Bild von Regina Bender_European Peace Project
Hier die Beiträge der Mahnwache:
Martin:
Guten Abend, ich grüße Sie und euch alle zu unserer Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Schön, dass Sie und ihr alle gekommen seid.
80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges möchte ich uns heute ermutigen, in die Zukunft zu blicken und Wege zu einer friedvollen Zukunft zu gehen. Die Zukunft ist wichtiger als die Vergangenheit, dennoch lohnt sich der Blick zurück, um daraus für die Ausrichtung nach vorne zu lernen.
Gestern, am 8. Mai, war ein wichtiger Gedenktag, und der Tag heute, der 9. Mai, ist eng damit verbunden. Wie nennen wir die Ereignisse, um die es geht? Vor 80 Jahren, am 7. Mai 1945 unterzeichnete Generaloberst Jodl in Reims (Frankreich) im Hauptquartier von General Eisenhower, dem Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Sie trat am 8. Mai 1945 um 23 Uhr in Kraft. Der sowjetische Staatschef Josef Stalin drängte auf eine Wiederholung der Zeremonie im sowjetischen Machtbereich. In der Nacht zum 9. Mai unterschrieb Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht, die Kapitulationsurkunde im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst. Nach mehr als fünf Jahren Krieg schwiegen in Europa endlich die Waffen.
Während meiner Schulzeit nannte man dieses Ereignis meist „Zusammenbruch“.
Ich lebte während dem Krieg in Meersburg am Bodensee, wo wir glücklicherweise vom direkten Kriegsgeschehen verschont gewesen waren. Nur am letzten Tag vor dem Einmarsch der Franzosen hatten einige verrückte „Kriegstüchtige“ von einem Hügel aus in Richtung Front geschossen. Ich erinnere mich noch an das Knattern der Maschinengewehre und an den nachfolgenden lauten Knall, der dem Spuk ein Ende bereitete. Zum Glück begnügten sich die Franzosen mit diesem einen Schuss, der ganz in unserer Nachbarschaft einschlug.
In Berlin war es ganz anders. Die alten Männer des Volkssturms und die Kinder, denen man Panzerfäuste in die Arme gedrückt hatte, verursachten in den letzten Tagen in der Hauptstadt nochmal Tausende Tote. Ich frage mich, ob sich diejenigen, die derzeit die Militarisierung der Gesellschaft und ihre Kriegstüchtigkeit betreiben, über die Konsequenzen ihrer Handlungen klar sind.
Das Ende des Krieges vor 80 Jahren kann ich nicht bedenken, ohne wenigstens an einige Stationen davor zu erinnern:
- Am 30. April 1945 machte Adolf Hitler, der große „Führer“ sich feige durch Selbstmord aus dem Staub.
- Kurz vor dem absehbaren Ende wurden noch viele Gefangene ermordet, darunter am 9. April auch Dietrich Bonhoeffer.
- Vom 4. bis 11. Februar 1945 fand in Jalta (ich wusste nicht, dass Jalta ein Badeort auf der Krim ist) das Gipfeltreffen der Staatschefs der USA (Franklin D. Roosevelt), Großbritanniens (Winston Churchill) und der Sowjetunion (Josef Stalin) statt. Die Konferenz war entscheidend für die Gestaltung der Nachkriegsordnung, insbesondere für die Aufteilung Deutschlands, die Zukunft Polens und die Gründung der Vereinten Nationen.
- Und natürlich gehören zum Gedenken an den 8. und 9. Mai die 60 Millionen Toten, die Zerstörungen und vielfältigen Folgeschäden; und auch die Millionen Flüchtlinge, die aus den Ostgebieten vertrieben wurden.
Am 8. Mai 1985, also 40 Jahre nach dem Ende der Kampfhandlungen, hielt Bundespräsident Richard von Weizsäcker eine bedeutende Rede. Er sagte, sehr zum Ärger von Manchen: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Und er fuhr fort: „Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen. Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfeiern zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.“
Was würde von Weizsäcker wohl heute, nach weiteren 40 Jahren, sagen? Heute, da wieder massiv aufgerüstet und die Militarisierung der Gesellschaft betrieben wird. Und soll sich die klägliche Rolle der Kirchen wiederholen?
Oft ist auch wichtig zu sehen, was nicht bedacht oder berichtet wird. Zweimal wurde Russland von Deutschland angegriffen. Im Zweiten Weltkrieg hatte es 27 Millionen Tote zu beklagen. Erst die Siege bei Stalingrad und Kursk hatten den West-Alliierten die Landung in der Normandie ermöglicht. Die Rote Armee hatte Auschwitz und viele weitere KZs befreit und mit großen eigenen Verlusten Berlin erobert und zu unserer Befreiung beigetragen. Ich finde es absolut beschämend, dass zu den offiziellen 80-Jahre-Feiern die russischen Vertretungen nicht eingeladen wurden.
Heute ist noch ein weiterer Gedenktag: vor genau 75 Jahren, am 9. Mai 1950, verlas der damalige französische Außenminister Robert Schuman eine Erklärung, die als Geburtsstunde dessen gilt, was wir heute Europäische Union nennen.
Der Vorschlag der Schuman-Erklärung war die Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Um weiteren Kriegen vorzubeugen, einigten sich die Regierungen einiger europäischer Länder darauf, ihre Kohle-und Stahlproduktion zusammenzulegen. Auf diese Weise wollten sie einen weiteren Krieg zwischen den Erzrivalen Frankreich und Deutschland nach dem Wortlaut der Schuman-Erklärung „nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich“ machen.
Die wichtige, hilfreiche, Frieden fördernde Schuman-Erklärung begann allerdings mit einem Satz, der sich wie ein Tumor in das Friedensprojekt Europa einnistete, dessen Metastasen wir heute in allen außenpolitischen Äußerungen der EU erleben. Schuman eröffnete seine Erklärung mit dem Satz: „Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.“
1950 war der „Kalte Krieg“ bereits voll im Gange. Die Begründungs-Erzählungen für die Bedrohung waren damals wie heute nur vorgeschoben. Für die USA, die nach 1945 beanspruchten, die einzige Weltmacht zu sein, war ein mit Russland vereintes Europa eine zu große wirtschaftliche Konkurrenz. Also musste Russland, damals als Sowjetunion, als Bedrohung dargestellt und mit Hochrüstung abgeschreckt, bedroht und niedergehalten werden. Die vorläufig letzte Auswirkung dieser Bedrohungs-Erzählung ist der Stellvertreterkrieg auf dem Rücken der Ukraine. Doch Frieden in Europa ist nur mit und nicht gegen Russland möglich.
Und das ist die Zukunftsvision des European Peace Projects, dessen Manifest heute um 17 Uhr in allen Ländern und Regionen Europas Tausende Menschen zustimmend und lautstark verlesen haben. Das ist geballte Energie, die die Metastasen der Bedrohungs-Erzählung bekämpft und besiegen wird. Es hat heute begonnen und wird weitergehen. In diesem Sinne lese ich jetzt hier auf dem Schorndorfer Marktplatz das Manifest, verfasst von Ulrike Guérot, Peter van Stigt und Isabell Casel.
Manifest – European Peace Project
Heute, am 9. Mai 2025 – genau 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der 60 Millionen Menschen das Leben kostete, darunter 27 Millionen Sowjetbürgern, erheben wir, die Bürgerinnen und Bürger Europas, unsere Stimmen! Wir schämen uns für unsere Regierungen und die EU, die die Lehren des 20. Jahrhunderts nicht gelernt haben. Die EU, einst als Friedensprojekt gedacht, wurde pervertiert und hat damit den Wesenskern Europas verraten! Wir, die Bürger Europas, nehmen darum heute, am 9. Mai, unsere Geschicke und unsere Geschichte selbst in die Hand. Wir erklären die EU für gescheitert. Wir beginnen mit Bürger-Diplomatie und verweigern uns dem geplanten Krieg gegen Russland! Wir anerkennen die Mitverantwortung des „Westens“, der europäischen Regierungen und der EU an diesem Konflikt.
Wir, die Bürger Europas, treten mit dem European Peace Project der schamlosen Heuchelei und den Lügen entgegen, die heute – am Europatag – auf offiziellen Festakten und in öffentlichen Sendern verbreitet werden.
Wir strecken den Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine und Russlands die Hand aus. Ihr gehört zur europäischen Familie, und wir sind überzeugt, dass wir gemeinsam ein friedliches Zusammenleben auf unserem Kontinent organisieren können.
Wir haben die Bilder der Soldatenfriedhöfe vor Augen – von Wolgograd über Riga bis Lothringen. Wir sehen die frischen Gräber, die dieser sinnlose Krieg in der Ukraine und in Russland hinterlassen hat. Während die meisten EU-Regierungen und Verantwortlichen für den Krieg hetzen und verdrängen, was Krieg für die Bevölkerung bedeutet, haben wir die Lektion des letzten Jahrhunderts gelernt: Europa heißt „Nie wieder Krieg!“
Wir erinnern uns an die europäischen Aufbauleistungen des letzten Jahrhunderts und an die Versprechen von 1989 nach der friedlichen Revolution. Wir fordern ein europäisch-russisches Jugendwerk nach dem Vorbild des deutsch-französischen Jugendwerks von 1963, das die „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich beendet hat. Wir fordern ein Ende der Sanktionen und den Wiederaufbau der Nord Stream II-Pipeline. Wir weigern uns, unsere Steuergelder für Rüstung und Militarisierung zu verschwenden, auf Kosten von Sozialstandards und Infrastruktur. Im Rahmen einer OSZE-Friedenskonferenz fordern wir die Schaffung einer europäischen Sicherheitsarchitektur mit und nicht gegen Russland, wie in der Charta von Paris von 1990 festgelegt. Wir fordern ein neutrales, von den USA emanzipiertes Europa, das eine vermittelnde Rolle in einer multipolaren Welt einnimmt. Unser Europa ist post-kolonial und post-imperial.
Wir, die Bürger Europas, erklären diesen Krieg hiermit für beendet! Wir machen bei den Kriegsspielen nicht mit. Wir machen aus unseren Männern und Söhnen keine Soldaten, aus unseren Töchtern keine Schwestern im Lazarett und aus unseren Ländern keine Schlachtfelder.
Wir bieten an, sofort eine Abordnung europäischer Bürgerinnen und Bürger nach Kiew und Moskau zu entsenden, um den Dialog zu beginnen. Wir werden nicht länger zusehen, wie unsere Zukunft und die unserer Kinder auf dem Altar der Machtpolitik geopfert wird.
Es lebe Europa, es lebe der Friede, es lebe die Freiheit
Doris:
Wir werden jetzt eine Minute schweigen und das Gehörte nachwirken lassen.
Doris:
Anstelle eines literarischen Beitrags hören wir jetzt das Lied, das für das European Peace Project geschrieben wurde: „Europa des Friedens“ von Andreas Meinhardt. Das Lied kann hier angehört werden:
Doris:
Ich möchte noch folgendes mitteilen:
- Am Mittwoch, den 14. Mai um 19.00 Uhr lädt die Ökumenische Friedensgruppe der Stadtkirchengemeinde Schorndorf zu einer Veranstaltung in der Stadtkirche ein. Titel: „Lieder aus Taizé und Texte zum Frieden“
- Am Samstag, den 17. Mai gibt es wieder einen kirchlichen Aktionstag am Atomwaffenstandort Büchel. Es gibt noch freie Plätze in einem Bus ab Karlsruhe. Bitte bei Interesse nachher bei mir melden.
- Wer morgen bei der Friedensbanner-Aktion mithelfen kann, möge sich nachher bitte ebenfalls bei mir melden.
- Unsere nächste Mahnwache findet am kommenden Freitag, den 16. Mai um 18.00 Uhr wieder hier auf dem Marktplatz statt.
- Bevor wir unsere Mahnwache beenden, hören wir noch einmal ein Lied, das sicher viele von uns kennen. Es wurde 1981 von der niederländischen Musikgruppe Bots gespielt und hat den Titel „Das weiche Wasser bricht den Stein“. Bitte bleiben Sie noch da, bis das Lied zu Ende ist.
Das Lied (mit dem Text sie unten) kann hier angehört werden:
Europa hatte zweimal Krieg
Der dritte wird der letzte sein
Gib bloß nicht auf, gib nicht klein bei
Das weiche Wasser bricht den Stein
Die Bombe die kein Leben schont
Maschinen nur aus Stahlbeton
Hat uns zu einem Lied vereint
Das weiche Wasser bricht den Stein
Es reißt die schwersten Mauern ein
Und sind wir schwach und sind wir klein
Wir wollen wie das Wasser sein
Das weiche Wasser bricht den Stein
Raketen steh´n vor unsrer Tür
Die soll´n zu unserm Schutz hier sein
Auf solchen Schutz verzichten wir
Das weiche Wasser bricht den Stein
Die Rüstung sitzt am Tisch der Welt
Und Kinder die vor Hunger schrei´n
Für Waffen fließt das große Geld
Doch weiches Wasser bricht den Stein
Komm feiern wir ein Friedensfest
Und zeigen wie sich’s leben lässt
Mensch! Menschen können Menschen sein
Das weiche Wasser bricht den Stein
Von dieser mit über 30 Menschen gut besuchten Mahnwache haben wir eine Reihe von Fotos gemacht, die Sie bzw. Ihr im folgenden anschauen können:
Lieber Detlef, Danke für die Fotos und die Lieder!
„Das weiche Wasser“ haben wir schon bei den Demos vor 45 Jahren gesungen; wie unfassbar traurig, dass das heute wieder genauso aktuell ist.
In einem Kommentar auf YouTube ist zu lesen, dass die Schreiberin das Lied in den Achtzigern in der Schule gelernt hat. Heute wäre das wohl kaum mehr möglich; anstatt Friedenslieder zu lernen, kommt die Bundeswehr in die Schulen, um unsere Kinder für den Krieg zu begeistern.
Auch wenn wir in diesen Zeiten weitaus weniger sind, die das Lied singen, lassen wir uns nicht entmutigen und freuen uns besonders über die europaweite Initiative „European Peace Project“, möge uns diese einer friedlichen Zukunft Europas näher bringen.