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Uwe:
Guten Abend. Ich begrüße Sie, ich begrüße Euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf, zu unserer heutigen, 154. Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden.
Bei unseren letzten Mahnwachen gegen den Krieg und für den Frieden bezogen sich unsere Redebeiträge größtenteils auf die vielen Kriege und Konflikte, unter denen Millionen Menschen weltweit zu leiden haben. Aus dem Blick geraten ist dabei das, was sich eher im Hintergrund der Kriege und Konflikte abspielt: die atomare Aufrüstung, die von vielen Staaten momentan betrieben wird. Dass der US – amerikanische Präsident Trump angekündigt hat, dass er wieder Atomwaffen testen lassen möchte, hat für wenige Tage für Schlagzeilen in den Medien gesorgt, um nun wieder mehr oder weniger in Vergessenheit zu geraten.
Auf der Internetplattform „Außen- und Sicherheitspolitik“ hat der ehemalige Fraktionsvorsitzende der SPD, Rolf Mützenich, am 27.10.25 einen Aufsatz unter der Überschrift: „Das neue nukleare Zeitalter – Atomwaffen erleben ein gefährliches Comeback“ veröffentlicht, aus dem ich nun einige mir wichtig erscheinende Gedanken vorlesen möchte. Ich zitiere:
„Der kürzlich in den Kinos und bei Netflix erschienen Thriller : A house of Dynamite greift auf eindringliche Weise ein Thema auf, das nach dem Ende des Kalten Krieges lange Zeit als überwunden galt: die Gefahr eines atomaren Armageddons. In dem Film von Kathryn Bigelow entdeckt das US – Militär plötzlich eine Interkontinentalrakete über dem Pazifik, die innerhalb weniger Minuten das US- Festland erreichen könnte. Aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt der Film, wie politische und militärische Entscheidungsträger versuchen, auf die Krise zu reagieren. Dabei wird deutlich, wie verwundbar wir trotz hochentwickelter Abwehrsysteme und strategischer Planspiele sind und wie rasch ein einzelner Angriff mit Atomwaffen binnen weniger Minuten in eine globale Katastrophe eskalieren könnte. Der Film ist kein ferner Gedanke, sondern spiegelt ein zunehmend realistisches Szenario unserer Gegenwart wider. ( …. )
Wir erleben momentan, wie atomare Drohungen wieder offen ausgesprochen werden, wie taktische Nuklearschläge in den strategischen Überlegungen der Großmächte wieder offen als ernsthafte militärische Option diskutiert werden, wie nukleare Arsenale modernisiert und neue Trägersysteme entwickelt werden. Die bittere Wahrheit ist: die Gefahr eines atomaren Konflikts ist heute wohl so groß wie noch nie zuvor. Wir stehen an der Schwelle eines neuen nuklearen Zeitalters, das noch komplexer und unsicherer ist, als das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens während des Kalten Krieges. ( … )
Die Welt bewegt sich derzeit auf ein neues tri – oder gar multipolares nukleares Zeitalter zu. Gegenwärtig verfügen neun Staaten über Atomwaffen, darunter auch fünf ständige Mitglieder des UN – Sicherheitsrates sowie Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea. Doch angesichts wachsender globaler Unsicherheiten und geopolitischer Spannungen erwägen immer mehr Länder, eigene nukleare Fähigkeiten zu entwickeln. Erst im September 2025 unterzeichneten Saudi Arabien und die Atommacht Pakistan ein neues Verteidigungsabkommen, das eine gegenseitige Beistandsklausel enthält. Der Pakt ist nicht nur ein Signal an potentielle regionale Rivalen, sondern verdeutlicht auch die sich wandelnde Machtordnung in Nahen Osten, in der die USA nicht mehr als zuverlässiger Sicherheitsgarant wahrgenommen werden. ( … )
Das schwindende Vertrauen in die US – amerikanischen Sicherheitsgarantien führt dazu, dass inzwischen nicht mehr nur Gegner des Westens, sondern selbst enge Verbündete der USA wie Japan und Südkorea im Indopazifik und auch europäische Staaten offen über eigene nukleare Kapazitäten nachdenken. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen warnte jüngst der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie – Organisationen (IAEO), Rafael Grossi, in einem Interview vor einer Welt mit 20 bis 25 Nuklearwaffenstaaten. Es ist allerdings höchst fraglich, ob eine multipolare Welt mit über 20 Atomwaffenstaaten tatsächlich zu größerer Sicherheit beitragen würde. Das Konzept der Abschreckung setzt eine gewisse Rationalität und Berechenbarkeit handelnder Akteure voraus. Doch je mehr Akteure über Atomwaffen verfügen, desto größer wird das Risiko von irrationalem Verhalten, von Fehleinschätzungen, Missverständnissen, technischen Unfällen und Eskalationsdynamik. Zugleich erschwert eine wachsende Zahl nuklearer Akteure die Schaffung verbindlicher Regeln für Abrüstung und Rüstungskontrolle erheblich.
Das bestehende System der Abrüstung und Rüstungskontrolle steht ohnehin am Rande des Zusammenbruchs. Sowohl Russland als auch die USA haben in den vergangenen Jahren den Mittelstrecken – Nuklearstreitkräfte – Vertrag INF, wie auch den Vertrag über den offenen Himmel aufgekündigt. Mit dem Auslaufen des NEW START – Vertrags im Februar 2026 droht schließlich der Verlust des letzten verbliebenen Rüstungskontrollabkommens zwischen den beiden größten Nuklearmächten. Zwar hat Putin kürzlich eine einjährige Verlängerung vorgeschlagen, doch ist weiterhin ungewiss, ob diese oder gar ein Nachfolgeabkommen tatsächlich zustande kommen.
Sollten Putin und Trump jedoch zu einer Verständigung über NEW START kommen, wären auch Deutschland und Europa gefragt, konkrete Vorschläge für den Erhalt der multilateralen Rüstungskontrolle und einer künftigen europäischen Sicherheitsordnung zu machen. So könnte man etwa die in Deutschland geplante Stationierung US – amerikanischer Mittelstreckenraketen im kommenden Jahr in ein Angebot zur Rüstungskontrolle einbetten, falls Moskau im Gegenzug seine landgestützten Atomraketen zurückzieht.
Gleichzeitig ist jedoch klar, dass substanzielle Fortschritte im Bereich der Abrüstung und der Rüstungskontrolle bis zum Ende des Krieges in der Ukraine nicht zu erwarten sind. Hinzu kommt, dass sich China bislang weigert, an Gesprächen über nukleare Rüstungskontrolle und Risikominimierung teilzunehmen. Peking betont, dass sein nukleares Arsenal nach wie vor wesentlich kleiner als das der USA und Russlands sei. Für Washington ist Chinas atomare Aufrüstung längst zu einer strategischen Priorität geworden. Damit wächst die Gefahr, dass die Welt in eine Phase eintritt, in der mehr als 20 Staaten über Atomwaffen verfügen, ohne dass verbindliche Rüstungskontrollverträge oder Abkommen zur Risikominimierung existieren.
Es ist höchste Zeit, die zum Stillstand gekommenen Bemühungen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle mit neuem Leben zu füllen. Im Fokus sollte dabei die Begrenzung der strategischen Nuklearwaffenarsenale und der Erhalt der noch existierenden Verträge stehen. Ebenso notwendig ist es, auch Peking und andere aufstrebende Nuklearmächte in eine neu zu schaffende internationale Rüstungsarchitektur einzubinden und die weitere Proliferation von Atomwaffen zu verhindern. Der Atomwaffensperrvertrag ist hierfür unentbehrlich. Die Überprüfungskonferenz im kommenden Jahr muss dazu beitragen, die Nichtverbreitung wieder zu stärken. Ein gemeinsames Schlussdokument wäre in der gegenwärtigen internationalen Lage ein wichtiges Signal. Zugleich bleibt die UN unverzichtbar für eine Nichtverbreitungspolitik und muss endlich finanziell, personell und strukturell so ausgestattet werden, dass sie ihre Aufgaben wirksam erfüllen kann. Dabei können wir auf Partner des globalen Südens zählen, die sich bereits lange schon für Abrüstung einsetzen und zukünftig die internationale Ordnung stärker mitgestalten wollen. Brasilien, Indonesien und Südafrika sind beispielsweise Mitglieder regionaler Verträge über atomwaffenfreie Zonen. Hier gilt es Rückhalt zu schaffen.
Darüber hinaus benötigen wir Maßnahmen zur Risikoreduzierung und Transparenz. Dazu gehören durchaus militärische Kontakte, die Ankündigung und Beobachtung von Manövern sowie gemeinsame Kommunikationskanäle zur Krisenprävention. Künftige Rüstungskontrollabkommen müssen zudem auch neue Risiken, die durch künstliche Intelligenz oder Hyperschallwaffen und im Cyber- und Weltraum bestehen, berücksichtigen.
In den vergangenen Jahrzehnten ist es der internationalen Gemeinschaft gelungen, die Gefahren eines nukleare Armageddons durch Kooperation und Vertrauensbildung bei der Abrüstung und Rüstungskontrolle zu mindern. Dies ist auch weiterhin möglich und notwendig. Voraussetzung dafür ist und bleibt allerdings der politische Wille der relevanten Akteure, an dem es in den vergangenen Jahren ganz offensichtlich gemangelt hat.“
Doris:
Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen. Wir denken an die Opfer der Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, und an die Opfer der Kriege in anderen Ländern, die oft vergessen werden. An die Menschen, die im Krieg verletzt wurden an Leib und Seele. An alle, die ihr Leben verloren haben, seien es Soldaten oder Zivilisten. An alle, die ihre Heimat verlassen mussten und auf der Flucht sind. An die geschundene Natur, an die zerstörte Kultur. An alle, die sich gegen den Krieg einsetzen. Mögen die Politiker auf allen Seiten endlich zur Vernunft kommen und eine weitere Eskalation verhindern.
Doris:
Ich lese einen Text von Helmut Gollwitzer:
Freiheit
Wir sind reicher und freier als wir meinen.
Wir können aus unseren Verhältnissen
und inmitten der Zwänge mehr machen,
als es von außen scheint.
Nicht mitmachen, was alle machen.
Dem Unterdrückungsmechanismus entgegen stehen.
An Bewegungen der Befreiung teilnehmen.
Mitmenschlich und politisch werden.
Freiheit, mitten im Zwang,
ist keine Utopie, keine Trostideologie,
ist täglich neue Möglichkeit.
Doris:
Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:
- Heute vor einer Woche hatte ich um eine kleine Spende gebeten für die Firma Schmidt, die uns seit 3 ½ Jahren kostenlos diese Lautsprecheranlage zur Verfügung stellt. Wer letztes Mal nicht da war oder kein Geld dabei hatte, kann nachher noch etwas in das Glas in der Mitte legen.
- Wer sich morgen an unserer Friedensbanner-Aktion beteiligen kann, möge sich bitte nachher bei mir melden.
- Im Rahmen der Ökumenischen Friedensdekade vom 09. bis 19. November 2025 finden in zahlreichen Kirchengemeinden Veranstaltungen statt. In der Schorndorfer Stadtkirche wird am Sonntag, den 16.11. beim Gottesdienst um 10.00 Uhr der Friedensaufruf verlesen, der beim Kirchentag in Hannover entstanden ist. Noch bis zum 18. November finden täglich um 19 Uhr in der Afrakirche in Urbach Friedensgebete statt.
- Am Montag, den 24. November, liest um 19 Uhr in der Glockenkelter Stetten Frau Helga Baumgarten aus ihrem Buch „Völkermord in Gaza“. Frau Baumgarten leitete 2004 – 2019 an der palästinensischen Universität im Westjordanland das Fachgebiet Demokratie und Menschenrechte. Sie lebt bis heute in Ost-Jerusalem und bietet fundierte Informationen aus erster Hand. Der Aufruf wird von zahlreichen Organisationen unterstützt.
- Unsere nächste Mahnwache ist heute in einer Woche, am Freitag, 21. November um 18.00 Uhr hier auf dem Marktplatz. Unser für heute geplantes Treffen nach der Mahnwache findet erst am 12.12. statt.
- Jetzt ist noch Zeit zum Austausch untereinander.
