Es folgend die Redebeiträge dieser Mahnwache.
Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer 26. Mahnwache gegen den Krieg. Vielen Dank an alle, die gekommen sind.
Wieder stehen wir heute hier, weil uns die Ereignisse der vergangenen Woche umtreiben. Wir empfinden angesichts der jüngsten Nachrichten Angst, Resignation, Trauer, Ohnmacht, Wut – oder auch eine innere Leere, weil wir all das Schlimme gar nicht mehr aufnehmen und verarbeiten können. Hier bei der Mahnwache können wir unsere Sorgen teilen mit Menschen, denen es ähnlich geht und die ähnlich denken. Und: indem wir hier stehen zeigen wir, dass wir nicht einverstanden sind mit der weiteren Eskalation des Krieges, die von beiden Kriegsparteien vorangetrieben wird und die auch unsere Politiker vorantreiben oder zumindest in Kauf nehmen.
Vor einigen Wochen wollte man uns glauben machen, dass die Ukraine in naher Zukunft alle Gebiete im Osten und Süden zurück erobern und die russischen Truppen vertreiben könnte. Wenn wir nur genügend Waffen liefern. Inzwischen greift Russland aus der Luft viele ukrainische Städte an, und es sind bereits 40% der ukrainischen Energieanlagen zerstört. Die Bevölkerung wird noch mehr leiden müssen. Trotzdem lehnt Präsident Selensky jegliche Verhandlungen mit Russland, die zu einem Ende der Kämpfe führen könnten, ab.
Verwundert und irritiert nahm ich zur Kenntniss, dass die Ukrainer und ihr Präsident den diesjährigen Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments erhalten haben. Keine Frage, die vom Krieg betroffenen Menschen in der Ukraine haben Solidarität und Anerkennung verdient. Die Kriegsrhetorik bei der Preisvergabe lässt mich aber erschrecken. Es heißt, die Auszeichnung gehe an „das tapfere Volk der Ukraine, vertreten durch seinen Präsidenten, gewählte Führer und die Zivilgesellschaft“. Die Welt sehe „Ukrainer heldenhaft ihr Land, ihre Freiheit, ihre Häuser, ihre Familien verteidigen“. Der Preis sei „für alle, die aufstehen und kämpfen“. Ich frage mich, ob das die ursprüngliche Intention des Sacharow-Preises war.
Ebenfalls in der gestrigen Zeitung fand sich die Überschrift: „SPD-Chef fordert Korrektur bei Russland-Politik“. Für einen kleinen Moment vermutete ich etwas Positives unter dieser Überschrift. Leider musste ich dann das Gegenteil lesen. Während es im Wahlprogramm der SPD 2021 noch hieß: „Frieden in Europa kann es nicht gegen, sondern nur mit Russland geben“, geht es laut Lars Klingbeil nun darum, „Sicherheit vor Russland zu organisieren“. Alle Annäherung sei ein Fehler gewesen. Ich frage mich, ob es jemals Frieden geben kann, ohne mit Russland zu reden. Ich weiß, dass der russische Überfall auf die Ukraine völkerrechtswidrig war und ist. Aber wollen wir wirklich weiter gegen Russland rüsten und kämpfen – bis zum bitteren Ende?
Eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung will das laut einer Umfrage der Körber-Stiftung jedenfalls nicht. Auch diese Meldung war, wenn auch nicht so leicht auffindbar, letzte Woche in der Zeitung zu lesen. Demnach wünschen sich 52% der Befragten mehr internationale Zurückhaltung von Deutschland, vor allem im militärischen Bereich. 41% befürworten ein stärkeres Engagement Deutschlands – dieses Engagement sollte jedoch bevorzugt diplomatisch (65%) statt militärisch (14%) oder finanziell (13 %) sein. Außerdem war zu lesen, dass sich 69% vor einem russischen Atomschlag sorgen, 80% vor einer Ausweitung des Krieges auf die Nato. Ich frage mich, wie es unseren Politikern gelingt, diese Sorgen zu verdrängen.
Auf der Suche nach einer besseren Nachricht bin ich in der Zeitung vom Mittwoch auf folgende Überschrift gestoßen: „Pfarrer sagen Nein zu Waffenlieferung“. Demnach haben einige evangelische Pfarrer in Württemberg eine Resolution auf den Weg gebracht. Darin heißt es: „Waffenlieferungen befeuern und verlängern einen grausamen Krieg…Die Botschaft Jesu ist nicht mit einer Politik der Aufrüstung in Einklang zu bringen.“ Der von Bundeskanzler Scholz genutzte Begriff der „Zeitenwede“ wird als „irreführend“ ebenso abgelehnt wie das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr. Von Hochrüstung profitiere vor allem die Rüstungsindustrie… Die Logik des Krieges sei zu durchbrechen. Einer der Initiatoren der Resolution, der Nürtinger Pfarrer Paul Bosler, sagte: „Wir hatten den Eindruck,dass die Debatte über die Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Angriff von Putin zu verengt geführt wird – sowohl in den Medien als auch in der Kirche“. Die Resolution wurde mit 50 Erstunterzeichnern auf den Weg gebracht und hat inzwischen ca. 200 Unterstützer. Leider haben zu Beginn des Krieges sowohl die Ratsvorsitzende der EKD als auch die katholische deutsche Bischofskonferenz Waffenlieferungen als gerechtfertigt bezeichnet. Daher ist zu hoffen, dass sich die mutige Initiative des Nürtinger Pfarrers weiter ausbreitet und sich Gehör verschafft. Ebenso die katholische Organisation Pax Christi, die in dieselbe Richtung aktiv ist. Wir wünschen ihnen jedenfalls viel Erfolg. Möge wenigstens die Kirche ihrem Friedensauftrag gerecht werden.
Doris:
Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen. Wir denken an die Opfer des Krieges in der Ukraine und an die Opfer der Kriege in anderen Ländern. An die Menschen, die im Krieg verletzt wurden an Leib und Seele. An alle, die ihr Leben verloren haben, seien es Soldaten oder Zivilisten. An alle, die ihre Heimat verlassen mussten. An die geschundene Natur, an die zerstörte Kultur. An alle, die sich gegen den Krieg einsetzen. Mögen die Politiker auf beiden Seiten endlich zur politischen Vernunft zurückkehren und eine weitere Eskalation verhindern.
Uwe:
„Wir brauchen 36,9 Milliarden Dollar, damit jedes Kind zwölf Jahre zu Schule gehen kann. Das klingt viel, doch diese Summe gibt die Welt in nur Acht Tagen für Militär aus. Das Geld ist da, es ist eine Frage der Prioritäten.“ (Malala Yousafzai, Fiedensnobelpreisträgerin 2014)
Uwe:
Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:
- Am morgigen Samstag,den 22. Oktober, rufen viele Organisationen unter dem Motto „Solidarischer Herbst – Soziale Sicherheit schaffen – Energiewende beschleunigen!“ in sechs Städten zur Demonstrationen auf, so auch in Stuttgart. Die Auftaktkundgebung beginnt um 12.00 Uhr auf dem Schlossplatz. Der Aufruf kommt u.a. von BUND, Verdi, Paritätischer Wohlfahrtsverband, DGB, NABU, Naturfreunde, Theaterhaus Stuttgart, , Greenpeace, AK Asyl Stuttgart, pax christi, Attac usw.
- seit Montag übt die NATO mit der Übung „Steadfast Noon“ den Einsatz von Atomwaffen. Auch Deutschland beteiligt sich an dem jährlich stattfindenden Manöver, bei dem geprobt wird, wie die in Europa gelagerten B-61-Atombomben unter Flugzeuge montiert und ins Ziel gebracht werden können. Dagegen gibt es ebenfalls am Samstag 22. Oktober eine Demonstration in Nörvenich. Sicher ist es uns nicht möglich, dabei zu sein, aber wir können die Demonstration in Gedanken unterstützen.
- Für Samstag, den 19. November 2022, ruft ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen unter dem Motto „Stoppt das Töten in der Ukraine – Aufrüstung ist nicht die Lösung“ zu bundesweiten Protesten auf. In möglichst vielen Städten soll es dezentrale Aktionen gegen den andauernden Krieg in der Ukraine und das Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung geben. Zum Bündnis gehören aktuell die Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden, attac, der Bund für Soziale Verteidigung, die DFGVK, das Netzwerk Friedenskooperative, Ohne Rüstung leben, usw. Auch in Stuttgart ist eine Veranstaltung geplant. Wir werden noch darüber informieren.
- Unsere nächste Mahnwache ist am kommenden Freitag, 28.10.22 um 18.00 Uhr auf dem Mittleren Marktplatz.
Bin kein Teil der Friedensbewegung, bin für Erhalt der Souveränität der Ukraine und für Waffenlieferungen, soweit sie die Souveränität sichern. Dennoch würde ich, wenn ich dort wohnte, an den Mahnwachen der Schorndorfer Friedensinitiative teilnehmen. Warum? Weil die Unterstützung des „Westens“ (v.a. USA) nicht prioritär auf die Souveränität der Ukraine zielt, sondern auf eine finale Schwächung Russlands. Dafür wird das tapfere ukrainische Volk noch ganz anders bluten müssen. Seine Souveränität könnte diplomatisch ausgehandelt werden, wahrscheinlich mit Gebietsverlusten, die aber diplomatisch in der Schwebe gehalten werden könnten, wär nix Neues (Kissinger). Wie soll aber Russland (Putins Krieg ist barbarisch und polit. Fehler) zu Friedensverhandlungen bereit sein, wenn Kriegsziel d. Westens auf Ausschaltung Russlands, wie es grad ist, als souveräne Macht zielt? Auch ich wünsche mir Russland als demokratische Macht, aber mit so einer Demütigungsstrategie? Eben so gehts nicht.So fließt weiter Blut in der Ukraine und unter russ. Soldaten. So werden kleine Leute in Deutschland, in der EU, weltweit v.a. im wirtschaftsschwachen Globalen Süden zu existentiellen Kollateral-Opfern einer konfrontativen Zeitenwende, die letzlich auf der USA beruht, die ihre ökonomische imperiale Macht bedroht sieht. Selensky ist ihr Spielball, vielleicht historisch ein tragischer Fall, wäre nicht der erste. Immer sollten die humanen Kosten gegenüber polit. Strategien aufgewogen werden. Was für mich dringend für Friedensverhandlungen spricht. Und dafür stehende Friedensinitiativen wie die Schorndorfer. Mein hoher Respekt.
Dieter Emig