Zu den Kriegsopfern in Gaza gehören nicht zuletzt Kinder. (Bild Ali Jadallah / Anadolu)
Es folgen die Beiträge dieser Mahnwache zum Nachlesen:
Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer heutigen Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Vielen Dank allen, die gekommen sind.
Es ist heute die letzte Mahnwache vor den Sommerferien, mit Ausnahme der Mahnwache zum Hiroshima/ Nagasaki-Gedenken, die wir ja seit 2019 jedes Jahr durchführen. Sie findet statt am Freitag, den 9. August um 18.00 Uhr auf dem Marktplatz. Ja, auch wir brauchen eine Pause, obwohl der Krieg natürlich keine Pause macht. Und obwohl wir auch in den Ferien täglich mit schlimmen Nachrichten konfrontiert sind.
Schlimme Nachrichten gab es in letzter Zeit leider sehr viele. Schon allein die Ankündigung, dass in Deutschland wieder Langstreckenraketen stationiert werden sollen, die weit nach Russland reichen und die auch nuklear bestückt werden können, macht mich fassungslos. Erinnerungen an den sogenannten Nato-Nachrüstungsbeschluss von 1979 werden wach. Damals gab es „wenigstens“ eine Parlamentsdebatte, heute wird das ganz nebenbei als Regierungsentscheidung bekanntgegeben. Damals gab es eine riesige Protestbewegung, heute rechnet der Bundeskanzler mit dem Verständnis der Bevölkerung. Momentan sieht es auch so aus, dass dieser Beschluss die Menschen wenig interessiert. Man kann nur hoffen, dass sich dies bald ändert.
Ich merke, dass ich mich an winzige Hoffnungsschimmer klammere, um das Ganze aushalten zu können. So z.B. die Nachricht, dass auf Initiative Moskaus letzten Freitag ein Telefonat zwischen dem russischen und dem amerikanischen Verteidigungsminister stattgefunden hat. Und das, obwohl uns ja ständig versichert wird, Russland sei nicht gesprächsbereit. Dann am letzten Dienstag die beiden Zeitungsüberschriften: „40 Prozent der Ukrainer für Friedensverhandlungen“ und „Pläne zu Dialog mit Russland über Abrüstung“. Wenn man die jeweiligen Berichte genau liest, klingen diese schon wieder weniger hoffnungsvoll. Dennoch: jeder kleinste positive Ansatz ist wichtig.
Ich frage mich oft, wie all die anderen Menschen mit den schlimmen Nachrichten fertig werden. Ich beobachte dabei ganz grob etwa 3 verschiedene Haltungen.
Die erste Gruppe, leider eine große Mehrheit, hat sich der Meinung der Politiker und der Medien vollkommen angeschlossen. Frühere Überzeugungen wurden über Bord geworfen, und man setzt jetzt auf Abschreckung, Aufrüstung und die gesamte Kriegslogik. Man hat sich die Aussage zu eigen gemacht: „Der Krieg gegen Russland muss militärisch gewonnen werden, andernfalls wird Russland demnächst andere Länder des Westens angreifen“. Auch Kürzungen im sozialen Bereich, beim Klimaschutz, in der Entwicklungshilfe und bei der humanitären Hilfe werden in Kauf genommen. FDP-Chef Lindner sagte am Mittwoch dazu : „Wir müssen sehr viel mehr investieren in unsere harte Sicherheit… Im Umkehrschluss können wir nicht überall auf der Welt weiter so mitmischen wie bisher“. Dass diese Haltung nicht nur extrem unethisch ist, sondern in der Folge auch auf uns selbst negativ zurückwirken wird, wen interessiert das schon. Wenn man in dieser vorgegebenen Logik denkt, muss man keine Zweifel haben an den Entscheidungen, die uns so viel Angst machen. Man muss nicht alles und sich selbst in Frage stellen. Man gehört zur Mehrheit, und das gibt Sicherheit.
Die zweite Gruppe, das sind solche Menschen, die durchaus spüren, dass das alles irgendwie nicht richtig und auch sehr gefährlich ist. Aber sie sind gut im Verdrängen und konzentrieren sich auf die alltäglichen Dinge, die ja immer noch ziemlich in Ordnung sind. „Man kann ja sowieso nichts ändern“, sagen sie, und: „Die da oben tun ja doch, was sie wollen“. Oder: „Es wird schon irgendwie gut gehen – bleiben wir optimistisch!“ und „Man muss das Leben genießen, so lange es noch möglich ist“.
Zur dritten Gruppe gehören die Menschen, die den Ernst der gegenwärtigen Lage voll erfasst haben und davon wie gelähmt sind. Die absoluten Realisten oder Pessimisten. „Es wird keinen Ausweg mehr geben“, sagen sie. „Die große Katastrophe wird mit Sicherheit kommen“. Das Engagement der Friedensbewegung und der Klimaschutzbewegung halten sie für Psychohygiene und für Gewissensberuhigung. „Es bringt nichts – es ist umsonst – es ist zu spät.“ Diese totale Resignation ist wie ein dunkler Sog, in den es diese Menschen hineinzieht.
Wenn wir die drei skizzierten Gruppen betrachten, spüren wir vielleicht, dass wir zeitweise Anteile von allen dreien auch in uns tragen. Sowohl das Bedürfnis, zur Mehrheit zu gehören, als auch das Bedürfnis zur Verdrängung, sowie die Versuchung zur Resignation sind bisweilen verlockend. Aber ich bin der Überzeugung, es darf nicht dabei bleiben.
Kürzlich bin ich zufällig auf den Monatsspruch der Evangelischen Kirche für den Monat Juli gestoßen. Dieser steht im zweiten Buch Mose und heißt: „Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.“ Man muss kein Christ sein, um zu merken: genau das ist es. Die Mehrheit ist im Unrecht, denn sie setzt auf lebensfeindliche und unethische Methoden. Wir müssen ihr widersprechen, immer und immer wieder, auch wenn wir keinen Erfolg sehen. Ich würde mir wünschen, dass auch die Kirche endlich ihren Monatsspruch ernst nimmt und ihre Stimme laut hörbar gegen den Krieg erhebt.
Unsere Gesellschaft braucht Menschen, die sich weder der Mehrheit anschließen, noch vollständig ins Privatleben zurückziehen, noch der Resignation erliegen. Menschen, die noch Träume in sich tragen, Visionen, Utopien. Menschen, die noch Hoffnung haben. Ja, es macht einen Unterschied, ob wir uns einsetzen für eine bessere Welt oder nicht. Auch wenn man diesen Unterschied nicht direkt sehen oder genau in Worte fassen kann.
All die bisherigen Aktionen der Friedens- und Klimaschutzorganisationen sowie der Weltladenbewegung – die Blockaden, die Kampagnen, Petitionen, Briefe, Postkarten, Leserbriefe, Unterschriftenlisten, Demonstrationen, Kundgebungen, Vorträge, Friedensgebete und Mahnwachen – Ich will den Glauben daran nicht aufgeben, dass sie nicht umsonst waren. An vielen Orten gibt es Menschen, die aufstehen für das Leben, auch wenn ihre Zahl leider nicht groß ist. Trotzdem macht es Mut, daran zu denken, dass wir nicht die einzigen sind. Das zeigt immer wieder ein Blick in den Terminkalender des Netzwerks Friedenskooperative. Für den 3. Oktober ist z.B. eine bundesweite Friedensdemonstration in Berlin geplant. Ich wünsche mir sehr, dass es bald mehr Menschen werden, die Nein sagen zum Krieg und zu den jüngsten Aufrüstungsentscheidungen. Wir wollen nicht zurückfallen in das alte Denken, das sich schon vor 40 Jahren als untauglich erwiesen hat. Wir müssen eine starke Widerstandsbewegung werden und unseren Politikern deutlich machen, dass sie endlich für Verhandlungen, Diplomatie, Deeskalation und Aussöhnung eintreten sollen. Es geht um eine lebenswerte Zukunft auf dieser Welt. Es geht um alles.
Uwe:
Ich lade Sie nun wieder dazu ein, 5 Minuten mit uns zu schweigen. Wir gedenken dabei all der Menschen, die durch bewaffnete Konflikte ihr Leben verloren haben oder verletzt wurden – auch an die Soldatinnen und Soldaten. Und all jene, die vor Gewalt oder klimabedingt fliehen müssen und sich auf der Flucht befinden. Wir gedenken der von den Menschen ausgebeuteten Natur und der durch uns Menschen verursachten Katastrophen.
Und wir gedenken derer, die sich weltweit aktiv für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlage und gegen Krieg und Gewalt einsetzen.
Uwe:
Peter Bichsel: Auf dem Weg zu Täter
„Ich bin ein Opfer des Krieges, weil er mich verroht hat, weil meine Erschütterung gespielt ist, und weil mein Entsetzen in mein politisches Konzept passt – und weil – bitte nehmen Sie es mir nicht übel – er seinen Teil dazu beiträgt, dass ich meine persönliche Trauer nicht mehr ernst nehmen darf. Was sind meine persönlichen kleinen Traurigkeiten – Schwierigkeiten mit meiner Partnerin zum Beispiel – gemessen an der Entsetzlichkeit des Krieges. Darf ich mich noch beklagen über Kopfschmerzen, wenn andere Hunger haben?
Ich weiß, das ist lächerlich, und ich stelle auch fest, dass meine Kopfschmerzen unwichtig sind. Ich stelle auch fest, dass ich kein Recht auf Traurigkeit habe, wenn andere nicht an Traurigkeit, sondern in akuter Angst leben. Aber ich fürchte, wenn ich mit meiner eigenen Traurigkeit nicht mehr umgehen kann und darf, dann werde ich auch nicht mehr umgehen können mit der Traurigkeit der Welt. Der Krieg hat mich bereits erreicht, er ist dabei, meine Gefühle zu zerstören und meine Gefühle lächerlich zu machen. Der Krieg bahnt sich bereits einen Weg durch meine Seele. Ich bin ein Opfer des Krieges.
Denn der große Schrecken macht den kleinen Schrecken möglich, und der Schrecken macht meine persönliche Trauer lächerlich, und ohne meine persönliche Trauer bin ich entmenschlicht und befinde mich auf dem Weg zum Täter“.
Der Schweizer Dichter und Schriftsteller Peter Bichsel hat diesen Text 1982, angesichts des im Libanon stattfindenden Bürgerkriegs geschrieben. Ich finde, dass er sehr gut zu den Kriegen in der Ukraine, im Nahen Osten, sowie vielen anderen Kriegen auf dieser Welt passt – ich habe mir erlaubt, ihn an unwesentlichen Stellen zu ändern.
Und noch eine Anmerkung von mir: Heute in den SWR-Kultur 12-Uhr Nachrichten wurde gemeldet, dass der israelische Sicherheitsminister u.a. Regierungschef Netanjahu dazu aufgefordert hat, bezüglich einer Feuerpause nicht mit der Hamas zu verhandeln und auf irgendwelche Bedingungen einzugehen. Bezüglich der von der Hamas festgehaltenen Geiseln äußerte er, „dass er für diese beten würde“.
Das bedeutet, dass der Krieg in Gaza weitergeht, mit all seinen Grausamkeiten!
In der von uns abonnierten Wochenzeitung „Der Freitag“ war vor einigen Wochen das Bild abgedruckt, welches ich nun im Kreis herumgehen lassen möchte. Dieses Bild zeigt für mich die ganze Gemeinheit und Grausamkeit von Kriegen und das Leid der Zivilbevölkerung.
Uwe:
Bevor wir unsere heutige Mahnwache beenden, nun noch einige Hinweise auf Veranstaltungen und Aktionen:
- Heute, zur gleichen Zeit wie unsere Mahnwachen stattfinden, finden ebensolche Mahnwachen in Münster , Villingen – Schwenningen, Marburg und Detmold statt. Wir sind also nicht alleine in unserem Bestreben!
- Am Montag, 22. Juli spricht und diskutiert um 19 h das Mitglied der Linken, Jan van Aken im Württembergischen Kunstverein zu dem Thema: Worte statt Waffen.
- Am Mittwoch, 24. Juli findet, ebenfalls um 19 im Haus der Katholischen Kirche in Stuttgart eine Veranstaltung mit den „Combattants for Peace“ (israelisch – palästinensische Friedensaktivisten) statt.
- Damit ist unsere heutige Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden beendet. Wir fänden es schön, wenn viele von euch mit in den Manufaktur Garten zu einem Abschlussumtrunk kommen würden. Unsere nächste „reguläre“ Mahnwache findet nach der Sommerpause, am Freitag, 13. Sept. d.J. um 18 Uhr hier auf dem Marktplatz statt.
- Am Freitag, 9. August findet hier auf dem Marktplatz um 18 Uhr unsere „außer-ordentliche“ Mahnwache anlässlich der Jahrestages der Atombombenabwürfe auf Hiroshima (am 6. Aug.) und Nagasaki am 9. August 1945 statt.
Hier noch zwei weitere Veranstaltungshinweise:
Wege zum Frieden
Im Rahmen der Gesprächsreihe „KONTEXT im Merlin“ findet im Kulturzentrum Merlin eine Veranstaltung zum Krieg in der Ukraine statt mit Verkehrsminister Winfried Hermann, Theologin Susanne Büttner, Politikwissenschaftler Ulrich Bausch und Friedensforscher Thomas Nielebock. Moderation: Stefan Siller. Mehr: https://merlinstuttgart.de/programm/kontext-im-merlin-3/
Montag
22. Juli 2024
20:00 Uhr (Einlass 19:00 Uhr)
Kulturzentrum Merlin
Augustenstr. 72
70178 Stuttgart
Und:
Freitag, 26. Juli 2024, 19 Uhr, Feuerwehrhaus Stetten, Bachstr. 38, 71394 Stetten im Remstal (Gemeinde Kernen)
Vortrag: Frieden für Israel/Palästina – eine Utopie?
Mit Osama Iliwat + Rotem Levin („Kämpfer für den Frieden“ – „Combatants for Peace“)
Kurzfristig ergab sich die Möglichkeit, zwei Vertreter der israelisch-palästinensischen Friedensorganisation „Kämpfer für den Frieden“ – „Combatants for Peace“ zur Allmende einzuladen, die sich gerade auf Vortragsreise in Deutschland befinden.
Osama Iliwat
lebt in Jericho in der Westbank und war als Jugendlicher im palästinensischen Widerstand gegen die Besatzung aktiv, geprägt von Hass und Rachegedanken. Nach einer längeren Gefängnisstrafe traf er Mitglieder der „Combatants for Peace“ und widmete sein Leben fortan dem Aufbau solidarischer Beziehungen zwischen Palästinensern und Israelis.
Rotem Levin
war Soldat in der israelischen Armee und versah seinen Dienst, ohne am Sinn seines Handelns zu zweifeln. Erst als er Medizin studierte, lernte er bei einem Seminar in Deutschland erstmals Menschen aus Palästina persönlich kennen, von denen einige zu engen Freunden wurden. Er hat dann Arabisch erlernt und widmete viel Zeit dem Durchbrechen dessen, was er als „Segregationsblase“ [Segregation = Absonderung] bezeichnet, indem er Solidaritätsbeziehungen zu Palästinensern aufbaute. Er sagt, dass der gewaltfreie Weg der Veränderung für ihn Notwendigkeit und Ziel zugleich ist, denn: „Waffen lösen keine Probleme!”
Eine hervorragende Gelegenheit, sich aus erster Hand über die Situation in Israel/Palästina zu informieren. Weitere Infos auf unserer Webseite www.allmende-stetten.de
Bitte beachten: Der Vortrag ist in Englisch und wird ins Schwäbische übersetzt.
Eintritt: 5 Euro, Jugendliche und Studierende frei