Martin Luther King und die Friedensbewegung heute

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An dieser Stelle kann man natürlich darauf verweisen, dass es heute in der Welt viel zu viele kriegerische Auseinandersetzungen gibt. Dass das Wettrüsten immer weiter angeheizt wird.

Dadurch fehlen zum einen Geld und Ressourcen für die Lösung so wichtiger Probleme wie dem Klimawandel, der sozialen Ungerechtigkeit in der Welt und vieles mehr. Da gibt es sehr viele Gründe dafür, dass Menschen sich dafür engagieren, dass endlich abgerüstet wird, statt immer weiter aufzurüsten. Im Hintergrund lauert zusätzlich immer noch die Gefahr, dass irgendein Staatsführer doch einmal einen dritten Weltkrieg mit atomaren Waffen auslöst, was den Untergang der Menschheit bedeuten könnte.

Viele Menschen sind seit langem in der Friedensbewegung aktiv (meiner Meinung nach allerdings viel zu wenige). Diese eint letztlich ein Ziel: Sie wollen eine Welt, in der es keine Waffen mehr gibt, in der alle Konflikte in der Welt mit friedlichen Mitteln gelöst werden. Das ist in der heutigen Welt leider eine sehr radikale Forderung. Nichts deutet darauf hin, dass daraus in absehbarer Zeit etwas werden könnte. Die Aufrüstungsspirale dreht sich in einem Tempo, wie seit langem nicht mehr. Von der Entspannungspolitik ist so gut wie nichts mehr übriggeblieben, Lügen und Hetze bestimmen mehr und mehr die Auseinandersetzungen in der sogenannten Staatengemeinschaft.

Wenn wir darauf warten, dass auch nur ein Staat von sich aus auf die Idee kommt, zu sagen: Für uns ist jetzt Schluss mit diesem Wahnsinn, wir fangen jetzt an abzurüsten. Wenn wir tatsächlich darauf warten würde, dann könnten wir wohl warten bis zum sogenannten „Sankt-Nimmerleins-Tag“. Auch in den sogenannten Demokratien gibt es hierfür leider keinerlei Anzeichen. Im Gegenteil: In einer sogenannten Demokratie wie Deutschland laufen die Menschen, die für Abrüstung und eine neue Entspannungspolitik auch mit Russland eintreten, Gefahr, als Träumer oder idealistische Spinner belächelt zu werden.

Das ist schon absurd: Ein Finanzminister Olaf Scholz, der die Rüstungsausgaben im nächsten Jahr um 2 Milliarden € erhöhen und zugleich den Etat für die Entwicklungshilfe zusammenstreichen will; eine Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, der die 2 Milliarden noch viel zu wenig sind, die sich mit Macht für 4 Milliarden einsetzt; diese Menschen werden in den Nachrichten als vernünftige Menschen dargestellt. Und die Friedensbewegung? Na ja, die dürfen doch zu Ostern wieder marschieren, wir leben doch schließlich in einer Demokratie. Nur: ernst genommen wird diese Bewegung bei den Verantwortungsträgern in Politik und Wirtschaft scheinbar nicht.

In den letzten Tagen habe ich einige Reden und Predigten von dem amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King gelesen. Insbesondere seine Predigt in der Nationalkathedrale zu Washington vom 31. März 1968 hat mich sehr beeindruckt. Ein Zitat:

Mit unserem naturwissenschaftlichen und technologischen Erfindergeist haben wir diese Welt in ein Dorf verwandelt, und doch haben wir das moralische Engagement vermissen lassen, das nötig wäre, damit sich in diesem Dorf ein Gefühl der Zusammengehörigkeit einstellt. Wir werden das irgendwie hinbekommen müssen. Wir alle müssen lernen, wie Brüder zusammenzuleben, andernfalls werden wir als Narren gemeinsam untergehen. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft, von der sich niemand absondern kann, weil jeder auf den anderen angewiesen ist.

Das ist lange her und doch würde er das vielleicht auch heute noch sagen, wenn er noch leben würde.

Das Wirken von Martin Luther King begann in einer Zeit, in der die Schwarzen in den USA noch massiv unterdrückt wurden: Apartheid, kein Wahlrecht und auch ansonsten weitgehend rechtlos, zumeist auf der untersten Ebene der sozialen Hierarchie angesiedelt, oft Arbeitslos, ohne Krankenversicherung. Schwarze Kinder hatten kaum eine Chance eine gute Schule zu besuchen. Schwarze waren ganz offiziell Menschen zweiter Klasse.

Mit der Bürgerrechtsbewegung und auch durch das Wirken von Martin Luther King änderte sich einiges, auch wenn da bis heute noch viel zu tun ist. King hatte keinerlei Vertrauen in die offiziellen Volksvertretungen (Präsident, Senat und Kongress). Deswegen setzte er sich auch für Aktionen des zivilen Ungehorsams ein, selbst wenn diese mit den offiziellen Gesetzen nicht in Einklang standen.

Martin Luther King war ein gläubiger Christ. Nach seiner Interpretation der Bibel sollten die Menschen sich schon zu Lebzeiten für eine bessere Welt einsetzen, eine gerechte Welt ohne Ungerechtigkeit und ohne Krieg und Gewalt. Würde King heute noch Leben, würde er sich auch mit Macht gegen die Zerstörung unserer natürlichen Umwelt und für eine Beendigung des menschengemachten Klimawandels einsetzen, davon bin ich überzeugt.

Er setzte dabei auf gewaltlosen Widerstand, also Aktionen ohne Gewalt gegen Menschen oder die Zerstörung von Sachgütern. Manche Schwarze sahen das anders und griffen auch zu gewaltsamen Aktionen. Hier äußerte King zwar Verständnis für ihren Zorn, blieb aber Zeit seines Lebens seiner Linie des gewaltlosen Widerstands treu.

Gewaltloser Widerstand oder auch „Massen­-Ungehorsam“ als Strategie für sozialen Wandel, das waren allerdings für King nicht nur irgendwelche Demonstrationen, an denen man einmal die eigenen Meinung kundtat. Als Beispiel beschrieb er Birmingham, eine Stadt im Süden der USA. Die Schwarzen, die an diesen Aktionen teilnahmen, landeten zumeist im Gefängnis. Bald waren die Gefängnisse dort mit 3.500 Schwarzen Protestlern überfüllt. Aber die Aktionen hörten nicht auf, die Stadtoberen wusste nicht mehr, was sie machen sollten. So wurden tatsächlich eine Reihe von Forderungen erfüllt.

Kings Engagement ging allerdings weit über den Kampf für Gerechtigkeit für die Schwarzen in den USA hinaus. Auch in der damaligen Zeit erkannt er schon, dass die Probleme von Gerechtigkeit oder Krieg und Frieden letztlich nur global zu lösen sind. So war er ein vehementer Kritiker des Krieges der USA in Vietnam. Und Gerechtigkeit, die wollte er ebenfalls weltweit. Er prangerte auch die Mitschuld der USA an den Massen von Menschen in aller Welt an, die jedes Jahr verhungern mussten.

Was kann die Friedensbewegung heute aus dem Wirken von Martin Luther King lernen? In meinen Augen sind das zwei Dinge:

  • Zum einen kann der unerschütterliche Glauben daran, sich für eine gute und gerechte Sache einzusetzen, einer Bewegung viel zusätzliche Kraft verleihen. Dieser Glaube kann sich aus einem christlichen Glauben speisen, aber auch einfach aus dem Glauben, dass die Menschen nicht von Natur aus gewalttätig sind, dass die meisten Menschen keinen Krieg mehr wollen. Sollen die Regierenden uns ruhig weiterhin Dummheit oder Naivität oder was auch immer vorwerfen. Wir wissen es besser!
  • Wenn wir Frieden und Abrüstung z.B. in Deutschland wollen, dann werden wir das gegen die herrschenden Regierungen und die Mächtigen in der Wirtschaft durchsetzen müssen. Wirkliche Erfolge werden wir erst dann erzielen können, wenn eine genügend große Anzahl von Menschen bereit ist, mit uns gemeinsam in Aktionen (auch des zivilen Ungehorsams) einzutreten, um diese Mächtigen tatsächlich unter Druck zu setzen. Zwar friedlich und gewaltfrei, aber auch mutig und entschlossen.

Ein kleines Gedankenspiel soll zeigen, dass so etwas tatsächlich möglich wäre aber auch, wie weit wir heute noch davon entfernt sind: Nehmen wir an, es gäbe einen Aufruf zum unbefristeten Generalstreik mit den Forderung „Abrüstung jetzt“ und „eine neue Entspannungspolitik auch mit Russland“. Wenn diesem Aufruf sagen wir einmal 10 bis 20 Millionen entschlossene Menschen in Deutschland folgen würden, dann wäre es tatsächlich sehr wahrscheinlich, dass diese Forderungen auch durchgesetzt werden könnten. Zwar sind politische Streiks in Deutschland verboten (demokratisch?), aber man kann schlecht 10 bis 20 Millionen Menschen einsperren. Die Arbeitgeber*innen können zwar einige Streikende entlassen, aber für 10 bis 20 Millionen Menschen könnten sie nicht mal eben Ersatz finden.

Allerdings würde es so einen Aufruf zum Generalstreik tatsächlich geben, so wäre es wohl sehr viel wahrscheinlicher, dass dem keiner folgen würde. Das aus zwei Gründen: Zum einen gibt es in Deutschland durchaus sehr viele Menschen, die dem Aufrüstungskurs der Bundesregierung skeptisch gegenüberstehen. Allerdings ist diese Frage keine, über die sich die meisten besonders viel Gedanken machen; das steht im Moment viel zu wenig im Fokus des öffentlichen Interesses. Im Gegensatz zu den Aktivist*innen der damaligen Bürgerrechtsbewegung in den USA haben die meisten Menschen in Deutschland etwas zu verlieren: Ihren Arbeitsplatz und ihre mehr oder minder gesicherte Zukunft. Auch wenn es mit der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland heute nicht gut bestellt ist, so möchte man doch das Wenige, was man hat, nicht auch noch verlieren.

Meine Schlussfolgerungen aus diesem Gedankenspiel: Es ist tatsächlich möglich, in Deutschland einen Kurswechsel in der Rüstungspolitik zu erzwingen. Allerdings werden dazu noch sehr viel mehr Menschen benötigt, als heute z.B. an den Ostermärschen teilnehmen (auch wenn die Teilnahmezahlen hier in den letzten Jahren wieder angestiegen sind). Einen Appell wie „Abrüsten statt Aufrüsten“, den erfreulicherweise schon über 140.000 Menschen unterzeichnet haben, müssten letztlich Millionen unterzeichnen. Nein, es muss auch nicht gleich wie oben beschrieben ein Generalstreik sein. Aber: Je mehr Menschen bereit sind, für die Forderungen der Friedensbewegung zumindest auf die Straße zu gehen, umso schwerer wird es für die Regierenden, für Aufrüstung zu werben.

Eigentlich ist es also ganz einfach, was wir als Friedensbewegung tun sollten: Zum einen, die Fragen von Krieg oder Frieden wieder mehr in die öffentliche Debatte bringen. Zum anderen, immer mehr aktive Mitstreiter*innen gewinnen. Dass das beides nicht einfach wird, das wissen wir. Martin Luther King hat uns in jedem Fall gezeigt, dass sehr vieles möglich ist, wenn man nur die nötige Entschlossenheit zeigt und daran glaubt. Überlassen wir ihm zu diesem Thema aus der oben genannten Predigt den Schlusssatz, der leider auch heute noch immer aktuell ist:

Die Alternative zu Abrüstung, die Alternative zu einer umfassenderen Einstellung von Atomtests, die Alternative zu einer Stärkung der Vereinten Nationen mit dem Ziel weltweiter Abrüstung, die Alternative zu alldem könnte sein, dass die Zivilisation sich ins Verderben stürzt und unser irdischer Lebensraum sich in ein Inferno verwandelt, das selbst die Vorstellungskraft Dantes übersteigt.

 

Friedensbewegung, Ökologiebewegungen und Bewegungen für soziale Gerechtigkeit

Nur um es noch einmal kurz zu sagen: Ich halte all diese Bewegungen für wichtig und notwendig. Ich möchte hier auch nicht den Eindruck erwecken, als sei eine wichtiger als die andere. Wenn Menschen sich heute überhaupt politisch engagieren, dann tun sie das aus ihren persönlichen Erfahrungen in der einen oder der anderen. Das sollten wir auch nicht gegeneinanderstellen, sondern vielmehr als verschiedene Aspekte einer gemeinsamen Zielsetzung betrachten: Den gewaltlosen Kampf für eine gerechte Welt ohne Krieg und Umweltzerstörung.

Detlef Beune

One comment

  1. 1. Erstaunlich: im ersten Zitat oben von Martin Luther King hat dieser schon das das humane Desaster des (heute) neoliberalen Kapitalismus vorausgeahnt.
    2. Der Versuch einer weltweiten, einheitlichen Emanzipations-, Befreiungsbewegung ist mit dem Realen Sozialismus (besser Stalinismus) gescheitert. Die brutale und gescheiterte Durchsetzungsgewalt dieses Versuchs ist auch Ergebnis dessen eigenen Ansatzes: Die Vielfalt der Welt und der Menschen einem zentral ausgearbeiteten Gesellschaftsmodell unterwerfen zu wollen … das letztlich im eigenen Zentrum (SU) krachend gescheitert ist … .
    3. Die folgerichtige Konsequenz ist die Vielfalt der heutigen Emanzipationsbewegungen für eine bessere Gesellschaft,
    4. Die Perspektive ist heute nicht, daraus einen Einheitsbrei herstellen zu wollen. Die Perspektive kann heute sein, dass sich all diese einzelnen Bewegungen mit voller Kraft für ihre eigenen Ziele einsetzen, aber sich auch zunehmend bewusst werden, dass sie nicht alleine sind … weil sie letztlich ein gemeinsames Ziel verfolgen …und sich dann hie und da vernetzen, wo und wieweit es ihnen bei aller eigenen Souveränitat sinnvoll erscheint …
    5. Solche Vernetzungen sollten sich je frei und je souverän ergeben …
    6. Falsch können sie als Perspektive nicht sein … wenn man sich die Vernetzung des internationalen und Lebensverhältnisse weltweit diktierenden Großkapitals anschaut ..

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