Im folgenden können Sie die Beiträge zur letzten Mahnwache am 23.09.2022 nachlesen:
Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer 22. Mahnwache gegen den Krieg. Vielen Dank an alle, die gekommen sind. Wir stehen heute hier unter dem Eindruck einer neuen Eskalation im Ukraine-Krieg. Die russische Teilmobilmachung, die Drohung mit Atomwaffen, neue Sanktionen. Niemand weiß, wohin das alles führen wird.
Für mich ist es heute die erste Mahnwache nach den Sommerferien, da ich letzten Freitag noch im Urlaub war. Auch andere waren vielleicht in den Ferien verreist, oder haben auf andere Weise etwas Abstand gewonnen von all den Ängsten und Sorgen um den Krieg. Es tut gut, die Natur zu genießen, Gemeinschaft mit Freunden zu haben, zu entspannen, eine Zeit lang nicht alle schlimmen Nachrichten zu lesen oder zu sehen. Dennoch holt uns das Thema Krieg sehr schnell wieder ein. Wir sind heute hier, weil wir nicht umhin können, uns diesem Thema zu stellen und weil das gemeinsam mit anderen leichter geht als alleine.
Unser Kreis ist mit der Zeit wesentlich kleiner geworden. Warum ist das so? Ich versuche eine Antwort.
• Einige haben sich vielleicht in der Zwischenzeit an den Krieg gewöhnt. Der erste Schreck ist vorbei. Der Krieg scheint zum normalen Alltag zu gehören. Das Bedürfnis, zur Mahnwache zu gehen, ist vorbei.
• Einige sagen vielleicht: Man kann ja doch nichts ändern. Es hilft nichts, wenn wir hier stehen.
• Einige denken inzwischen ganz anders als früher oder zu Beginn des Krieges. Auch im Freundes- und Bekanntenkreis gibt es welche, die jetzt eine ganz andere Position zu diesem Krieg haben als wir und sich eindeutig für immer mehr Waffenlieferungen aussprechen. Sie halten uns für naiv oder werfen uns unterlassene Hilfeleistung für die Menschen in der Ukraine vor. Ich muss gestehen, das fällt mir sehr schwer und macht mich unheimlich traurig.
Warum aber stehen wir immer noch hier und halten unsere Mahnwache? Ich versuche wieder eine Antwort.
• Eine Mahnwache ist ein Ort, um gemeinsam zu trauern. Ich zitiere Peter Grohmann: „Wir trauern mit den Müttern und Vätern in aller Welt, die ihre Kinder in den Kriegen verloren haben. Wir trauern um die Zehntausende, die im Mittelmeer ertrunken sind. Wir trauern um die Kinder, die verhungert sind. Wir trauern mit den Vertriebenen und Verfolgten, den Gefolterten und Geschlagenen überall auf dem Erdball, den Leidenden und Ausgebeuteten. Nicht nur heute“. Ich denke: auch wenn nur ein Mensch im Krieg sterben würde, wäre dieser Mensch es wert, an ihn zu denken, um ihn zu trauern. Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid macht das Leid noch um vieles schlimmer.
• Trauer um die Opfer allein reicht jedoch nicht aus. Aus ihr muss eine Haltung folgen. Aus dieser muss Engagement folgen. Doch welche Haltung zum Ukraine-Krieg ist die richtige? Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie sich die Dinge weiter entwickeln werden. Dennoch vertreten wir von der Friedensinitiative unsere Position gegen die Lieferung von immer mehr Waffen an die Ukraine. Nicht deshalb, weil wir den Menschen in der Ukraine nicht helfen wollen. Aber ich bin zutiefst erschüttert beim Lesen der Zeitungsüberschrift: „Kiew setzt auf Militär statt auf Verhandlungen“. Während es zu Beginn das Ziel war, den Krieg möglichst bald zu beenden, war es später das Ziel, den Status vor dem russischen Einmarsch im Februar wieder zu erreichen. Inzwischen, so lese ich, ist es das Ziel, auch die Gebiete der Separatisten im Osten des Landes und die Krim vollständig zurück zu erobern. Nicht Frieden, sondern Sieg ist also das Ziel. Sie sagen: Ohne Sieg gibt es keinen Frieden. Wir sagen: in diesem Krieg wird es keinen Sieger geben. Beide Seiten und wir alle haben ihn längst verloren. Und die politische Vernunft hat verloren. Auch das ist ein Grund zur Trauer.
• Wir stehen hier, weil unsere Bundesregierung bedingungslos weiterhin Waffen und noch schwerere Waffen liefern will. Sie sagen: so lange es nötig ist. Das macht mir Angst.
• Ja, wir stehen auch deshalb hier, weil wir Angst haben. Dieser Krieg ist, wie jeder Krieg, eine Bestie. Je länger er mit Waffen gefüttert wird, desto länger wird er dauern, desto mehr Menschen müssen sterben. Menschenleben zählen nicht – auf beiden Seiten werden Soldaten zu Tausenden geopfert. Und: dieser Krieg hat das Potential, zu einem Atomkrieg zu werden, der alles Leben vernichten kann.
• Sie sagen, wir seien naiv, wenn wir fordern, dass unsere Regierung endlich beide Seiten zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand drängen soll. Wir fragen uns: ist es nicht naiv zu glauben, Russland werde kapitulieren und sich vollständig aus der Ukraine zurückziehen?
• Und wir stehen hier, weil wir den Menschen in der Ukraine ein lebenswertes Leben in Frieden wünschen. Aber wir wünschen dieses Leben auch den Menschen auf der südlichen Erdhalbkugel. Denen, denen bisher schon das Nötigste zum Leben fehlte. Je mehr Geld in immer mehr Aufrüstung fließt, desto weniger werden sie zu essen haben. Rüstung tötet auch ohne Krieg. Wir wünschen auch allen, die nach uns kommen, noch ein lebenswertes Leben auf dieser Erde. Je mehr Geld in Aufrüstung fließt, desto weniger bleibt für den Klimaschutz. Schon jetzt setzt man in Folge des Krieges und der Sanktionen wieder auf klimaschädliche Energieproduktion und auf die hochriskante Atomkraft. Das ist eine Versündigung an den kommenden Generationen. Wir wünschen außerdem den Tieren und Pflanzen dieser Erde noch eine Zukunft. Die Klimakatastrophe führt schon jetzt zum Aussterben vieler Arten. Wie gut, dass heute, am globalen Klimastreiktag, wieder viele junge und ältere Menschen auf die Straße gegangen sind, um sich einzusetzen für eine lebenswerte Zukunft. Die Menschen des globalen Südens, die Menschen kommender Generationen und alle Lebewesen haben nicht weniger Recht auf Leben als wir Europäer.
• Wir wissen, dass unsere Mahnwache keine unmittelbare Auswirkung auf all diese Probleme hat. Dennoch will ich nicht sagen: Das bringt doch nichts. Ich will daran festhalten, dass es einen Unterschied macht, ob uns alles egal ist, oder ob wir uns engagieren. Dass von unserem gemeinsamen Hier-Stehen, vom ernsthaften Einstehen für eine Sache eine Kraft ausgehen kann. Die Versuchung zu resignieren ist groß. Gemeinsam können wir ihr besser widerstehen.
Wir wollen nun 5 Minuten gemeinsam schweigen.
Uwe:
Gedicht/Zitat…
Ansagen:
Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:
• Am kommenden Donnerstag, den 29.09.22 um 19.00 Uhr findet in der Manufaktur im Rahmen des diesjährigen Antikriegstags eine Kulturveranstaltung statt mit dem Titel „Gedichte gegen den Krieg von Bertolt Brecht“
• am Samstag, 01.10.22 findet ein bundesweiter dezentraler Aktionstag statt. Ich lese einige Sätze aus dem Aufruf: … Beginn der Demonstration und Kundgebung ist um 11.55 Uhr am Arnulf Klett-Platz vor dem Hbf. Veranstalter: Friedensnetz Baden-Württemberg, Pax Christi Rottenburg Stuttgart, VVN-Bund der AntifaschistInnen … Wer aus Schorndorf teilnehmen möchte, trifft sich um 11.00 Uhr am Bahnhof Schorndorf zur gemeinsamen Fahrt mit dem MEX um 11.14 Uhr.
• Unsere nächste Mahnwache findet am kommenden Freitag, 30.09.22 um 18.00 Uhr auf dem Mittleren Marktplatz statt.
• Verabschiedung