Mahnwache vom 19.09.2025

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Doris:

Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch zu unserer Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Vielen Dank allen, die gekommen sind. Es ist unsere erste Mahnwache nach den Sommerferien. Die Ereignisse der letzten Wochen machen es notwendig, dass wir weiterhin hier zusammenkommen. Wir wollen dadurch unseren Protest gegen Krieg und Aufrüstung ausdrücken und deutlich sichtbar für den Frieden einstehen.

Trotz vielerlei bedrängender Themen möchte ich heute den Schwerpunkt auf den Gaza-Krieg setzen. Die verstörenden Nachrichten und Bilder vom dortigen Geschehen erfüllen uns mit Ratlosigkeit, Schmerz und Wut.

Israelische Panzer sind inzwischen weit in das Zentrum von Gaza-Stadt vorgedrungen. Dorthin, wo bisher nicht nur rund eine Million Palästinenserinnen und Palästinenser lebten, sondern wohl auch ein Teil der noch lebenden israelischen Geiseln festgehalten wird. Zu diesem Zweck waren nochmals Zehntausende Soldaten und Reservisten einberufen worden. Medienberichten zufolge hatte selbst der Armeechef die Regierung vor den Gefahren der Offensive gewarnt – sowohl für Geiseln als auch für Soldaten. Netanyahu ordnete sie trotzdem an. Die Zahl der getöteten Palästinenserinnen und Palästinenser beträgt inzwischen wohl 65 000. Oder noch wesentlich mehr. Ich kann mir kaum vorstellen, welches unendliche menschliche Leid sich hinter dieser nackten Zahl verbirgt. Ich versuche mir vorzustellen, wie es den rund 400 000 Menschen geht, die bereits aus Gaza-Stadt geflohen sind. Und was die übrigen rund 600 000 Menschen erwartet, die sich vermutlich noch auf die Flucht begeben werden. Vielleicht ein knappes Überleben vor den Panzern, Bomben und Raketen. Aber ein Leben ohne Wohnraum, ohne Essen, ohne medizinische Versorgung, ohne Perspektive. Man kann sich leicht vorstellen, dass Menschen, die das überleben, sich zu zukünftigen Hamas-Kämpfern entwickeln könnten. Daher wäre das Problem keinesfalls „gelöst“, sollte Netanyahu weitere 3000 Hamas-Kämpfer in Gaza-Stadt töten lassen.

Vergangene Woche ließ er zudem den Golfstaat Katar angreifen, der bisher als Vermittler in den Waffenruheverhandlungen auftrat. Welch ein widersinniges und verwerfliches Unterfangen! Und: Auch das Töten von Hamas-Führern in anderen Staaten wird das Problem nicht lösen. Im Gegenteil: es gefährdet die ganze Region – und langfristig auch die Sicherheit von Jüdinnen und Juden.

Wo bleibt angesichts all dessen der Aufschrei von deutschen Politikern? Wo bleibt der Aufschrei der Kirchen? Sie üben nach wie vor nur sehr bescheidene Kritik. Allerdings formiert sich zunehmend Widerstand aus verschiedenen Richtungen.

  • Vertreter aus rund 60 islamischen Staaten haben ein Waffenembargo und Sanktionen gegen Israel gefordert, und sie sprechen von „Staatsterrorismus“.
  • Eine unabhängige Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats sieht es als erwiesen an: Die israelische Armee begeht einen Genozid. Vier der fünf Tatbestände, die in der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 erwähnt sind, seien erfüllt, befindet die Kommission.
  • UN-Generalsekretär Guterres sagte, bei dem israelischen Vorgehen handle es sich um Gewalt in einem Ausmaß, wie er es in seiner fast neunjährigen Amtszeit in keinem Konflikt erlebt habe. „Die Wahrheit ist, dass dies moralisch, politisch und rechtlich unerträglich ist.“
  • Nach fast zwei Jahren Krieg im Gazastreifen wollen immer mehr israelische Reservisten ihrer Einberufung nicht mehr Folge leisten. Auch eine Bewegung von Müttern setzt sich dafür ein, dass ihre Söhne und Töchter nicht mehr in den Kampf ziehen müssen.

Es gibt zahlreiche junge Israelis, die den Kriegsdienst verweigern und dafür ins Gefängnis gehen.  Die 18-jährige Ayana Gerstmann ist eine von ihnen. Ich möchte nun aus ihrer Stellungnahme zu dieser Verweigerung lesen. Die Internationale Presseagentur Pressenza hat sie veröffentlicht. Hier der link zum gesamten Text.

„Mein Name ist Ayana Gerstmann, ich bin 18 Jahre alt, und das israelische Gesetz schreibt vor, dass ich mich zum Dienst verpflichten muss. Ich habe mich entschieden, mich einer solchen Verpflichtung zu verweigern, da meine Moral mich dazu verpflichtet und ich mich dafür entschieden habe, entsprechend zu handeln.

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der oft über das moralische Versagen im Militärdienst gesprochen wurde. Und doch verstand ich in jungen Jahren nicht ganz, worin dieses moralische Versagen des Kriegsdienstes, von dem meine Mutter oft sprach, eigentlich bestand. Ich hatte keine Ahnung, was um mich herum geschah. Ich erinnere mich, dass ich in der 4. Klasse an der Feier zum Tag von Jerusalem meiner Schule teilnahm – ich tanzte, sang und rezitierte nationalistische Texte, ohne mir auch nur vorzustellen, dass es ein Problem damit gibt, freudig das zu feiern, was uns als „Vereinigung von Jerusalem – der ewigen Hauptstadt“ präsentiert wurde.

Ein Jahr später, in der 5. Klasse, wurde meine politische Ignoranz erschüttert. In den Tagen vor dem Jerusalem-Tag erhielten wir die Aufgabe, zu wichtigen Stätten Jerusalem zu recherchieren. Heute ist mir klar, dass das Ziel dieser Aufgabe darin bestand, meine nationalistischen Überzeugungen zu stärken, aber das Gegenteil trat ein. Ich las über Ost-Jerusalem und wurde zum ersten Mal mit dem Thema konfrontiert. Plötzlich wurden mir die Augen geöffnet für das, was sich hinter diesen Feierlichkeiten des nationalen Stolzes verbirgt, an denen ich ein Jahr zuvor teilgenommen hatte – Besatzung und Unterdrückung. Plötzlich, und umgehend, wurde mir das tiefe Leid von Millionen von Menschen bewusst, von denen ich vorher nicht einmal gewusst hatte, dass sie existieren, deren Freiheit Tag für Tag, Stunde für Stunde vom Besatzungsregime zermalmt wird.

Von diesem Moment an wuchs die Erkenntnis, dass ich absolut kein stützender Bestandteil von dem militärischen System sein kann, das das Besatzungsregime durchsetzt und dessen Politik darin besteht, das Leben der Palästinenser miserabel zu machen. Ich werde nicht Teil eines Systems sein, das routinemäßig Gemeinschaften vertreibt, Unschuldige tötet und Siedlern erlaubt, deren Land dann zu übernehmen.

Nach dem 7. Oktober hatte diese Erkenntnis durch das Vorgehen der Armee in Gaza ihren stärksten Punkt erreicht. Seit Beginn des Krieges sind Zehntausende von Frauen und Kindern getötet worden, sind Hunderttausende aus ihren Häusern vertrieben worden, jetzt in Flüchtlingslagern lebend, ihrer Würde beraubt und hungernd. Diese humanitäre Katastrophe ist das Ergebnis des Vorgehens der Armee, das Ergebnis des Krieges, der seit fast zwei Jahren andauert und seine Ziele schon vor langer Zeit verloren hat. Seit zwei Jahren sehe ich Blutvergießen als Folge eines aussichtslosen Rachefeldzuges. Ich sehe Zehntausende von Kindern in Gaza, die in endloser Verzweiflung geboren und aufgezogen werden, in Tod und Zerstörung hineingeboren, was einen nicht enden wollenden Kreislauf von Hass, Rache und Mord erzeugt. Ich sehe, wie Hunderte von Jugendlichen in meinem Alter getötet werden, ausgesandt vom Staat, um diesen Kreislauf zu verewigen. Ich sehe einen Krieg, der das Leben der Geiseln gefährdet. Und ich kann angesichts dieser Dinge nicht schweigen.

Ich kann nicht schweigen in einer Gesellschaft, in der das Schweigen die Oberhand gewinnt. Ich habe nicht das Privileg zu schweigen, wenn ich weiß, dass alle um mich herum schon lange schweigen…

Heute weiß ich, dass ich angesichts des Leidens nicht schweigen kann. Ich kann nicht schweigen angesichts von Mord und Zerstörung. Und heute weiß ich, dass die Einberufung in die Armee schlimmer ist als Schweigen: Es ist die Zusammenarbeit mit einem System, das Millionen von Menschen schadet. Deshalb weigere ich mich, und zwar laut. Ich werde nicht kooperieren, und ich werde nicht Teil dieses Schweigens sein, welches es zulässt, dass die schlimmsten Gräueltaten auch in meinem Namen begangen werden.

Als Bürgerin des Landes sage ich ganz klar: Die Zerstörung von Gaza – nicht in meinem Namen! Die Besatzung – nicht in meinem Namen! Ich weigere mich zu schweigen, in der Hoffnung, dass meine Stimme den anderen in der Gesellschaft die Augen öffnet und sie darauf aufmerksam macht, was in ihrem Namen getan wird, bis sie nicht mehr schweigen“. Zitat Ende.

So weit die 18-jährige Israelin Ayana Gerstmann in ihrer Begründung zur Verweigerung des Wehrdiensts, für die sie ins Gefängnis ging.

Doris:

Wir werden nun 5 Minuten innehalten. Wir gedenken heute besonders der Opfer des Gaza-Kriegs. Wir denken an alle, die sich diesem Krieg widersetzen und sich für Frieden einsetzen. Möge ihre Stimme Gehör finden. Möge der Einsatz aller Initiativen für Frieden und Abrüstung weltweit nicht umsonst sein, sondern Wirkung zeigen.

Uwe:

Konstatin Simonow, 1949:

«(…) Aber die Kriegsbrandstifter, die sich einbilden, wir wollen den Frieden aus Schwäche, sind von einem tiefen und gefährlichen Irrtum befangen.

Wir wollen den Frieden nicht nur, weil wir den Krieg fürchten. Wir wollen ihn, weil wir wissen, welche Leiden der Krieg allen Völkern bringt.

Im Gegensatz zu den Kriegsbrandstiftern denken wir ja stets vor allem und hauptsächlich an das Geschick der Völker, nicht nur an das Volk unseres eigenen Landes, sondern an die ureigensten Interessen der Völker der ganzen übrigen Welt.

Das ist der Grund, warum wir keinen Krieg wollen. (….)»

Uwe:

Bevor wir unsere heutige Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden beenden, nun noch Hinweise auf einige Aktionen und Veranstaltungen, die in den nächsten Wochen stattfinden:

  • Am Donnerstag, 25.09.2025, findet um 17h, wie an jedem Donnerstag, in Stuttgart am Herzog – Christoph – Denkmal auf dem Schlossplatz eine Mahnwache für den Frieden unter dem Motto: „Kriege beenden, Friede jetzt!“ statt.
  • Am Samstag, 27. September, wird in Berlin unter dem Motto „All Eyes on Gaza – stoppt den Genozid“ für Frieden in Israel und Palästina demonstriert. Zu dieser Veranstaltung rufen mehrere Organisationen und Initiativen auf. Weitere Informationen hierzu sind im Internet unter friedenskooperative.de abrufbar.
  • Am Freitag, den 3.Oktober (Feiertag) , findet ab 13 Uhr in Stuttgart auf dem Schlossplatz die Auftaktveranstaltung zur Demonstration unter dem Motto: “Nie wieder kriegstüchtig, stehen wir auf für den Frieden“ statt. Nähere Informationen hierzu werden wir bei unserer nächsten Mahnwache am nächsten Freitag liefern.
  • Das Aktionsbündnis „Atomwaffenfrei jetzt“ ruft am 11. Oktober in Nörvenich zu einer Demonstration gegen das jährlich stattfindende Atomkriegs- Manöver «Steadfast Noon» auf. Titel: «80 Jahre nach Hiroshima – Atomkriegsmanöver 2025 stoppen!».
  • Am morgigen Samstag möchten wir wieder mit unseren Bannern auf der Daimlerstraße präsent sein. Wer morgen Zeit und Lust dazu hat bei dieser Aktion mitzumachen, komme bitte nach unserer heutigen Mahnwache zu Doris.
  • Auf der website des zuvor schon erwähnten Netzwerks – Friedenskooperative sind unzählige Veranstaltungen und Aktionen, an vielen Orten in Deutschland, aufgeführt.
  • Wir wollen heute Abend nach der Mahnwache, um 19 Uhr in der Manufaktur darüber sprechen, wie wir mit unserer Mahnwache fortfahren. Wir würden uns sehr darüber freuen, wenn möglichst viele von euch dabei sein könnten und uns mit Ideen und Vorschlägen unterstützen würden.
  • Unsere nächste Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden ist heute in einer Woche, wieder wie immer um 18 Uhr hier vor dem Rathaus.

Unsere heutige Mahnwache ist damit beendet; wir danken Ihnen und euch, dass Sie gekommen sind/seid und wünschen euch ein erholsames Wochenende.

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