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Es folgen die Beiträge dieser Mahnwache zum Nachlesen:
Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch zu unserer Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Vielen Dank allen, die heute gekommen sind.
„Warum steht ihr denn immer noch bei der Mahnwache? – Seht ihr denn nicht endlich ein, dass das überhaupt nichts bringt?“ So oder ähnlich werden wir seit über drei Jahren immer wieder gefragt. Doch aktuell scheint es tatsächlich immer schwieriger zu werden, unsere Überzeugung zu vertreten. Die Tatsachen scheinen unseren politischen Gegnern Recht zu geben. Im privaten Umfeld oder bei der Friedensbanner-Aktion Samstag vormittags hören wir Aussagen wie z. B.:
- «Geht doch zu Putin mit eurer Forderung nach Waffenstillstand und Verhandlungen“.
- „Selenskyj ist bereit zu einem bedingungslosen Waffenstillstand. Putin lehnt einen Waffenstillstand ab und lässt weiter die ukrainische Zivilbevölkerung bombardieren“.
- „Selenskyj ist bereit zu bedingungslosen Verhandlungen. Putin ist nicht einmal zum vereinbarten Termin erschienen und hat Selenskyj einfach sitzen lassen“.
- „Putin will keinen Frieden, sondern die totale Kapitulation der Ukraine“.
- „Putin hat sich noch nie an Vereinbarungen und Verträge gehalten“.
Wir alle haben wahrscheinlich schon Erfahrungen mit solchen Aussagen gemacht. Ich muss gestehen, dass es mir sehr schwer fällt, darauf spontan eine überzeugende Antwort zu finden. Die Menschen lesen ja jeden Tag in der Zeitung, dass es so ist wie sie sagen, und sie werden dadurch in ihrer Haltung bestärkt. Ich will nicht behaupten, dass die Zeitungen lügen. Aber:
- durch die Art der Darstellung entsteht oft ein einseitiger Eindruck. So war z.B. vor ca. 2 Wochen als dicke Überschrift zu lesen, dass Russland die Ukraine mit Hunderten von Drohnen angegriffen hat. Ganz unten im Kleingedruckten war zu finden, dass die Ukraine ebenfalls Hunderte von Drohnen auf Ziele in Russland abgefeuert hat.
- die Medien berichten über Fakten. Aber: welche Fakten werden groß herausgestellt, welche tauchen nur am Rand auf, welche werden weggelassen? Ist ein Weglassen nicht auch eine Art Fehlinformation?
- die Medien informieren über das, was aktuell geschieht. Aber sie informieren kaum über die Hintergründe. Was hat dazu geführt, dass es geschieht? Welche Vorgeschichte gibt es? Solche Erklärungen würden keine Rechtfertigung bedeuten. Aber sie würden dabei helfen, ein Geschehen einzuordnen und es besser zu verstehen.
- die Medien lassen Experten zu Wort kommen. Aber es handelt sich überwiegend um Experten mit gleicher oder ähnlicher Meinung. Andersdenkende tauchen kaum in den Sendungen oder Kommentaren auf.
Mit all diesen Beobachtungen kann ich natürlich mein Gegenüber trotzdem nicht überzeugen. Es ist nun mal leider Fakt, dass Putin bis jetzt einen Waffenstillstand ablehnt. Und dass er ein Treffen mit Selenskyj ablehnt, obwohl er selbst den Vorschlag dazu gemacht hatte. Sein Verhalten ist sozusagen „Wasser auf die Mühlen“ derjenigen, die schon immer die Welt in Gut und Böse eingeteilt haben. Wir sind die Guten, Putin verkörpert das Böse. Differenzierungen sind nicht gefragt. Es wird übersehen, dass beide Seiten derzeit nicht von ihren Maximalforderungen abgehen. Und es wird übersehen, dass der Westen zur Zeit zwar davon spricht, den Krieg beenden zu wollen, dass aber gleichzeitig neue Sanktionspakete gegen Russland und neue Waffenlieferungen an die Ukraine auf den Weg gebracht werden, sowie die Erlaubnis, Russland tief im Inneren anzugreifen. Die Ukraine startete kürzlich einen großangelegten Angriff auf russische Flugzeuge Tausende Kilometer hinter der Frontlinie und auf die Brücke zur Krim. Russland drohte Vergeltung an. Die Zeichen stehen auf weiterer Eskalation, der angebliche Friedenswille ist nirgends zu erkennen.
Ich erzähle manchmal davon, dass Deutschland schon mehrmals in der Geschichte Russland angegriffen hat mit der Folge von vielen Millionen russischer Toter, dass Russland aber noch nie Deutschland angegriffen hat. Oder dass sowjetische Soldaten das KZ Auschwitz befreit haben. Oder dass wir dem Russen Gorbatschow die deutsche Einheit zu verdanken haben. Oder dass Russland sich in der Vergangenheit an Verträge gehalten hat, während die USA wichtige Verträge aufgekündigt haben. Das alles scheint aber nicht mehr zu zählen. Es ist Geschichte, und Geschichte ist vorbei.
Die Situation erscheint zur Zeit total verfahren. Die Menschen fragen mich: „Welche Lösung sehen Sie denn?“ Auch hier muss ich zugeben, dass mir oft auf die Schnelle keine passenden Antwort einfällt. Ich denke an das Wort von Umberto Ecco: „Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Antwort. Und das ist – die falsche“. Ja, er hat Recht. Es gibt wirklich keine schnelle, keine einfache Antwort. Trotzdem ist es keine Alternative, sich ins Private zurückzuziehen, sich aus allem herauszuhalten, zu resignieren.
Es gibt keine einfachen Lösungen, aber es gibt sehr gute, sorgfältig ausgearbeitete Lösungsvorschläge von Fachleuten. Sie sind z.B. nachzulesen auf der Homepage der Friedensorganisation IPPNW unter der Überschrift: „Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine. Eine Sammlung bestehender Vorschläge und möglicher Schritte, den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie statt durch Waffen zu beenden“. Hier finden sich diplomatische Lösungsvorschläge auf der Ebene von UN und OSZE, Initiativen von Staaten wie China, Brasilien, Italien, usw., sowie ausgearbeitete Ideen von Friedensforschern, Militärs und Zivilbevölkerung: https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Waffenstillstand_und_Frieden_Ukrainekonflikt.pdf
Oder es gibt die Möglichkeit, sich auf den „NachDenkSeiten“ zu informieren, was andersdenkende Expertinnen und Experten zu sagen haben und welche Lösungen sie sehen. Auch ausländische Zeitungen berichten manchmal über Meinungen und über Fakten, über die in unseren Zeitungen nichts zu lesen ist. Es kann für uns selbst hilfreich sein, wenn wir uns gut informieren. Trotzdem gibt es keine einfachen Antworten auf komplexe Probleme wie Krieg und Aufrüstung. Und doch: es gibt gewisse Werte, Aussagen und Einstellungen, die wahr sind und wahr bleiben, unabhängig davon, was gerade um uns herum geschieht. Ich will versuchen, einige davon zu formulieren:
- Kriege müssen durch Diplomatie und Verhandlungen so schnell wie möglich beendet werden. Jeder Kriegstag ist einer zu viel.
- Auch mit Diktatoren muss man reden, der Gesprächsfaden darf niemals ganz abreißen.
- Um Frieden zu schaffen, muss man die Vorgeschichte eines Krieges beachten. Das ist eine Voraussetzung, um Lösungen zu finden.
- Man muss versuchen, einmal die Perspektive des Gegners einzunehmen, um seine Interessen nachvollziehen zu können.
- So schwierig der Weg zu Verhandlungen auch ist, es bleibt trotzdem richtig, ihn zu gehen.
- Durch immer mehr Aufrüstung lässt sich keine Sicherheit schaffen. Das Gegenteil ist der Fall.
- Unsere Sicherheit darf nicht auf der Existenz von Massenvernichtungswaffen beruhen. Dies ist absolut unmoralisch.
- Es ist nicht hinnehmbar, unvorstellbar große Geldsummen in todbringende Waffen zu stecken, während immer mehr Menschen verhungern, während unsere Natur zugrunde geht.
- Es ist nicht erlaubt, den Krieg herbeizureden, während man nichts dafür tut, um ihn zu verhindern.
- Kinder brauchen keine Erziehung zur Kriegsangst, sondern eine konsequente Friedenserziehung.
- Krieg ist und bleibt kein Mittel der Politik, sondern ein Versagen der Vernunft.
- Wir müssen friedensfähig, nicht kriegstüchtig werden.
Solche oder ähnliche Sätze können uns Halt geben. Sie klingen schlicht, sie sind aber nicht naiv. Sie haben Bestand. Lassen wir uns also nicht von unserem Weg abbringen. Lassen wir uns nicht entmutigen!
Doris:
Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen. Wir denken an die Opfer der Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, und an die Opfer der Kriege in anderen Ländern, die oft vergessen werden. An die Menschen, die im Krieg verletzt wurden an Leib und Seele. An alle, die ihr Leben verloren haben, seien es Soldaten oder Zivilisten. An alle, die ihre Heimat verlassen mussten und auf der Flucht sind. An die geschundene Natur, an die zerstörte Kultur. An alle, die sich gegen den Krieg einsetzen. Mögen die Politiker auf allen Seiten endlich zur Vernunft kommen und eine weitere Eskalation verhindern.
Doris:
Der russische Kinderbuchautor Samuil Marschak, geboren 1887, schaute einmal siebenjährigen Kindern beim Spielen zu. „Was spielt ihr?“ fragte er. Die Antwort: „Wir spielen Krieg“. Darauf Marschak: „Wie kann man nur Krieg spielen! Ihr wisst doch, wie schrecklich der Krieg ist. Wollt ihr nicht Frieden spielen?“ „Eine prima Idee“, sagten die Kinder. Dann war Schweigen, Beratung, Tuscheln. Wieder Schweigen. Schließlich wandte sich eines der Kinder Marschak zu und fragte: „Großväterchen, wie spielt man Frieden?“
Doris:
Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:
- Von 9. – 13.Juni findet ab Esslingen bis Heidenheim ein „Pilgerweg des Friedens“ statt. Am Pfingstmontag, 09.06., wird er bei uns in Schorndorf Station machen. Um 18 Uhr gibt es im Martin-Luther-Haus eine Friedensandacht. Es ist auch möglich, Teile des Weges mit zu pilgern. Organisiert wird der Pilgerweg von Roland Blach, Friedenswerkstatt Mutlangen und Pfarrer Bührer aus Esslingen.
- Der 15. Juni wurde vom Bundestag 2024 zum jährlichen nationalen „Veteranentag“ erklärt. Dagegen findet von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr am Schlossplatz in Karlsruhe ein friedenspolitischer Aktionstag mit vielen kreativen Aktionen statt. Veranstalterin ist die Partei „Die Linke“ Karlsruhe.
- Am Mittwoch, den 25. Juni gibt es in der Manufaktur Schorndorf einen Vortrag mit dem Wirtschaftsexperten Dr. Wolfgang Kessler zum Thema: „Das Ende des billigen Wohlstands“. Mitveranstalter ist der Weltladen El Mundo.
- Die Friedensorganisation Pax Christi und die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft haben auf der Internetplattform openPetition eine Petition gestartet. Titel: „Den palästinensischen Staat anerkennen – das palästinensische Selbstbestimmungsrecht respektieren“. Hier der Link zur Petition: https://www.openpetition.de/petition/online/den-staat-palaestina-anerkennen.
Man kann aber auch gerne hier bei uns die Petition auf Paper unterschreiben. - Amnesty International hat zusammen mit vielen Prominenten einen Offenen Brief an die Bundesregierung zur Situation in Gaza gestartet. Der Link zum Unterschreiben: https://www.amnesty.de/aktuell/deutschland-gaza-israel-offener-brief-forderungen-bundesregierung.
- Eine weitere Petition setzt sich dafür ein, dass der Vertrag über das Verbot von Landminen nicht aufgehoben wird. Polen, Finnland und Estland erwägen den Austritt aus dem weltweiten Verbot. Lettland und Litauen haben auf Druck der USA bereits für den Austritt gestimmt. Der Link zur Petition: https://action.wemove.eu/sign/2025-05-landmine-ban-petition-DE/?referring_akid=10883.125047.0HmamI&s.
- Unsere nächste Mahnwache findet am kommenden Freitag, den 13. Juni um 18.00 Uhr wieder hier auf dem Marktplatz statt.
Der Votrag von Doris hat mir sehr gefallen. Es geht um die Gesamtstimmung in den herrschenden Politikkreisen und die kann Sorgen machen. Als sei ein Krieg ohne ein zivilisatorisches Desaster führbar. Putin wird Angriffsbereitschaft gegenüber der EU unterstellt. Dabei sind die russischen strategischen Erfolge in der Ukraine nach 3 Jahren eher lächerlich. Für Europas, erst recht Deutschlands Kriegsfähigkeit werden Jahre, ja Jahrzehnte angesetzt. Und Putin wartet so lange, bis er «niedergerüstet» ist? Ein Szenario für den Sandkasten. Die vielen Billionen Euro fehlen für Klimatüchtigkeit und gegen die soziale Spaltung bzw.den Niedergang der unteren Schichten in Europa. Das spüren viele Menschen, aber sie sind ratlos und frustriert.
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