt euch, greift zur Kelle, nicht zum Messer!
Ihr Kinder, dass sie euch mit Krieg verschonen
Müsst ihr um Einsicht eure Eltern bitten.
Sagt laut, ihr wollt nicht in Ruinen wohnen
Und nicht das leiden, was sie selber litten:
Ihr Kinder, dass sie euch mit Krieg verschonen!
Ihr Mütter, da es euch anheimgegeben
Den Krieg zu dulden oder nicht zu dulden
Ich bitt euch, lasset eure Kinder leben!
Dass sie euch die Geburt und nicht den Tod dann schulden
Ihr Mütter, lasset eure Kinder leben!
Doris:
Jetzt wird uns Eva Hartmann noch kurz über den Stand der Kranich-Falt-Aktion für das kommende 80-Jährige Hiroshima-Gedenken berichten (…)
Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:
- in der Mitte liegt nochmals die „Zeitung gegen den Krieg“ zum Mitnehmen aus, sowie der „Berliner Appell“ gegen die neuen Mittelstreckenraketen zum Unterschreiben.
- morgen von 10.00 – 12.00 Uhr findet wieder unsere Friedensbanner-Aktion auf dem Wochenmarkt statt. Wegen der Kälte haben wir die Schichten jetzt auf eine halbe Stunde reduziert. Wer mitmachen möchte, kann sich nachher hier bei mir eintragen.
- Am Montag, 02.12. trifft sich die Ökumenische Friedensgruppe der Stadtkirchengemeinde um 18.00 Uhr im Martin-Luther-Haus. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.
- Am Dienstag, 17. 12. findet ab 18.30 Uhr vor der Lutherkirche in Fellbach eine Protestaktion gegen ein Militärkonzert statt, welches um 19.30 Uhr in der Kirche beginnt. In Stuttgart hatte sich erfreulicherweise keine Kirche dazu bereit erklärt. Es werden unter anderen Paul Russmann von Ohne Rüstung Leben, Luca Heyer von der Informationsstelle Militarisierung Tübingen sowie Ulla Damson von der DFG-VK Gruppe Stuttgart sprechen.
- Anfang November haben 36 Friedensorganisationen eine Kampagne gegen die Stationierung landgestützter US-Mittelstreckensysteme in Deutschland gestartet. Sie will gemeinsam mit dem „Berliner Appell“ im Hinblick auf die Bundestagswahlen aktiv werden. Genaueres werden wir noch mitteilen.
- Unsere nächste Mahnwache ist heute in einer Woche, am Freitag den 06.12. um 18.00 Uhr, wieder hier beim Mondscheinbrunnen.