Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch zu unserer Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Vielen Dank allen, die heute gekommen sind.
Wenn man, so wie wir beide, eine Woche lang in der wunderbaren Natur unterwegs war und dann zuhause die Zeitungen der Woche nachliest, holt einen der Schrecken der Kriege ganz schnell wieder ein. Es ist emotional sehr schwer, all die schlimmen Nachrichten wieder aufzunehmen. Eine einzige positive Zeitungsüberschrift ist mir ins Auge gesprungen: „PKK-Entwaffnung: Kämpfer verbrennen Waffen“. Ich will hoffen, dass für das kurdische Volk nun endlich ein Leben in Frieden näher rückt.
Die Menschen in Gaza sind leider noch weit davon entfernt. Es ist mehr als beschämend, dass die Bundesregierung der israelischen Regierung immer noch Rückendeckung gibt für den Völkermord an den Palästinensern und dadurch auch die EU vom Handeln abhält. Allerdings kommt zunehmend Widerspruch aus der Zivilbevölkerung und von Fachleuten. Ich nenne 3 Beispiele:
- Amnesty International hat sich gemeinsam mit über 60 prominenten Personen des öffentlichen Lebens in einem offenen Brief an die Bundesregierung gewandt. Sie fordern unter anderem, dass die Bundesregierung Rüstungsexporte nach Israel aussetzt und sich für einen sofortigen Waffenstillstand und ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe einsetzt.
- Eine Gruppe von 13 ehemaligen deutschen Botschafterinnen und Botschaftern hat einen Appell an die Bundesregierung gerichtet, die militärische Zusammenarbeit mit Israel zu beenden. Zitat: „Druck auszuüben, wenn ein befreundeter Staat sich ins Unrecht setzt, darf auch im deutsch-israelischen Verhältnis kein Tabu sein“.
- In ähnlicher Weise hat sich eine Gruppe von 27 ehemaligen europäischen Diplomatinnen und Diplomaten im Nahen Osten öffentlich an die EU gewandt. Sie fordern, dass das Handelsabkommen mit Israel ausgesetzt werden muss.
Auch in der Ukraine scheint ein Frieden in immer weitere Ferne zu rücken. Russland intensiviert seine Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung. Und der Westen reagiert mit immer mehr Waffenlieferungen. Diese wiederum sind für Russland Anlass zu weiteren Angriffen. Beide Seiten setzen auf militärischen Sieg, der doch bekanntermaßen unmöglich ist. Wer denkt an die zahllosen Soldaten, die in den Krieg ziehen müssen? Tun sie das wirklich freiwillig? Sind sie bereit, für ihr Land zu sterben? Im Deutschlandfunk erschien kürzlich ein Beitrag zum Thema „Deserteure im Ukrainekrieg“, aus dem ich heute vorlesen möchte:
„Sie wollen nicht töten und nicht getötet werden. Im Ukrainekrieg desertieren Tausende – auf russischer und ukrainischer Seite. Manche fliehen, andere verletzen sich selbst. Die Staaten reagieren hart. Was bedeutet Kriegsdienstverweigerung heute? Wer den Kriegsdienst verweigert, tut das auf unterschiedliche Weise: Manche fliehen, noch bevor sie eingezogen werden. Andere verweigern aus Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe oder desertieren mitten im Einsatz, also aus der Armee. Das hat oft schwerwiegende Folgen: Auch in Deutschland drohen bei Fahnenflucht bis zu fünf Jahre Haft…
Warum entziehen sich Menschen dem Kriegsdienst? Ihre Motive sind vielfältig: Angst vor dem eigenen Tod, der Widerwille zu töten, politische oder religiöse Überzeugungen – oder einfach der Wunsch, zu überleben. Schon in früheren Kriegen verweigerten Menschen den Kriegsdienst, etwa in den napoleonischen Feldzügen, den beiden Weltkriegen, im Vietnam- oder Irakkrieg.
Desertion hat viele Gesichter. Das wichtigste Motiv, so die Organisation Connection e.V., die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure unterstützt: Viele wollen nicht gegen Verwandte oder Freunde kämpfen. Es gibt ganz viele Verbindungen zwischen der Ukraine und Russland. Familiäre Verbindungen, freundschaftliche Verbindungen. Sie haben zum Teil im jeweils anderen Land studiert. Trotzdem zwingt die Wehrpflicht Menschen in beiden Ländern an die Front…
Wegen des russischen Angriffs verbietet der ukrainische Staat Männern zwischen 18 und 60 Jahren, das Land zu verlassen. Ab 18 müssen sie einen Grundwehrdienst ableisten; in den Kriegseinsatz müssen Soldaten ab 25. Viele versuchen, sich dem Kriegsdienst zu entziehen, oft noch vor der Einberufung, z.B. durch illegale Grenzübertritte, gefälschte Ausnahmegenehmigungen, Bestechung von Grenzbeamten oder indem sie untertauchen. Über 100.000 Verfahren sind wegen Desertion anhängig.
In Russland ist die Lage ähnlich: Seit Kriegsbeginn sind mehr als 150.000 Männer im wehrpflichtigen Alter geflohen. Wer flieht, bevor er eingezogen wird, begeht Militärdienstentzug. Wer bereits im Dienst ist und sich absetzt, begeht Desertion. Auf russischer Seite kämpfen vor allem Vertragssoldaten. Seit Herbst 2022 gelten ihre Verträge laut einem Erlass von Präsident Putin bis zum Ende der sogenannten „Spezialoperation“, also des Krieges – ein legales Ausscheiden ist also nicht mehr möglich. Laut Recherchen haben rund 50.000 russische Soldaten seit Kriegsbeginn ihre Truppe unerlaubt verlassen. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Russische Soldaten versuchen oft während eines Lazarettaufenthalts zu desertieren, dort ist es leichter, sich abzusetzen. Denn auch viele Verwundete werden wieder an die Front geschickt… Selbstverletzung ist ein großes Thema. Und es gibt ein weit verbreitetes Korruptionssystem: Ärzte manipulieren Verletzungen oder stellen falsche Atteste aus, gegen Tausende Euro. Laut Transparency International Russland existiert ein regelrechter Markt: Für bis zu 30.000 Euro lassen sich Soldaten sogar aus der Kaserne herausholen. Mit zunehmender Strafverfolgung steigen die Preise weiter.
Wie reagieren Russland und die Ukraine auf Kriegsdienstverweigerer und Deserteure? Beide Staaten verfolgen Desertion und Kriegsdienstverweigerung strafrechtlich, mit zum Teil drastischen Mitteln. In Russland werden Deserteure entweder gleich an die Front zurückgeschickt oder sie werden angeklagt und bestraft. Auch die Ukraine geht hart gegen Deserteure und Kriegsdienstverweigerer vor…
Völkerrechtlich gilt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht. Doch in der Praxis wird es häufig ignoriert oder eingeschränkt. In Russland existiert zwar formal ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, allerdings nur für Männer, die noch nicht eingezogen wurden. In der Ukraine wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung mit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 vollständig ausgesetzt…
Rund 200.000 ukrainische Männer im wehrfähigen Alter leben derzeit in Deutschland, über 600.000 in der EU. Ob ihre Kriegsdienstverweigerung ein Asylgrund ist, bleibt umstritten. Russische Verweigerer haben derzeit kaum Chancen auf Asyl. Mehrere Organisationen europaweit fordern Asyl für Deserteure und alle Menschen, die sich dem Kriegsdienst verweigern. „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat klargestellt, dass Kriegsdienstverweigerer*innen unter bestimmten Bedingungen Schutz verdienen, insbesondere wenn ihnen Verfolgung oder unverhältnismäßige Strafen drohen“, schreibt etwa Pro Asyl.
Desertion hat direkte militärische Folgen, vor allem, wenn bereits viele Soldaten fehlen. Die ukrainische Nationalgarde spricht inzwischen von über einer Million russischer Verluste: Tote, Verwundete oder Gefangene. Diese hohen Zahlen setzen die russische Armee unter Druck und verstärken offenbar die Bereitschaft zur Desertion. Doch auch für die Ukraine ist Desertion ein schwerwiegendes Problem. Die Vorstellung unerschöpflicher Reserven ist laut Experten falsch. Auf beiden Seiten sind die steigenden Desertionszahlen als Zeichen militärischer Erschöpfung und mangelnder Aussicht auf entscheidende Durchbrüche zu deuten…“ (Zitat Ende)
Ich bin der Meinung, die Soldatinnen und Soldaten aller Länder, die sich dem Kriegsdienst entziehen, haben unsere Aufmerksamkeit verdient. Sie setzen, unter Lebensgefahr, ein Zeichen gegen den Krieg.
Doris:
Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen. Wir denken an die Opfer der Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, und an die Opfer der Kriege in anderen Ländern, die oft vergessen werden. An die Menschen, die im Krieg verletzt wurden an Leib und Seele. An alle, die ihr Leben verloren haben, seien es Soldaten oder Zivilisten. An alle, die ihre Heimat verlassen mussten und auf der Flucht sind. An die geschundene Natur, an die zerstörte Kultur. An alle, die sich gegen den Krieg einsetzen. Mögen die Politiker auf allen Seiten endlich zur Vernunft kommen und eine weitere Eskalation verhindern.
Doris:
Ich lese ein Gedicht von George Mizo, der als Offizier im Vietnamkrieg war und dadurch zum Friedensaktivisten wurde:
Du, meine Kirche, du sagtest mir: Es ist falsch zu töten. Außer im Krieg.
Ihr, meine Lehrer, ihr sagtest mir: Es ist falsch zu töten. Außer im Krieg.
Ihr, mein Vater, meine Mutter, ihr sagtet mir: Es ist falsch zu töten. Außer im Krieg.
Ihr, meine Freunde, sagtet mir: Es ist falsch zu töten. Außer im Krieg.
Du mein Land sagtest mir: es ist falsch zu töten. Außer im Krieg.
Ihr schicktet mich in den Krieg um zu töten.
Und als ich keine Wahl hatte, sagtet ihr mir, ich sei im Unrecht,
weil ich das tat, was ihr verlangt habt.
Aber jetzt weiß ich: ihr hattet Unrecht.
Und jetzt, meine Kirche, meine Lehrer, meine Eltern, meine Freunde, meine Regierung, will ich euch sagen: Es ist falsch zu töten. Punkt!
Das müsst ihr lernen, genau so, wie ich es lernen musste.
Doris:
Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:
- Wer sich morgen an unserer Friedensbanner-Aktion beteiligen kann, möge sich bitte nachher bei mir melden. Wegen der SchoWo sind sicher viele Menschen in der Stadt. In letzter Zeit gab es zunehmend positive Resonanz von den Passanten.
- Unsere nächste Mahnwache findet am kommenden Freitag, den 25.07.25 um 18.00 Uhr wieder auf dem Marktplatz statt. Es wird die letzte Mahnwache vor den Sommerferien sein.
- Am 6. August 2025, dem 80. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, wird es bundesweit zahlreiche Veranstaltungen geben, so auch in Stuttgart, Esslingen usw. Hier in Schorndorf werden wir wie jedes Jahr eine Mahnwache zum Hiroshima/ Nagasaki – Gedenken abhalten, und zwar am Freitag, den 08.08.25 um 18.00 Uhr auf dem Marktplatz.
- Am Mittwoch, den 10.09.25, lädt die Ökumenische Friedensgruppe der Stadtkirchengemeinde Schorndorf ein zu einem Vortrag mit Eugen Drewermann mit dem Thema „Die Bergpredigt als Zeitenwende“, um 19.00 Uhr in der Stadtkirche.
dankschön, Doris, für den informierenden Beitrag aus dem Deutschlandfunk.erschütternd! mögen viele deserteur:Innen «glück» haben!!!
Mona