Es folgen die Beiträge dieser Mahnwache zum Nachlesen:
Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer heutigen Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Vielen Dank allen, die gekommen sind.
Amerika hat gewählt. Wir sind fassungslos. Wie konnte es nur dazu kommen, dass Trump eine so große Mehrheit der Stimmen erhielt? Und jetzt auch noch das: das Aus für die Ampelkoalition und wahrscheinlich bald ein Bundeskanzler Merz. Bei aller Kritik an Bundeskanzler Scholz – er hatte immerhin die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern und anderen weitreichenden Waffen an die Ukraine abgelehnt und somit bisher eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Nato und Russland verhindert. Wie soll das nun alles weitergehen?
Ich möchte heute nicht Spekulationen darüber anstellen, was alles in nächster Zeit passieren könnte. In den Medien gibt es genügend Material dazu. Ich möchte heute aus einem Text vorlesen, den wir von einem Teilnehmer der Mahnwache, Robert Schiek, bekommen haben. Es handelt sich um ein Interview mit Harald Welzer, einem Sozialpsychologen an der Europa-Universität Flensburg, der mehrere Bücher geschrieben hat. Der Titel lautet: „Warum reden wir den Frieden nicht herbei?“ Wegen der Länge des Textes kann ich nur einige Abschnitte herausgreifen. Ich zitiere:
„Ich hätte es in meiner Lebenszeit nicht für möglich gehalten, dass Rüstung, Aufrüstung, Kriegstüchtigkeit wieder zu zentralen und unhinterfragten Kategorien politischer Forderungen werden… Wenn Politiker strahlend sich beim Spatenstich für eine neue Rüstungsfabrik fotografieren lassen, so, als würden sie gerade den Grundstein für eine Schule oder einen Kindergarten legen, dann sind das Dinge, bei denen man sich bei genauer Betrachtung eigentlich schütteln müsste… Die Welt verändert sich, und man justiert sich nach und hält dann alles, was man vorher noch für unmöglich gehalten hat, für völlig normal.
Als historisch arbeitender Sozialpsychologe würde ich sagen, je mehr man über den Krieg redet und schreibt, desto mehr redet man ihn auch automatisch in den Bereich des Möglichen. Ja, und dann ist die Logik wiederum: Wenn Krieg so möglich erscheint, dann müssen wir aber noch viel mehr tun, weiter aufrüsten usw. usw. Das ist genau die Logik, die 1914 in den Ersten Weltkrieg geführt hat, den ja auch niemand gewollt hat. Die beteiligten Nationen hatten selbst nicht die Absicht, einen Angriffskrieg zu führen, sondern die Aufrüstung lief ja immer unter dem Argument der notwendigen Verteidigung gegen den möglichen Angriff, die mögliche Aggression der anderen.
Mir macht Sorgen, dass es kaum Gegenpositionen gibt. Wir haben keine vitale gesellschaftliche, öffentliche Diskussion über diese Themen mehr. Das ist sehr seltsam. Ganz zu Anfang des russischen Angriffskrieges hat man noch öffentlich darüber debattiert, welche Handlungen sinnvoll sind, welche nicht, und das unterbleibt ja inzwischen fast völlig. Ich habe eine Studie vom „European Council on Foreign Relations“ gelesen, dort steht z.B.: 10% der Bevölkerung in den untersuchten europäischen Ländern glauben, dass die Ukraine siegreich sein kann. 90% glauben das nicht. Das Interessante ist aber, dass sich das überhaupt nicht in die mediale und die politische Landschaft hinein reflektiert. Man könnte ja fragen, was bedeutet das eigentlich, wenn die Mehrheit der europäischen Bevölkerung sagt, da passiert etwas, das man gar nicht mehr in den Griff kriegen kann?…
Das Einwerfen von friedenspolitischen Überlegungen in den öffentlichen Diskurs erscheint derzeit beinah schon als Problem. Weil damit nahegelegt wird, man würde die Solidarität mit den Angegriffenen verletzen… Es ist derzeit normativ gesetzt, dass nur militärische Unterstützung das Mittel der Wahl ist… Über Jahrzehnte war klar, wir arbeiten von Europa aus an einer weltweiten Friedensordnung – und jetzt ist der Gedanke der Friedensordnung verschwunden. Das ist ungut… weil aus der Fülle der Optionen so viele ausgeschlossen werden.
Man könnte stattdessen den Frieden auch herbeireden. Wenn wir die erfolgreiche Friedenspolitik in Westeuropa anschauen mit dem Ergebnis der längsten Friedensperiode, die es in der Geschichte jemals gegeben hat, dann kann man schon sehen: Es gibt Mittel und Wege, Frieden zu sichern, und es gibt auch Mittel und Wege, künftigen Frieden zu sichern. Und ich habe politisch gelernt, dass Außenpolitik auch darin besteht, dass man mit Gegnern, die man weltanschaulich, politisch, rechtlich total verabscheut, diplomatisch zu Lösungen kommt. Es bleibt einem nichts anderes übrig. Man muss auch mit unliebsamen Gegnern in irgendeiner Weise zu Lösungen kommen.
Unser Feind Nummer Eins ist der Klimawandel. Man macht Nebenkriegsschauplätze auf, damit man sich mit dem wichtigsten Thema des Überlebens der Menschheit nicht mehr auseinandersetzen muss. Wir sehen überall Ausweichbewegungen. Warum haben wir jetzt eine Renaissance der Raumfahrt, wieso muss der Mond jetzt wirtschaftlich ausgebeutet werden, anstatt die Verhältnisse auf unserem Planeten mit allen Mitteln in irgendeiner Weise überlebensfähig zu halten? Da fasst man sich doch an den Kopf.
Wo liegt Hoffnung? … Trotz einer eher eindimensionalen Politik und Medienlandschaft gibt es in Deutschland große Bevölkerungsteile, die bereit sind, Dinge kritisch zu sehen und dafür sogar auf die Straße zu gehen. Niemand hätte vor Dezember letzten Jahres damit gerechnet, dass wir über Wochen und Monate hinweg Demonstrationen von Millionen von Menschen sehen, die für die Demokratie auf die Straße gehen. Und das ist etwas sehr Positives. Diese aufgeklärte Bevölkerung, die wir in der Bundesrepublik haben, ist die stärkste Ressource für Demokratie und rationales politisches Handeln. Das gibt mir Hoffnung.
Es geht einfach darum, über den Tag hinaus und vielleicht auch über die nächsten Jahrzehnte hinaus eine Utopie zu haben: die Utopie einer globalen Friedensordnung durch die UN, die Utopie eines zwischenstaatlichen Gewaltmonopols. Nationalstaatliche Souveränität muss an der Gewaltausübung gegen andere enden.“ Zitat Ende.
Soweit der Sozialpsychologe Harald Welzer. Er hat u.a. erwähnt, dass viele Menschen den gegenwärtigen Kriegskurs nicht mittragen. Das wird auch in der kürzlich veröffentlichten Shell Jugendstudie 2024 deutlich. Die größte Angst der Jugendlichen in Deutschland ist demnach die Angst vor einem großen Krieg in Europa. 81 % der Jugend teilen diese Angst. 2019 waren es noch 46 Prozent. Diese Entwicklung ist die Folge einer unverantwortlichen Politik der Konfrontation mit Russland. Doch erschreckend ist nicht nur diese Grundhaltung der Angst. Erschreckend ist, mit welcher Ignoranz sowohl Politik als auch Medien dem begegnen.
Vorgestern hat das Bundeskabinett die Einführung eines neuen Wehrdiensts beschlossen. Doch: wären die Politiker auch bereit, ihre eigenen Söhne, Töchter oder Enkel in den Krieg zu schicken? Viele Menschen in Deutschland scheinen das allerdings nicht zu wollen. Im Oktober fand auch dieses Jahr wieder die SWR1 – Hitparade statt. Auf Platz 13 von insgesamt über 1000 Titeln landete das Antikriegslied „Nein, meine Söhne geb´ ich nicht“ von Reinhard Mey. Auf Platz 32 landete das zum Widerstand gegen die Herrschenden ermutigende Lied „Sage Nein“ von Konstantin Wecker. Es ist schon eine bemerkenswerte Botschaft, die hier zu erkennen ist.
Doris:
Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen. Wir denken an die Opfer der Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, und an die Opfer der Kriege in anderen Ländern, die oft vergessen werden. An die Menschen, die im Krieg verletzt wurden an Leib und Seele. An alle, die ihr Leben verloren haben, seien es Soldaten oder Zivilisten. An alle, die ihre Heimat verlassen mussten und auf der Flucht sind. An die geschundene Natur, an die zerstörte Kultur. An alle, die sich gegen den Krieg einsetzen. Mögen die Politiker auf allen Seiten endlich zur Vernunft kommen und eine weitere Eskalation verhindern.
Doris:
Ich lese ein Gedicht, das ich von einer Friedensfreundin geschenkt bekommen habe. Es stammt von dem norwegischen Lyriker Olav Håkonson Hauge. (1908 bis 1994) und handelt von der so notwendigen Utopie:
Der Traum in uns
Das ist der Traum, den wir tragen,
dass etwas Wunderbares geschieht,
geschehen muss –
dass die Zeit sich öffnet,
dass das Herz sich öffnet,
dass Türen sich öffnen,
dass der Berg sich öffnet,
dass Quellen springen –
dass der Traum sich öffnet,
dass wir in einer Morgenstunde gleiten
in eine Bucht, um die wir nicht wussten.
Doris:
Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:
- heute um 19.30 Uhr findet in der Manufaktur Schorndorf ein Vortrag von Jörg Kronauer statt mit dem Titel: „Eine Welt ohne Hegemon – China, der globale Süden und das Ende der westlichen Vorherrschaft“.
- morgen findet wieder unsere Friedensbanner-Aktion auf dem Wochenmarkt statt. Ab 11.00 Uhr sind noch Menschen gefragt, die sich beteiligen möchten.
- morgen, am 9. November jährt sich die Pogromnacht zum 86. Mal. Aus diesem Grund findet um 17.00 Uhr auf dem Cannstatter Marktplatz eine Gedenkveranstaltung mit anschließender Demonstration zum Platz der ehemaligen Synagoge statt. Um 19.00 Uhr gibt es einen Vortrag mit Musik und Texten im Bezirksrathaus. Veranstalter ist der Friedenstreff Stuttgart Nord.
- Am Mittwoch, den 27.11. findet um 19.00 Uhr im Haus der Katholischen Kirche Stuttgart eine Veranstaltung statt mit dem Titel „Aufbruch zum Frieden: Strategiewechsel jetzt!“ Veranstalterin ist die Initiative „Aufbruch zum Frieden“ von Winfried Hermann und anderen. Wir werden noch Näheres dazu berichten.
- Der „Berliner Appell – Gegen neue Mittelstreckenwaffen und für eine friedliche Welt“ wurde bis jetzt von knapp 7000 Menschen unterzeichnet. Wer das noch tun möchte, kann dies auf den ausgelegten Listen im Weltladen El Mundo oder online unter: www.nie-wieder-krieg.org
- Unsere nächste Mahnwache ist heute in einer Woche, am Freitag den 15.11. um 18.00 Uhr, wieder hier auf dem Marktplatz.