Es folgen die Beiträge auf dieser Mahnwache im Wortlaut:
Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer 46. Mahnwache gegen den Krieg. Vielen Dank allen, die auch heute wieder gekommen sind. Obwohl es bestimmt angenehmere Dinge zu tun gäbe als hier zu stehen und sich den Schrecken des Krieges zu stellen.
Ja, man könnte doch einfach den Abend genießen und sich darüber freuen, dass es jetzt schon wieder viel heller ist, dass alles zu blühen beginnt, dass es Frühling wird. Am Montag war ja Frühlingsanfang. Das Frühjahr steht für Licht, Wachstum und Farbenfreude, für neues Leben. Welch ein schrecklicher Kontrast dazu ist der Begriff „Frühjahrsoffensive“, der seit Wochen in den Nachrichten erscheint. Sowohl das russische, als auch das ukrainische Militär plant eine solche „Frühjahrsoffensive“. Ziel ist es auf beiden Seiten, die jeweils andere Seite zu besiegen. Das soll erreicht werden mittels einer gigantischen Menge an neuer Munition, zusätzlichen Kampfpanzern, Kampfjets usw., die Unsummen von Geld kosten, Unmengen von Ressourcen verschlingen und Unmengen von Treibhausgasen produzieren. Und: Das Ziel soll erreicht werden, indem man auf beiden Seiten weitere Tausende von Menschenleben opfert. Nein! Wenn ich mir diese „Frühjahrsoffensive“ ausmale, dann wünsche ich fast, es möge nicht Frühling werden.
Letzten Freitag waren zwei Aussagen des ukrainischen Botschafters Oleksii Makejev in der Zeitug zu lesen. Er sagte:
- Verhandlungen sind erst nach einer militärischen Niederlage Russlands möglich.
- Die Welt darf nicht noch einmal den Fehler machen, Russland bei irgendetwas einzubeziehen.
Beide Aussagen halte ich für äußerst verhängnisvoll. Warum?
Zu 1: Obwohl führende Militärexperten bezweifeln, dass ein militärischer Sieg der Ukraine über Russland möglich ist, geht Makejev davon aus, dass die ukrainischen Truppen die russischen Truppen aus der gesamten Ukraine einschließlich der Krim vertreiben werden. Kein Wort davon, wie viele Tote für dieses Ziel in Kauf genommen werden. Er geht weiter davon aus, dass Russland dann kapitulieren wird. Dies halte ich für ziemlich realitätsfremd. Viel wahrscheinlicher ist es leider, dass Russland Atomwaffen einsetzen könnte, um eine solche Niederlage zu verhindern. Laut Makejev soll es nach dem Sieg sogenannte „Verhandlungen“ geben darüber „ wie Kriegsverbrecher bestraft werden können, wie Russland Reparationen für Zerstörungen und Gräueltaten zahlt und wie garantiert werden kann, dass Russland keinen Krieg mehr in der Nachbarschaft starten kann“. Diese „Verhandlungen“ sehen also so aus, dass der Westen die Bedingungen diktiert. Mit der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs „Verhandlungen“ hat dies allerdings nichts zu tun.
Nein! Es wären stattdessen jetzt sofort echte Verhandlungen nötig, bei denen Vertreter beider Seiten zusammen mit einem neutralen Vermittler an einem Tisch sitzen und ernsthaft um eine Lösung ringen. Ziel muss es sein, die allerschlimmste Katastrophe noch zu vehindern. Dazu müssen beide Seiten Kompromisse machen.
Zu 2: Makejev will Russland nie wieder bei irgendetwas einbeziehen. Auch diese Forderung ist nicht nur realitätsfremd, sondern absolut falsch. Die großen Probleme der Menschheit wie Hunger, Naturkatastrophen, Seuchen, die Folgen des Klimawandels usw. lassen sich nur gemeinsam lösen. Auch wenn es niemand hören will: Wir sind auf die Zusammenarbeit mit Russland und auch mit China angewiesen, um künftigen Generationen auf dieser Erde noch ein Leben zu ermöglichen.
Wann endlich werden unsere Politiker das Tabu brechen, dass man ukrainischen Politikern anscheinend nicht widersprechen darf? Wann endlich werden sie unrealistische Forderungen ablehnen und auch die Folgen dieser Forderungen benennen? Wann werden sie endlich beide Seiten zu ernsthaften Verhandlungen und zu einem dringend nötigen Waffenstillstand drängen? Es ist an uns, unsere Politiker immer wieder dazu aufzufordern, z.B. indem wir das „Manifest für Frieden“ unterschreiben, zum Ostermarsch gehen, einfach selbst einen Brief an verschiedene Politiker schreiben usw. Ich höre schon unsere Kritiker sagen: „Das bringt doch alles nichts!“ Aber ich frage: Was ist die Alternative?
Es gibt keine Alternative als immer wieder laut und deutlich „Nein“ zu sagen zum Krieg. Denn es gibt nicht nur in jedem Krieg Kriegsverbrechen, der Krieg selbst ist ein Verbrechen. Ein Verbrechen an der Menschheit und an der Schöpfung. Und eine Niederlage der Vernunft, der Wahrheit und der Moral. Wir verurteilen den Angriffskrieg, aber auch das Befeuern des Krieges mit immer mehr Waffen.
Vor genau 20 Jahren begann ein anderer Krieg, nämlich die Invasion der USA und ihrer Verbündeten im Irak. Vor einigen Tagen haben wir in der Zeitung davon gelesen. Es wurde berichtet, dass ab dem 20. März 2003 ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats 6 Wochen lang irakische Städte bombardiert worden waren unter dem Vorwand, der Irak plane den Einsatz von Massenvernichtungswaffen und unterstütze den Terrorismus. Beide Vorwürfe stellten sich als falsch heraus. Die angeblichen Beweise waren von den USA konstruiert worden. Das weiß man heute. Die Invasion und die 8-jährige Besatzung forderten mehrere Hunderttausend Tote. Und: „Die Folgen der Invasion und der Besatzung wirken bis heute“. So steht es wörtlich in der Zeitung. Der Redakteur Dieter Fuchs schreibt überraschend deutlich: Der Angriff der USA war „ein willkürlicher, rücksichtsloser Akt, der die Weltgemeinschaft dauerhaft beschädigte und die Region ins Chaos stürzte“. Auch diesem Krieg lagen laut Fuchs „eklatante politische und militärische Fehleinschätzungen“ zugrunde. Trotzdem verhängte niemand Sanktionen gegen die USA. Trotzdem wurde die Friedensbewegung auch damals mit Vorwürfen überhäuft, als sie gegen diesen Krieg protestierte.
Ich erwähne den Irak-Krieg nicht deshalb, weil ich ihn mit dem Ukraine-Krieg gleichsetzen will. Sicherlich gibt es viele Unterschiede. Ich erwähne ihn auch nicht, um den russischen Angriffskrieg zu rechtfertigen. Ein Unrecht kann nicht mit einem anderen Unrecht aufgerechnet werden. Aber ich setze mich ein gegen die Selbstgerechtigkeit, mit der der Westen oft argumentiert und gegen die Einteilung der Welt in Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Die Wirklichkeit ist komplex und kompliziert. Ich erwarte von unseren Politikern, dass sie differenzieren können und sich bei ihrem Urteilen und Handeln von Fachleuten beraten lassen. Und ich erwarte, dass sie Rückgrat haben und Haltung zeigen, auch wenn sie sich da-durch der Kritik aussetzen.
In diesem Zusammenhang möchte ich an die kürzlich verstorbene Grünen-Politikerin und ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer erinnern. Sie ist bis zum Schluss ihrer friedenspolitischen Überzeugung treu geblieben und gehört zu den Erstunterzeichnerinnen des „Manifest für Frieden“.
Das Aufeinandertreffen zweier weiterer Nachrichten dieser Woche zeigt, wie grotesk unsere Wirklichkeit ist. Die eine Nachricht: Der Weltklimarat machte deutlich, dass ohne drastische Minderungen der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen das 1,5 Grad-Ziel der Erderwärmung noch in diesem Jahrzehnt überschritten wird. Ohne drastische Gegenmaßnahmen führt dies zu katastrophalen Verhältnissen auf der Erde. Selbst Außenministerin Baerbock erklärte, „dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir als Weltgemeinschaft sitzen“. Die andere Nachricht in derselben Ausgabe der Zeitung lautet: „EU will Ukraine eine Million Artilleriegeschosse liefern“. Dazu soll die Produktionskapazität der europäischen Rüstungsindustrie für die kommenden jahre drastisch erhöht werden. Wer den Ast der Weltgemeinschaft nicht absägen will, muss doch endlich umkehren auf dem Weg in die Sackgasse. Rüstung tötet täglich, und nicht nur im Krieg, schon allein durch ihre Produktion.
Zum Schluss möchte ich noch eine kleine positive Meldung erwähnen,die ich ebenfalls diese Woche in der Zeitung gefunden habe. Serbien und der Kosovo, die ab 1999 einen erbitterten Krieg mit vielen Opfern geführt hatten, und die vor nicht allzu langer Zeit erneut kurz vor einem bewaffneten Konflikt standen, haben sich auf ein Abkommen zur Regelung ihrer Beziehungen verständigt. Der EU-Außenbeauftragte Borrell und der Balkan-Sondergesandte der EU Lajcak hatten bei den Gesprächen zwischen dem serbischen und dem kosovarischen Präsidenten vermittelt. Natürlich ist auch diese Situation nicht mit dem Ukraine-Krieg vergleichbar. Aber dennoch: erfolgreiche Verhandlungen sind möglich. Verständigung mit Hilfe von Vermittlern ist möglich. Es gibt eine Alternative zum Krieg.
Doris:
Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen. Wir denken an die Opfer des Krieges in der Ukraine und an die Opfer der Kriege in anderen Ländern. An die Menschen, die im Krieg verletzt wurden an Leib und Seele. An alle, die ihr Leben verloren haben, seien es Soldaten oder Zivilisten. An alle, die ihre Heimat verlassen mussten. An die geschundene Natur, an die zerstörte Kultur. An alle, die sich gegen den Krieg einsetzen. Mögen die Politiker auf beiden Seiten endlich zur politischen Vernunft kommen und eine weitere Eskalation verhindern.
Uwe:
Dwight D. Eisenhower:
„Jede ausgelieferte Kanone, jedes vom Stapel gelaufene Kriegsschiff, jede abgefeuerte Rakete bedeutet in letzter Konsequenz Diebstahl an jenen die hungern, frieren, nichts zu essen und keine Kleidung haben.“
Anmerkung:
Der frühere Präsident der USA drückt in den 50er Jahren drastisch das gleiche aus, was die Friedensnobelpreisträgerin von 2014, Malala Yousafazai wie folgt äußerte:
„Wir brauchen 39.6 Milliarden Dollar, damit jedes Kind zwölf Jahre zur Schule gehen kann.
Das klingt viel, doch diese Summe gibt die Welt in nur acht Tagen für Militär aus.
Das Geld ist da, es ist eine Frage der Priorität.“
Hierzu passt sehr gut, was gestern in den Nachrichten zu hören war, dass die EU die Ukraine mit über einer Million großkaliebrigen Artilleriegranaten beliefern möchte.- Über die Millionen oder gar Milliarden Euro, die diese Munition kostet, wurden keine Angaben gemacht.
Ebenfalls wurde in den gestrigen Nachrichten bezüglich der derzeit, in New York“ stattfindenden Wasserkonferenz berichtet, dass 40 Prozent der Menschen dieser Erde kein sauberes Trinkwasser zur Verfügung stünde, und dass täglich 1000 Kinder, vorwiegend des geographischen Südens sterben würden, weil sie, statt sauberen Wassers, nur Dreckbrühe zu trinken hätten.
Ich möchte mich nun hier nicht darüber auslassen, ob die Ukraine mit den von der EU versprochenen Munitions- und Waffenlieferungen , wie behauptet sich nur, und berechtigt, gegen einen Aggressor verteidigt. Waffen und Munition werden hergestellt, um Menschen zu ermorden und verschlingen Geld, das, wie Frau Yousafazai sagt, fehlt, um materielle und soziale Not weltweit bekämpfen zu können. Deshalb fordern wir weiterhin, gemeinsam mit den Frauen Schwarzer und Wagenknecht, dass diplomatische Schritte unternommen werden müssen, um einen Waffenstillstand in der Ukraine zu erwirken!
Bevor wir nun unsere heutige Mahnwache gegen den Krieg beenden, hier noch ein Hinweis:
- Wer den Appell von Frau Schwarzer und Wagenknecht analog unterschreiben möchte, kann dies nach Beendigung unserer heutigen Mahnwache tun. – Bitte kommen Sie nachher zu uns!
- Ebenfalls unterschreiben können sie einen Appell des Forums Ziviler Friedensdienst an Bundeskanzler Scholz, mit dem Motto: „Leiten Sie ein Friedenswende ein“.
- Über die an verschiedenen Orten in Baden-Württemberg am Sa., 8.April d.J. stattfindenden Ostermärsche, werden wir bei unserer nächsten Mahnwache, heute in einer Woche, ausführlich informieren.
Nun wünschen wir ihnen einen guten Nachhauseweg und ein schönes Wochenende.