Mahnwache vom 02.02.2024

Posted by

Bild von Carl S auf Pixabay

Es folgen die Redebeiträge dieser Mahnwache zum Nachlesen.

Doris:

Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch zu unserer Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Vielen Dank allen, die heute gekommen sind. 

In der vergangenen Woche gab es zahlreiche Veranstaltungen, um an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu erinnern. Im Heimatmuseum Schorndorf berichtete Eberhard Abele über das Schicksal der Schorndorfer Sinti-Familie Guttenberger. Jeder einigermaßen sensible Mensch ist entsetzt über all das Grauen und spürt den intensiven Wunsch, dass Ähnliches nie wieder passieren darf. Auch im Bundestag gab es ein Holocaust-Gedenken. Eine Auschwitz Überlebende sagte: „Die Shoah begann nicht mit Auschwitz, sie begann mit Worten – und sie begann mit dem Schweigen und dem Wegschauen der Gesellschaft“. So war es gestern in den Schorndorfer Nachrichten zu lesen. Wir alle können diesen Satz von Herzen unterstreichen.

In derselben Zeitungsausgabe war zu lesen, dass die israelische Armee seit dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober zwischen 50 und 60% aller Gebäude im Gazastreifen beschädigt oder zerstört hat. Dass Tunnel geflutet wurden, um die Hamas zu „neutralisieren“. Dass mehrere UN-Mitgliedsstaaten, auch Deutschland, ihre Zahlungen an das Palästinenser-Hilfswerk der UN ausgesetzt haben und dass dies katastrophale Folgen für die Menschen im Gazastreifen haben werde. Die Menschen im Gazastreifen, von denen bereits ca. 25 000 getötet, noch mehr verletzt und so gut wie alle aus ihren Häusern vertrieben wurden. Den übrigen, die zwischen Trümmern mit Hunger, Durst und Seuchen dahinvegetieren, soll es jetzt also noch schlechter gehen. Und das aufgrund eines Verdachts gegen 13 UN-Mitarbeiter, der durchaus begründet sein kann, aber noch nicht erwiesen ist. Wenn wir zu all dem nicht schweigen, sagt man uns, wir seien antisemitisch. Wie grotesk das doch ist.

Ein weiterer Krieg, der von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, hat ebenfalls dramatische Folgen für die Zivilbevölkerung, ohne dass der Verursacher zur Rechenschaft gezogen wird. Ich lese einige Absätze aus einem Schreiben der deutsch-syrischen Hilfeorganisation „Adopt a Revolution“:

„Allein in den ersten zwei Januarwochen griff die Türkei 114 Mal in Nordostsyrien und im Nordirak an. Aber für die Eskalation des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges scheint sich kaum jemand zu interessieren und das macht die Lage umso gefährlicher für die Menschen vor Ort. 

Angesichts der Tatenlosigkeit der Weltgemeinschaft ist die Bilanz des vergangenen Jahres verheerend: Insgesamt 930 Mal attackierten türkische Streitkräfte die kurdische Selbstverwaltung, meist zielten sie auf Wohngebiete. Die Offensive richtete sich auch gegen landwirtschaftliche Betriebe, Industrieanlagen, Wasserwerke, Ölraffinerien, Elektrizitätswerke, Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen. Während der Weihnachtsfeiertage wurden gezielt eine Sauerstofftankfabrik und ein Nierendialysezentrum getroffen – das einzige seiner Art in der Region…

 

…Die Türkei agiert nicht nur in klarem Widerspruch zum Völkerrecht, sondern verstößt auch gegen die Grundsätze des NATO-Abkommens und begeht zahlreiche, gut dokumentierte Kriegsverbrechen… Das humanitäre Völkerrecht, integraler Bestandteil des Kriegsrechts, fungiert als unerlässlicher Schutzmechanismus für Zivilist*innen und medizinisches Personal in Zeiten bewaffneter Konflikte. Seine Wirksamkeit hängt aber maßgeblich von der Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft ab, Verstöße zu ahnden. Ohne effektive Strafmaßnahmen durch Staaten oder internationale Organisationen verschwindet das Völkerrecht in der Bedeutungslosigkeit. Seine konsequente, effektive Umsetzung und Durchsetzung ist deshalb unerlässlich.“ Zitat Ende.

Die Türkei, wir alle wissen es, wird für ihre Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen. Sie erhält demnächst sogar eine Lieferung neuer Kampfjets. Dies alles, damit sie der Aufnahme Schwedens in die Nato zustimmen sollte, was ja jetzt geschehen ist. Auch dazu wollen wir nicht schweigen. Auch wenn man uns sagt, wir seien naiv.

Gut, dass sich trotz allem immer wieder Redakteure finden, die engagierte Beiträge gegen den Krieg schreiben. Ernst Delle hat uns wieder einige lesenswerte Artikel zugeschickt. Hans-Georg Ehrhart berichtete über das kürzlich stattgefundene Weltwirtschaftsforum in Davos. Ich lese einige Absätze daraus.

„Wie hätte es Fortschritte geben können, wenn Gesandte Russlands erst gar nicht eingeladen waren?

Präsident Selenskij warb derweil für seinen Friedensvorschlag, dessen Maximalziele – Rückzug aller russischen Truppen von ukrainischem Gebiet, Reparationszahlungen, Verfolgung von Kriegsverbrechen – für Moskau völlig unakzeptabel sind. Von US-Außenminister Antony Blinken, dem Briten David Cameron oder EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hörte man auch keine neuen Ideen, wie der Konflikt beendet werden könnte.

Auf den ersten Blick ist das aus vielerlei Gründen verständlich. Da ist etwa das Argument, Russlands Angriffskrieg dürfe sich nicht lohnen. Die USA haben überdies ein Interesse daran, diesen Gegner weiter zu schwächen. Russland setzt seinerseits auf eine Abnutzung des militärischen und infrastrukturellen Potenzials der Ukraine und darauf, dass die Bereitschaft des Westens schwindet, Kiew beizustehen. Zudem sind der russische und ukrainische Nationalismus nicht zu unterschätzende Hindernisse einer Verständigung. Eine damit korrespondierende Dämonisierung des Gegners duldet kein Zurückweichen. Angesichts der vielen Toten beider Seiten wird auch das klassische Argument bemüht, die erbrachten Opfer dürften nicht umsonst gewesen sein. Solange beide Seiten glauben, die Zeit arbeite für sie, man müsse nur lange genug durchhalten, fällt Kompromissbereitschaft schwer. Die wechselseitige ideologische Überhöhung des Kampfes – „Verteidigung der Freiheit des Westens“ gegen „Rettung der russischen Welt“ – verhärtet die Fronten zusätzlich. Was auf beiden Seiten fehlt, benannte der chinesische Premier Li Qiang in Davos: mehr Kommunikation, mehr Realismus, Aufbau von Vertrauen.

Es gibt viele Gründe, die eigentlich für eine Waffenruhe sprechen: Die weitreichenden Träume beider Seiten sind mittlerweile geplatzt. Die ukrainische Gegenoffensive ist gescheitert, Kiew in der Defensive.

Eine strategische Niederlage Russlands ist ebenso wenig in Sicht wie ein Regimewechsel. Moskau ist international nicht zu isolieren und zeigt sich ökonomisch resilienter als gedacht. Umgekehrt kann es weder die gesamte Ukraine beherrschen noch einen Regimewechsel in Kiew durchsetzen. Ein umfassender Sieg einer Seite ist also unrealistisch. Ihn dennoch anzustreben, ist mit einem nicht hinnehmbaren Eskalationsrisiko verbunden. Auszuschließen ist dieses nur, wenn die Kriegshandlungen eingestellt werden. Kriegsmüdigkeit macht sich allenthalben bemerkbar, und die Last des Krieges drückt auf alle Beteiligten. Womöglich wollen auch Teile der Eliten beider Kriegsparteien aus der geopolitischen Sackgasse, in die sie geraten sind, und das tun, was ethisch angebracht erscheint: die territorialen und politischen Konflikte diplomatisch regeln.

Wäre es nicht sinnvoll, sich mit dem Erreichten zufriedenzugeben? Wenn ein Sieg nicht möglich und ein solcher Gewaltkonflikt auf Dauer zu teuer ist, bleibt nur der Kompromiss. Moskau könnte darauf verweisen, dass es vermeintlich russische Gebiete heimkehren ließ, und Kiew erklären, sich als Staat behauptet zu haben. Der russische Großangriff wurde abgewehrt, sodass man weiter vier Fünftel des eigenen Territoriums kontrolliere. Natürlich bedürfte es internationaler Sicherheitsgarantien und des Verzichts auf Maximalziele, wozu wohl eine NATO-Mitgliedschaft gehört. Schließlich müssten die Sicherheitsinteressen beider Seiten respektiert werden, was eine ukrainische Mitgliedschaft in der EU jedoch nicht ausschließt.

Es bleibt als Gebot, die Frage nach einer künftigen europäischen Friedensordnung aufzuwerfen. Darin müssten nicht nur ein ukrainisch-russischer Friedensvertrag, sondern auch Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen eingebettet werden. Auch wenn darüber in Davos nicht gesprochen wurde, sind zumindest zwei Hoffnungsschimmer zu vermerken. Die Schweiz und die Ukraine haben vereinbart, einen Friedensgipfel zur Lösung des Ukraine-Konflikts zu bestreiten.  Zudem gibt es zuletzt immer wieder Meldungen über Back-Channel-Diplomatie und russische Signale, den Konflikt einzufrieren. Ob nur geraunt oder auch gehandelt wird, ist schwer zu sagen. Ergäben sich daraus Chancen, sollte man sie nutzen.“ Zitat Ende.

Weil wir alle der Meinung sind, dass jede kleinste Chance zum Frieden genutzt werden muss, anstatt der Kriegslogik zu verfallen, darum stehen wir auch heute wieder hier.

Uwe:

Ich lade Sie, ich lade euch nun wieder dazu ein, 5 Minuten mit uns zu schweigen.

Wir gedenken dabei an all die Menschen, welche weltweit von kriegerischen Auseinandersetzungen betroffen sind, an die ermordeten, verletzten, ihrer Wohnstatt beraubten, und derer, die sich auf der Flucht befindenden.

Wir gedenken auch der Menschen, welche sich global aktiv dafür einsetzen, dass unser Planet für alle Menschen eine sichere und friedvolle Heimat wird.

Uwe:

Bertold Brecht

An die Nachgeborenen,    1939

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht noch nicht empfangen.
(…)
Aber es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu mich satt zu essen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück mich verlässt bin ich verloren.)

Man sagt mir: Iss und trink du! Sei froh, dass du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
ich dem Hungernden entreiße, was ich esse und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.

 

Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen.
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen sondern vergessen
Gilt als weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
(……..)

Uwe:

Bevor wir unsere heutige Mahnwache beenden, nun noch einige Hinweise auf Aktionen und Veranstaltungen:

  • Am Dienstag nächster Woche kommt um 18.30h die Spitzenkandidatin der FDP für die Wahlen zum Europa-Parlament und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Frau Agnes Strack-Zimmermann zu einem Vortrag nach Schwäbisch Gmünd. Die Friedenswerkstatt Pressehütte Mutlangen organisiert anlässlich diese Besuchs eine Mahnwache für den Frieden vor der Villa Hirzel im Rems-Park und bitte um Unterstützung durch Beteiligung.
  • Am Dienstag, 27.Februar um 19.30h kommt auf Einladung der Manufaktur und der Friedensinitiative Schorndorf Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI)  Tübingen zu einem Vortrag mit dem Thema: „Zwei Jahre Ukraine – Krieg,  Zwei Jahre  Zeitenwende“  in die Manufaktur.
  • Bei meiner Suche nach Veranstaltungen und Aktionen der Friedensbewegung im Internet unter „Netzwerk Friedenskooperative“, habe ich gesehen, dass es keinesfalls so ist, dass die Friedensbewegung Deutschlandweit tot ist, wie oft behauptet wird. Zwar finden gegenwärtig keine auffallenden Großaktionen statt, aber in vielen  Städten, großen und kleinen, fast täglich Veranstaltungen zu den Themen Krieg und Frieden, oder Mahnwachen. Unsere Mahnwache hat also keineswegs den Charakter eines  „Alleinstellungsmerkmals“, sondern wir befinden uns in guter  Gesellschaft mit vielen  Friedensgruppen oder  -initiativen! Das finde ich sehr ermutigend.
  • Der offizielle Teil unserer heutigen Mahnwache ist damit beendet. Unsere nächste Mahnwache findet heute in einer Woche, am Freitag, 9.02., wieder hier vor dem Rathaus, statt. Herzlichen Dank noch einmal, dass Sie heute Abend den Weg zu uns gefunden haben.

Wir wünschen Ihnen einen guten Nachhauseweg und ein schönes Wochenende.

 

 

 

Leave a Reply

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.