Mahnwache vom 19.12.2025

Posted by

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Ernst:
Liebe Friedensfreund:innen,
die diplomatischen Aktivitäten zur Beendigung des Krieges in der Ukraine haben deutlich zugenommen. In der Hoffnung auf einen baldigen Waffenstillstand möchte ich jetzt Überlegungen vortragen, die relevant werden für die Zeit danach. Im Folgenden habe ich Auszüge aus einem Artikel in den NachDenkseiten vom 29. Oktober zusammengestellt. Sie stammen aus einem Text von Clivia von Dewitz mit der Überschrift „Eine Wahrheitskommission für den Donbass?“

Clivia von Dewitz ist Richterin und wurde 2024 an der Universität Bremen zu Restorative Justice (opferorientierte Justiz) habilitiert. 1997 hat sie ein Praktikum bei der südafrikanischen Wahrheitskommission absolviert und zum Umgang mit seiner Apartheid-Vergangenheit publiziert. Ihr Buch „Gerechtigkeit durch Wiedergutmachung. Zur südafrikanischen Wahrheitskommission und deren Übertragbarkeit auf den Ukraine-Konflikt“ ist im Februar 2024 im Westend Verlag erschienen.

Sie schrieb Ende Oktober, als aufgrund diplomatischer Aktivitäten schon Friedenshoffnungen keimten – ich zitiere daraus stark gekürzt:

„[…] eine zentrale Frage (sollte) nicht aus dem Blick geraten: Wie ist die ukrainische Armee zwischen April 2014 und Februar 2022 im Donbass und in den übrigen östlichen Gebieten mit überwiegend russischsprachiger Bevölkerung mit der eigenen Bevölkerung umgegangen? […] Bis zum völkerrechtswidrigen Einmarsch russischer Truppen am 24. Februar 2022 kostete dieser Konflikt über 14.000 Menschen das Leben – vor allem unter den Bewohnern der östlichen Regionen der Ukraine. Dieser seit Jahrzehnten auf den unterschiedlichsten Ebenen schwelende innerukrainische Konflikt zwischen den östlichen und westlichen Landesteilen schlug in eine aktive militärische Auseinandersetzung um, als die ukrainische Regierung am 15. April 2014 eine „Antiterror-Operation“ gegen die Stadt Slowjansk im Bezirk Donezk einleitete. Zuvor hatten die Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk im Donbass ihre Unabhängigkeit erklärt, aus Sorge, die nach den Maidan-Protesten 2014 in Kiew installierte Regierung könne die in der Region vorherrschende russische Sprache und Kultur benachteiligen. […] 

Es ist an der Zeit, die Geschehnisse im Donbass unabhängig und unparteiisch aufzuklären. Doch wie könnte das geschehen? […]

Wahrheitskommission oder Untersuchungsausschuss?

Eine rein innerstaatliche Untersuchung wie etwa durch einen Untersuchungsausschuss würde international vermutlich auf Skepsis stoßen und kaum als unparteiisch gelten. Vor diesem Hintergrund sollte geprüft werden, ob die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission nach internationalem Vorbild möglich wäre. Als Modell dienen könnte etwa die südafrikanische TRC (Truth and Reconciliation Commission = Wahrheits- und Versöhnungskommission), die im Zuge der Aufarbeitung der Vergangenheit bei den Opferanhörungen den Opfern einen sehr würdevollen Rahmen boten, oder nach dem Beispiel der kanadischen TRC, die auf die Anerkennung des erlittenen Unrechts und auf Wiedergutmachung für die Betroffenen abzielte, oder nach dem Vorbild der guatemaltekischen Comisión de Esclarecimiento Histórico (CEH), die sich auf die umfassende Dokumentation von Gewalttaten konzentrierte. Eine solche Wahrheitskommission könnte, unabhängig von staatlichen Machtstrukturen, dazu beitragen, die Erfahrungen der Zivilbevölkerung im Donbass zu dokumentieren und einen Prozess der gesellschaftlichen Verständigung anzustoßen. […]

Wahrheitskommissionen anderer Länder als Vorbild?

In Südafrika kam es nach dem Ende der Apartheid 1994 zu den ersten freien Wahlen aller Südafrikaner und zum Wahlsieg des African National Congress (ANC) unter Nelson Mandela. Das Land entschied sich bewusst gegen eine rein strafrechtliche Aufarbeitung der Vergangenheit und für die Einrichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission, TRC). Sie schuf durch fast 22.000 schriftliche Opferberichte und rund 2.000 öffentliche Anhörungen einen würdevollen Rahmen für die Stimmen der Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen und legte 1998 einen fünf Bände umfassenden Bericht über die Menschenrechtsverletzungen, die von 1960 bis 1994 begangen worden waren, vor. Der Wiedergutmachungsausschuss legte der Regierung Empfehlungen für Entschädigungen und symbolische Wiedergutmachungsleistungen vor. Der Amnestieausschuss hatte die Kompetenz, Tätern Straffreiheit zuzugestehen, die ihre Taten, welche politisch motiviert sein mussten, gestanden.

Für die Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen in und um den Donbass würden wohl insbesondere der Opferausschuss und der Wiedergutmachungsausschuss der TRC als Vorbild dienen können. Prekär ist die Frage, wer den Opfern in dieser militärischen Auseinandersetzung in den ehemaligen östlichen Gebieten der Ukraine eine Entschädigung zahlen sollte. Denkbar wäre daher, die internationale Gemeinschaft in die Verantwortung zu nehmen – etwa durch einen europäischen oder transatlantischen Spendenfonds. Europa und die USA spielten in der Entstehungsphase des Konflikts eine indirekte Rolle: Sie unterstützten nach den Maidan-Protesten von 2013/14 die neue ukrainische Regierung politisch und finanziell und militärisch. Diese westliche Unterstützung trug, ebenso wie die ablehnende Haltung Russlands gegenüber dem Machtwechsel in Kiew, zur weiteren Polarisierung des Landes und schließlich zur Eskalation des Konflikts im Donbass bei. Auch die später unter internationaler Vermittlung geschlossenen Minsker Vereinbarungen (Minsk I im September 2014 und Minsk II im Februar 2015) konnten die Gewalt nicht nachhaltig eindämmen. Beide Abkommen scheiterten letztlich daran, dass ihre politischen und sicherheitsbezogenen Bestimmungen insbesondere von der ukrainischen Seite nicht umgesetzt wurden“.

Es folgt ein Abschnitt
„Struktur und Mandat der vorgeschlagenen Wahrheitskommission“, den ich jetzt aus Zeitgründen auslasse.

„Ziel: Versöhnung durch Wahrheit
Eine solche Wahrheits- und Versöhnungskommission würde einen entscheidenden Beitrag leisten, die vielfach verdrängten und politisch instrumentalisierten Ereignisse im Donbass zwischen 2014 und 2022 aufzuarbeiten. Ihr Ziel wäre nicht die strafrechtliche Sanktionierung, sondern die Herstellung historischer Wahrheit, die Anerkennung des erlittenen Leids und die Förderung gesellschaftlicher Verständigung. Durch die Einbindung internationaler Expertise ließe sich sicherstellen, dass ihre Ergebnisse sowohl innerhalb Russlands als auch international als glaubwürdig und legitim anerkannt werden.

Langfristig könnte eine solche Kommission nicht nur zur Versöhnung zwischen den betroffenen Bevölkerungsgruppen im Donbass beitragen, sondern auch als Modell für eine umfassendere Friedenskommission dienen, die nach dem Ende des Russland-Ukraine-Konflikts eine Annäherung und Versöhnung zwischen beiden Ländern fördern könnte. […]“
Soweit Clivia von Dewitz. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Uwe:
Wir laden Sie, wir laden euch nun wieder dazu ein, einige Minuten zu schweigen.
Wir gedenken der Menschen, und auch der anderen Lebewesen, die durch unzählige bewaffnete Konflikte weltweit körperlich oder seelische verletzt oder gar getötet wurden; – seien es Zivilisten oder Soldatinnen und Soldaten.
Wir gedenken der Menschen, die sich weltweit auf der Flucht in eine ungewisse Zukunft befinden; – laut UN sind es derzeit 117,3 Millionen, die aufgrund von Verfolgung, Konflikten, dramatischen klimatischen Veränderungen, oder Menschenrechtsverletzungen ihre Heimat verlassen.
Wir gedenken der geschändeten Natur und der Menschen, die weltweit für eine Welt ohne Kriege und für den Erhalt unseres wunderbaren Planeten Erde aktiv sind.

Uwe:
An Weihnachten 1967 hielt der Pfarrer, Menschenrechts-, und Friedensaktivist Dr. Martin Luther King eine Weihnachtspredigt, aus der ich nun die ersten und die letzten Zeilen der insgesamt sieben Seiten umfassenden Predigt vorlesen werde. Inhaltlich kann Kings Predigt als Kritik an der neuen Denkschrift der EKD verstanden werden.
Den gesamten Wortlaut finden Sie hier und im Original hier.

„ Friede auf Erden – Eine Weihnachtspredigt von Martin Luther King
Diese Weihnachtszeit findet uns als ein ziemlich ratloses Menschengeschlecht. Wir haben weder Frieden in uns noch Frieden um uns. Überall quälen lähmende Ängste die Menschen bei Tag und verfolgen sie bei Nacht. Unsere Welt ist krank an Krieg. Wohin wir uns immer wenden, sehen wir seine verhängnisvollen Möglichkeiten. Und doch, meine Freunde, kann die Weihnachtshoffnung auf Frieden und guten Willen unter allen Menschen nicht länger als eine Art frommer Traum von einigen Schwärmern abgetan werden. Wenn wir in dieser Welt nicht guten Willens gegen die Menschen sind, werden wir uns durch den Missbrauch unserer eigenen Werkzeuge und unserer eigenen Macht selbst vernichten. Klugheit aus Erfahrung sollte uns sagen, dass der Krieg etwas Überholtes ist. Es mag Zeiten gegeben haben, da der Krieg als ein negatives Gutes diente, indem er die Ausbreitung und das Wachstum einer bösen Macht verhinderte, aber die äußerst zerstörende Gewalt moderner Waffen schließt an sich schon die Möglichkeit aus, dass der Krieg heute noch als negatives Gutes dienen könnte. Wenn wir also voraussetzen, dass das Leben lebenswert ist, wenn wir voraussetzen, dass die Menschheit ein Recht darauf hat zu überleben, dann müssen wir eine Alternative zum Krieg finden – so lasst uns denn an diesem Morgen die Bedingungen für den Frieden erforschen. Lasst uns an diesem Morgen aufs Neue über die Bedeutung jener Weihnachtshoffnung nachdenken: «Friede auf Erden den Menschen, die guten Willens sind.» Und wenn wir diese Bedingungen erforschen, möchte ich vorschlagen, dass die modernen Menschen wirklich alle hingehen und die Bedeutung der Gewaltlosigkeit, ihrer Philosophie und ihrer Strategie studieren.  (…)  Ich träume noch immer davon, dass wir mit diesem Glauben imstande sein werden, den Rat der Hoffnungslosigkeit zu vertagen und neues Licht in die Dunkelkammern des Pessimismus zu bringen. Mit diesem Glauben wird es uns gelingen, den Tag schneller herbeizuführen, an dem Frieden auf Erden ist. Es wird ein ruhmvoller Tag sein, die Morgensterne werden miteinander singen und alle Kinder Gottes vor Freude jauchzen.“

Uwe:
Damit ist unsere heutige Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden beendet.

  • Wer sich am morgigen Samstag an unserer Banneraktion beteiligen möchte, melde sich bitte bei Doris.
  • Unsere erste Mahnwache im Neuen Jahr findet am Freitag, 9. Januar 2026, wieder um 18 Uhr auf dem Mittleren Marktplatz vor dem Rathaus statt.

Wir wünschen Ihnen ein friedvolles Weihnachtsfest, und uns allen ein hoffentlich friedvolleres Jahr 2026!

 

 

 

Leave a Reply

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.