Mahnwache vom 19.04.2024

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Es folgen die Beiträge dieser Mahnwache zum Nachlesen.

Doris:

Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer heutigen Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Vielen Dank allen, die gekommen sind.

Wir sind heute wieder hier zusammengekommen, weil uns die Entwicklung im Nahen Osten zutiefst beunruhigt. Im Zuge des Gazakriegs hatte Israel vor 3 Wochen ein Attentat auf die iranische Botschaft in Damaskus mit 13 Toten verübt. Wir sind schockiert über den iranischen Vergeltungsschlag gegen Israel. Die Ankündigung Israels, dafür wiederum Vergeltung üben zu wollen, macht uns große Angst.  Der Begriff „drohender Flächenbrand“ ist zur Zeit fast täglich zu hören. Die Stimmung ist zum Zerreißen angespannt. Und da ist ja auch noch der Krieg in der Ukraine und die fast vergessenen Kriege wie z.B. im Sudan. Wie können wir mit all dem umgehen?

Ich versuche, meine Gedanken und Gefühle zu sortieren.

  • Es ist gut, dass bei dem iranischen Angriff keine israelische Menschen getötet wurden. Und dass bei dem israelischen Angriff letzte Nacht vermutlich auch keine iranischen Menschen getötet worden sind.
  • Ich weiß, dass erlittenes Unrecht niemals durch Vergeltung wieder gut gemacht werden kann. Kein Opfer wird durch Rache wieder lebendig.
  • Der Geist der Vergeltung führt stets zu neuer Vergeltung, und diese wiederum zu noch mehr Vergeltung. Eine Spirale der Eskalation entsteht.
  • Es ist gut, dass viele Politiker verschiedener Länder zur Zeit vor einer solchen Eskalation warnen und dass sie die Kontrahenten nicht zur Rache anstacheln, sondern zur Mäßigung auffordern.
  • Es ist nicht gut, dass Israel dies als Einmischung zurückweist und auf sein Recht zur Vergeltung besteht.
  • Es ist gut, dass einige Politiker der Nachbarländer versuchen, aktiv zu vermitteln und sich über mögliche Lösungen austauschen. Ich würde mir dies auch für den Ukrainekrieg wünschen.
  • Es ist nicht gut, dass Deutschland immer noch Waffen an Israel liefert und das völkerrechtswidrige Vorgehen im Gaza immer noch als Selbstverteidigungsrecht legitimiert.

Ich möchte nun heute nicht, wie es in den Medien täglich geschieht, darüber spekulieren, wann und wie Israel gegen den Iran zurückschlagen wird. Und wozu das alles schlimmstenfalls führen könnte. Ich möchte stattdessen Teile aus einem Text vorlesen, den mir Helga Birkel zugeschickt hat. In diesem Text geht es um das Stichwort „Versöhnung“. Es geht um einen Krieg, der 1992 bis 1995 mitten in Europa gewütet hat: den Bosnienkrieg.

Die Überschrift lautet: „So geht Versöhnung: Wie ein Soldat zum Friedensaktivisten wurde“. Die Reporterin Julia Tappeiner ist nach Bosnien-Herzegowina gereist. Dort tobte vor 30 Jahren der wohl heftigste der Jugoslawien-Kriege. Und ein Teil der Bevölkerung erlitt ein grausames Kriegsverbrechen: den Genozid von Srebrenica. Julia Tappeiner hat Menschen gefragt: Wie verzeiht man nach einem Krieg? Ist es möglich, zu vergeben, wenn Unverzeihliches passiert ist, wenn gemordet, gefoltert, vergewaltigt wurde? Die Frage nach Vergebung wird noch komplexer, wenn es nicht nur eine Person ist, die Unrecht erfahren hat, sondern eine ganze Gesellschaft. Denn politische Versöhnungsprozesse sind oft die Aufgabe mehrerer Generationen.

Julia Tappeiner hat mit Menschen gesprochen, die Traumatisches erlebten und trotzdem keinen Hass mehr gegen ihre Täter hegen; die daran arbeiten, die zerstrittenen Gruppen miteinander ins Gespräch zu bringen; die für sich persönlich Versöhnung gefunden haben und sich diese Versöhnung auch für ihr Land wünschen. Sie besuchte z.B. auch den Sarajewo-Tunnel, der die Stadt während der 3,5-jährigen Belagerung rettete. Sie schreibt:

„Der Tunnel ist höchstens 2 Meter hoch und 2 Meter breit. Er engt mich ein. Dankbar laufe

ich nach ein paar Minuten die Stufen, die aus dem Tunnel führen, wieder hoch und begrüße das Tageslicht. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dieses feuchte Loch vor 30 Jahren einmal Freiheit für die Bewohner Sarajewos bedeutet hat. Adnan Hasanbegović steht am Ausgang des Tunnels, der mittlerweile ein Museum ist, und wartet darauf, dass die Touristen nacheinander wieder an die Oberfläche klettern. Sein Blick ist ernst, von einem Schatten getrübt, fast so, als sähe er vor seinem inneren Auge noch die verletzten Soldaten und die Waffen, die damals durch diesen Tunnel transportiert wurden.

Adnan hatte sich 1992, als Sarajewo von jugoslawischen und serbischen Truppen während des Bosnienkrieges belagert wurde, der bosnischen Armee angeschlossen – mit nur 19 Jahren und ohne militärische Ausbildung. 3,5 Jahre lang dauerte die Belagerung der Hauptstadt. Das einzige Tor zur Außenwelt: der 800 Meter lange unterirdische Tunnel. Von dort erhielten Adnan und die anderen Soldaten Munition und Waffen, Lebensmittel wurden in die Stadt hinein- und Verletzte aus der Stadt hinausgebracht.

Heute begleitet Adnan Touristengruppen an wichtige Orte der Erinnerung, wie den Sarajewo-Tunnel, und arbeitet als Friedensaktivist. Seine Erfahrung als Soldat gibt ihm eine größere Glaubwürdigkeit, wenn er vor dem Krieg warnt. Diese Autorität nutzt er, um seine Mitmenschen zu überzeugen, sich nicht in den Erzählungen der eigenen Volksgruppe einzukapseln. Man dürfe nicht glauben, die Gefahr gehe immer nur von der anderen Seite aus.

Der Sarajewo-Tunnel ist heute ein Ort der Erinnerung. Die Schusslöcher sind noch an der Eingangsfassade zu sehen. Um den Krieg zu ertragen, konsumierte Adnan Drogen und Alkohol. Davon wurde er nach dem Krieg abhängig, und er litt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Erst sein Weg zur Religion und zur Friedensarbeit befreite ihn aus seiner Lage. 1999 traf er in Sarajewo zum ersten Mal auf Friedensaktivisten, die ihn inspirierten. Im selben Jahr trat er dem Zentrum für zivile Konfliktbearbeitung bei und organisiert seitdem Trainings zur Konfliktprävention.

Im Rahmen seiner Arbeit besuchte er Hunderte Vereine von Kriegsveteranen im ganzen Land und versuchte, die ehemaligen Soldaten für seine Friedensarbeit zu gewinnen. Heute bringt er rund 70 Kriegsveteranen aus allen 3 Volksgruppen – Serben, Kroaten und muslimische Bosniaken – an einen Tisch. Er sorgt dafür, dass die Männer persönlich miteinander sprechen; Männer, die vor 30 Jahren noch aufeinander geschossen haben. Regelmäßig fahren sie zu Gedenkstätten und legen dort Blumen für die Opfer aller Gruppen nieder.

Adnan fordert: Streckt die Hand zur anderen Seite aus, statt in euren nationalistischen Diskursen, in eurem Hass festzufrieren. Er sagt:

„Nationalismus ist leider sehr präsent unter den meisten Kriegsveteranen. Man sieht es zwar nicht immer nach außen hin, aber wenn du tiefer gräbst, merkst du: Da ist viel Hass gegenüber der anderen Seite. Besonders bei Gedenkfeiern – die Veteranen gedenken der verstorbenen Freunde und Verwandten; doch sie gedenken auch wichtiger Schlachten. Und diese Art der Erinnerung ist nicht vom Frieden getrieben, sondern vom Nationalismus. Viele Veteranen sind noch nicht bereit für den Dialog. Die nationalen Narrative sind nun mal angenehmer; eine multinationale Gesellschaft aufzubauen, ist schwerer. Viele haben auch Angst, von ihrem sozialen Umfeld isoliert zu werden, wenn sie sich der anderen Seite öffnen. Und trotzdem: Selbst die nationalistischsten Veteranen wollen nicht, dass sich der Krieg wiederholt. Wer Krieg erlebt hat, weiß, wie destruktiv er ist. Jeder Kriegsveteran, egal aus welcher Volksgruppe, würde sagen: ›Ich will nicht, dass meine Kinder dasselbe durchmachen müssen wie ich.‹ Und gerade da setze ich meine Friedensarbeit an“.

So weit der ehemalige Soldat Adnan Hasanbegović und die Reporterin Julia Tappeiner, die seine Geschichte erzählt. Mir tut es gut zu hören, dass es solche Menschen gibt. Es hilft mir, an der Vision festzuhalten, dass es auch für die Menschen in der Ukraine, im Nahen Osten und anderswo möglich sein wird, in friedlicher Koexistenz miteinander zu leben. Lassen wir uns diese Vision nicht nehmen, und setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass diese Vision Wirklichkeit wird!
Uwe:

Wir laden Sie nun wieder dazu ein, 5 Minuten mit uns zu schweigen und all derer zu gedenken, die durch kriegerische Auseinandersetzungen ermordet, verletzt, ihrer Heimstatt beraubt wurden, oder sich auf der Flucht vor Krieg und Elend befinden.

Wir gedenken auch der Natur, unserer Lebensgrundlage, gegen die weltweit ein permanenter Krieg geführt, und die erbarmungslos zerstört wird.

Wir gedenken auch all der Menschen, die sich aktiv gegen den Krieg, für mehr Mitmenschlichkeit und gegen die Zerstörung unserer Mitwelt einsetzen.

Uwe:

 Ich lese nun ein Text von Bertha von Suttner vor:

„Rache und immer wieder Rache!
Keinem vernünftigen Menschen würde es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen.
Nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden.
Vielleicht ist eine weltumfassende Schwesterlichkeit notwendig,
ehe eine brüderliche Verständigung
der gesamten Menschheit möglich wird.“

Uwe:

Zum Schluss unserer heutigen Mahnwache teile ich Ihnen noch einige Informationen über Veranstaltungen und Aktionen, die in den nächsten Tagen stattfinden, mit.

Wahrscheinlich wird niemand von Ihnen/euch, eine der Veranstaltungen besuchen, dennoch möchte ich darüber informieren, nicht zuletzt um aufzuzeigen, dass viele Menschen in der einen oder anderen Art für den Frieden und gegen den Krieg aktiv sind.

  • Heute findet in Stuttgart im Spitalhof eine Fachtagung zum Thema: „Rüstungsexporte in Zeiten des Krieges“ statt.
  • Am morgigen Samstag wird von 8.30 h bis 10.30 h in Königsbronn vor der Hammerschmiede gegen die von Roderich Kiesewetter initiierten „Königsbronner Militärgespräche“ demonstriert.
  • In Überlingen am Bodensee findet auch am morgigen Samstag von 10.30 h bis 12.30 h eine Mahnwache zum Thema: „Frieden für die Ukraine“ statt.
  • Ebenfalls am morgigen Samstag organisiert um 15.30 h die „Gesellschaft Kultur des Friedens“ in Stuttgart, an dem Herzog- Christoph – Denkmal in der Bolzstraße eine Kundgebung mit dem Thema „Waffenstillstand in Gaza!“.

Unsere heutige Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden ist damit beendet. Vielen Dank, dass Sie wieder, trotzt des launigen Aprilwetters, den Weg zu uns gefunden haben.

Wir wünschen Ihnen ein schönes Wochenende und freuen uns, wenn Sie an unserer nächsten Mahnwache heute in einer Woche, am Freitag, 26. April, teilnehmen.

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