Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer 20. Mahnwache gegen den Krieg. Vielen Dank an alle, die gekommen sind.
Letzten Freitag ist die Mahnwache ausgefallen, da der Marktpaltz und die gesamte Innenstadt durch die SchoWo, die Schorndorfer Woche, belegt war. Ich weiß nicht, ob Sie persönlich ein Fan der SchoWo sind oder ihr eher fernbleiben. Unabhängig davon kann man sagen: Tausende Menschen konnten dieses Jahr wieder feiern, essen, trinken, Musik hören, Freunde treffen usw. Die Stadt war voller Leben. Der Krieg war scheinbar weit weg, ebenso die Pandemie.
Wir alle brauchen solche Momente, wo wir all das Schlimme, das uns umgibt, verdrängen und vorübergehend vergessen. In unserem Inneren ist die Sehnsucht nach dem „normalen“ Leben – ohne Krieg und Angst. Wir wünschen uns manchmal, all das wäre nur ein böser Traum, und wir lebten wieder in der Zeit vor der soganannten Zeitenwende – am besten in der Zeit vor der Pandemie. Alles wäre wieder „normal“. Aber: was waren auch bereits vor der Pandemie die Schattenseiten unseres „normalen“ Lebens?
- Unser Wohlstand war von je her eng verknüpft mit der Armut in den Ländern des globalen Südens.
- Die Klimakatastrophe ist seit langem eine Tatsache.
- Die Spannungen zwischen Russland und der NATO haben sich beständig verstärkt, spätestens seit 2014, und ein neuer Rüstungswettlauf war bereits vor dem Krieg in Gang.
Diejenigen, die hier stehen, wissen um all diese Tatsachen. Ich erwähne sie auch nicht, um uns ein schlechtes Gewissen zu machen. Sondern um deutlich zu machen: wir brauchen nicht die Welt, wie sie vor Corona war, sondern wir brauchen eine andere Welt. Wir brauchen eine wirkliche Zeitenwende. Dazu gehören u.a. gerechte weltweite Wirtschaftsbeziehungen, ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen und Energie, und Abrüstung statt Aufrüstung, insbesondere ein Verbot von Atomwaffen. Eine solche „Zeitenwende“ würde bedeuten, dass ein „normales“ Leben für alle Menschen auf der Welt und auch für kommende Generationen möglich wäre. Eine solche Zeitenwende scheint momentan weiter entfernt denn je. Sie ist Illusion, sagen viele. Oder wir sagen: Sie ist eine lebensnotwendige Utopie. Wir brauchen solche Utopien, um all das Schlimme auszuhalten. Und um die Hoffnung nicht zu verlieren, dass es Sinn macht, sich für eine andere Welt zu engagieren.
Zum Beispiel für eine Welt ohne Atomwaffen, wie es der Atomwaffenverbotsvertrag zum Ziel hat. Ich hatte bei der letzten Mahnwache angekündigt, über das Ergebnis der ersten Überprüfungskonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag zu informieren. Das will ich jetzt tun.
Vor genau 5 Jahren wurde bei den Vereinten Nationen der Atomwaffenverbotsvertrag verabschiedet. Eine große Mehrheit der Mitglieder, nämlich 122 Staaten, haben damit klar gamacht, dass sie nicht mehr bereit sind, die Bedohung durch Atomwaffen hinzunehmen. Inzwischen haben 66 Staaten den Vertrag ratifiziert, und seit Januar 2021 ist er rechtsgültig. Vom 21. – 23. Juni diesen Jahres fand in Wien die erste Vertragsstaatenkonferenz statt, leider fast unbemerkt von der Öffentlichkeit. Unsere Medien haben so gut wie nichts darüber berichtet. Das ist wirklich sehr bedauerlich und schlimm. Auf den Internetseiten der großen Friedensorganisationen wie ICAN oder IPPNW sind für Interessierte viele Informationen über die Konferenz zu finden, auch die Redebeiträge und Abschlussdokumente kann man dort nachlesen. Ich werde versuchen, das Wichtigste kurz zusammenzufassen.
Im Vorfeld der Konferenz fand zunächst das sogenannte „Nuclear Ban Forum“ von ICAN statt, eine Konferenz über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen. Viele internationale Nichtregierungsorganisationen nahmen daran teil.
Bei der anschließenden UN-Staatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags vom 21.-23. Juni kamen 83 Staaten zusammen, um konstruktiv am Vertrag zu arbeiten. Neben den Unterzeichnerstaaten waren auch Beobachterstaaten, Vertreter der Zivilgesellschaft und Überlebende von Kernwaffeneinsätzen und Atomtests anwesend.
Alle begrüßten es, dass Nuklearwaffen nun ausdrücklich und umfassend völkerrechtlich verboten sind, wie es seit langem für biologische und chemische Waffen gilt. Sie forderten nachdrücklich von allen Staaten, nukleare Abrüstung zu erreichen und die Verbreitung von Kernwaffen, jeglichen Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Kernwaffen zu verhindern. Sie verabschiedeten einen Aktionsplan, um Atomwaffen weltweit zu ächten und verurteilten den Krieg und die jüngsten nuklearen Drohungen Russlands. Sie machten deutlich: die Abschaffung von Atomwaffen ist dringender denn je, das neue nukleare Wettrüsten ist nicht akzeptabel. Die Konferenz war ein historischer Meilenstein und angesichts der aktuellen Atomkriegsgefahr ein wichtiger Schritt in Richtung echter gemeinsamer Sicherheit.
Leider haben die Nuklearmächte weder den Vertrag unterzeichnet, noch an der Konferenz teilgenommen. Auch Deutschland ist dem Vertag nicht beigetreten, obwohl sich durch die nukleare Teilhabe Atomwaffen auf seinem Boden befinden. Dennoch war es ein wichtiges Zeichen, dass die Bundesregierung zumindest beobachtend bei der Konferenz anwesend war. Dem Beispiel Deutschlands sind trotz dem Druck von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, eine Reihe weiterer Staaten gefolgt, die sich an der nuklearen Teilhabe beteiligen oder Mitglied der NATO sind bzw. werden wollen, z.B. Norwegen, Belgien oder die Niederlande.
Der Vertreter der Bundesregierung, Botschafter Rüdiger Bohn sagte, dass die Staatenkonferenz als ein wichtiges Ereignis in den internationalen nuklearen Abrüstungsbemühungen gesehen werde. Er betonte aber auch, dass Deutschland, als NATO Staat, dem Vertrag nicht beitreten könne. Dennoch sei es wichtig, dass Unterstützer und Skeptiker des AVV „Schulter an Schulter“ zusammenarbeiten. Als kleiner Fortschritt kann verbucht werden, dass sich Deutschland offen zeigte zur Mitarbeit in der Opferhilfe und bei den Fonds zur Entschädigung der Atomtestopfer sowie bei der Umweltsanierung. Außerdem wurde von Seite der deutschen Delegation nicht länger der Standpunkt vertreten, der Atomwaffenverbotsvertrag würde dem Nichtverbreitungsvertrag widersprechen.
Zu Beginn der Konferenz gab es eine Video-Botschaft von UN-Generalsekretär António Guterres. Er sagte: „Abrüstung geht uns alle an, denn das Leben selbst geht uns alle an“. Und, noch nie habe es einen solchen Austausch von Vertreter*innen von Staaten, Betroffenen von Atomwaffeneinsätzen und -tests, Wissenschaft sowie Zivilgesellschaft gegeben.
Anschließend wurden die ersten eineinhalb Tage den anwesenden Staaten und Organisationen gewidmet, um sich zu äußern und ihre Statements abzugeben. Die meisten Delegierten erwähnten in ihren Beiträgen ihre Freude über das Inkrafttreten des Vertrages, die Wichtigkeit der Eliminierung von Nuklearwaffen, auch in Bezug auf die momentane Situation in Europa, und die Notwendigkeit der Opferentschädigung.
Während der Konferenz gab es die Möglichkeit, den anwesenden Hibakusha zuzuhören (Überlebende der Atomwaffeneinsätze in Hiroshima und Nagasaki) und ebenso Angehörigen von Gemeinden, welche durch die Folgen von Atomwaffentests betroffen sind, sowie neue Erkenntnisse aus der Forschung zu hören. Dies verdeutlichte die Dringlichkeit der atomaren Abrüstung angesichts der verheerenden humanitären und ökologischen Folgen.
Am letzten Tag der Konferenz wurden die finalen Dokumente verabschiedet. Neben einer politischen Abschlusserklärung haben sich die Staaten auf einen Aktionsplan geeinigt. In diesem wurden konkrete Mechanismen zur Umsetzung des Vertrags festgelegt, z.B.:
- Die Zahl der Mitgliedsstaaten soll vergrößert werden, indem diese auf verschiedenen Wegen diplomatische Arbeit mit Nicht-Vertragsstaaten führen. Dafür soll jeder Vertragsstaat die Benennung eines für diese Arbeit verantwortlichen Regierungsvertreters in 60 Tagen nach der Konferenz vornehmen.
- Es wurde eine Frist von 10 Jahren für die Beseitigung von Atomwaffen beschlossen, wenn ein Atomwaffenstaat dem Vertrag beitritt.
- Für Staaten mit nuklearer Teilhabe gilt eine Frist von 90 Tagen für die Entfernung der Waffen, wenn sie dem Vertrag beitreten.
- Es soll eng mit betroffenen Gemeinschaften und Zivilgesellschaft zusammengearbeitet sowie die Vereinten Nationen beteiligt werden.
- Durch Atomwaffeneinsatz oder –tests betroffenen Staaten wurde Unterstützung zugesichert durch die Einrichtung eines internationalen Treuhandfonds.
Ich lese noch einige zentrale Sätze aus der Abschlusserklärung:
Wir fordern alle Staaten auf, dem Atomwaffenverbotsvertrag unverzüglich beizutreten. Wir appellieren an die Staaten, die zu diesem Schritt noch nicht bereit sind, sich kooperativ für den Vertrag einzusetzen und mit uns an unserem gemeinsamen Ziel einer atomwaffenfreien Welt zu arbeiten. Wir machen uns keine Illusionen über die Herausforderungen und Hindernisse, die bei der Verwirklichung der Ziele dieses Vertrags vor uns liegen. Aber wir gehen mit Optimismus und Entschlossenheit voran. Angesichts der katastrophalen Risiken durch Atomwaffen und im Interesse des Überlebens der Menschheit können wir nicht anders. Wir werden jeden Weg gehen, der sich uns öffnet, und hartnäckig daran arbeiten, diejenigen zu öffnen, die noch verschlossen sind. Wir werden nicht ruhen, bis der letzte Staat dem Vertrag beigetreten ist, der letzte Sprengkopf demontiert und zerstört und die Atomwaffen vollständig von der Erde entfernt wurden.
Detlef:
Vorbemerkungen zum Schweigen
Zum Schluss noch ein paar kurze Anmerkungen:
- Am 18. Juli forderte Udo Knapp in einem langen Kommentar in der taz, dass die NATO mit Bodentruppen in den Ukraine-Krieg eingreifen soll. Für mich wäre das der Anfang vom Dritten Weltkrieg.
- Auf der anderen Seite: Der sächsische Ministerpräsident Kretschmer (CDU) forderte ein „Einfrieren“ des Krieges und Verhandlungen. Eine Position, die von seiner eigenen Partei im Bund sofort heftig kritisiert wurde.
Da öffnen sich in der Politik und den Medien große Differenzen der Meinungen heraus, ganze Gräben könnte man sagen. Wenn wir jetzt auf unserer letzten Mahnwache vor den Ferien wieder 5 Minuten schweigen, sollten wir diese Zeit vielleicht dazu nutzen, um über folgende Fragen nachzudenken.
- Mit welchen Menschen in unserem Umfeld (Freunde, Verwandte oder Kolleginnen bzw. Kollegen) könnten wir vielleicht einmal das Gespräch zu allen Fragen rund um den Krieg in der Ukraine suchen?
- Vielleicht fallen Ihnen irgendwelche Vorschläge zu der Frage ein, was könnte die Friedensbewegung im kommenden Herbst tun, um in diesem Land alle Kräfte zu stärken, die eine Beendigung des Krieges durch Verhandlungen erreichen wollen. Teilen sie uns Ihre Vorschläge gerne nachher im Gespräch mit oder schreiben Sie einfach einen kurzen Kommentar auf unserer Web-Seite friedensinitiative-schorndorf.de.
Lassen Sie uns jetzt gemeinsam 5 Minuten schweigen.
Doris:
Zitat
Ich lese ein Zitat, das uns ein Teilnehmer an der Mahnwache zugeschickt hat. Es stammt von Dorothy Thompson (1893 – 1961):
„Frieden bedeutet nicht Abwesenheit von Konflikten, sondern das Vorhandensein schöpferischer Alternativen, mit denen den Konflikten begegnet werden kann. Alternativen zu passiven oder aggressiven Antworten, Alternativen zur Gewalt.“
Ich wiederhole noch einmal:…
Ansagen:
Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:
- Bei unserer letzten Mahnwache vor zwei Wochen haben wir uns im Anschluss noch mit den Teilnehmenden ausgetauscht. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass während der Sommerferien keine Mahnwache stattfinden wird. Nach den Sommerferien wird die Mahnwache fortgesetzt. In welcher Form, das werden wir noch klären. Bitte sagen Sie das an andere weiter.
- Wir hatten außerdem besprochen, dass wir heute ein wenig Geld sammeln wollen für die Firma Peter Schmid, die uns jetzt schon seit Ende Februar kostenlos diese Mikrofonanlage zur Verfügung stellt. In der Mitte steht ein Körbchen, in das Sie etwas hinein legen können, wenn Sie möchten.
- Am Samstag, den 06.08 22, dem Gedenktag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, werden wir, wie schon in den drei letzten Jahren, wieder eine extra Mahnwache durchführen. Sie findet um 18.00 Uhr hier auf dem Mittleren Marktplatz statt. Bitte sagen Sie auch das im Bekanntenkreis weiter.
- Vom 1. -26. August wird in New York die wegen Corona mehrfach verschobene nächste Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag stattfinden. Da auch alle Staaten teilnehmen, die offiziell im Besitz von Atomwaffen sind, ist diese Konferenz besonders wichtig. Auch Delegationen der großen Friedensorganisationen werden vor Ort sein. Es ist wichtig, diese Konferenz mit guten Gedanken zu begleiten.
- Für den 8. Oktober plant das Netzwerk Friedenskooperative eine bundesweite Friedensdemonstration in Berlin. Wir werden dann noch Näheres bekanntgeben.
- Jetzt ist noch Zeit zum Austausch untereinander.
- Verabschiedung