Mahnwache vom 03.02.2023

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Es folgend die Redebeiträge auf dieser Mahnwache.

Doris:

 Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer 39. Mahnwache gegen den Krieg. Vielen Dank allen, die heute gekommen sind.

(Bei unserer Mahnwache sind alle willkommen, die mit uns gemeinsam gegen den Krieg in der Ukraine und gegen andere Kriege weltweit protestieren möchten. Wir wollen aber keine Nationalflaggen und keine Parteiwerbung bei unserer Veranstaltung.Bitte halten Sie sich an diese Vorgaben.)

Kaum hatte die Bundesregierung die Genehmigung zur Lieferung der Leopard 2 Panzer an die Ukraine erteilt, verlangte Präsident Selenskij vom Westen die Lieferung von Kampfjets und Raketen mit einer Reichweite von 300 km. Verschiedene Politiker in Deutschland und anderen Nato-Ländern sprachen sich umgehend dafür aus, grundsätzlich keine Forderung Selenskijs abzulehnen. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte immerhin spontan Nein dazu. Wir erinnern uns jedoch, dass er seit Beginn des Krieges schon öfter zur Lieferung einer neuen Waffengattung zunächst Nein gesagt hat. Dann, er werde es prüfen. Schließlich gab er jeweils dem Druck aus seiner Koalition und der Opposition, dem Druck der Medien und dem Druck aus anderen Ländern nach und sagte Ja. Wird es mit den Kampfjets und Raketen wieder genauso sein? Und wenn ja, wozu soll das alles noch führen? Mit diesen Fragen, mit dieser großen Angst finden wir uns heute Abend bei der Mahnwache wieder.

In den vergangenen Wochen waren in der Zeitung täglich Fotos und Schaubilder verschiedener Panzer zu sehen, mit Informationen über die jeweiligen technischen Details und ihre „Leistungsfähigkeit“. Jedes Kind kennt sich inwischen bestens damit aus. Die Journalisten warben als selbst ernannte Militärexperten in erschreckender Kriegsrhetorik für die Lieferung der Kampfpanzer, da angeblich nur sie den Menschen in der Ukraine endlich Frieden bringen können. Jeder, der das bezweifelt, mache sich mit schuldig am Tod Tausender weiterer Menschen. Ich kann es gar nicht beschreiben, welche Gefühle das bei mir auslöst. Pures Entsetzen: wie weit sind wir inzwischen gekommen? Angst: wie weit wird der Krieg noch eskalieren? Irritation: wie kann es nur geschehen, dass alle Werte auf den Kopf gestellt werden? Und manchmal auch Zynismus: Mir kommt die Friedenstaube in den Sinn, die jetzt nicht mehr einen grünen Zweig, sondern einen Kampfpanzer im Schnabel trägt. Aber Zynismus ist nichts Gutes. Ich will diese Gedanken schnell vertreiben.

Viele Menschen sagen mir, dass sie seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine nicht mehr wissen, was sie denken sollen, was richtig oder falsch ist. Viele hielten als spontanen Reflex zunächst Waffenlieferungen für richtig, obwohl sie bisher immer gegen Rüstungsexporte in Kriegsgebiete gewesen waren. Manche von ihnen haben mit der Zeit erkannt, dass dies eine Fehlentscheidung war. Andere haben inzwischen ihre früheren Grundsätze vollständig über Bord geworfen und sind jetzt Verfechter von weiteren bedingungslosen Waffenlieferungen. Manche sind nach wie vor engagiert für den Klimaschutz, sprechen sich aber gleichzeitig für die gigantische Aufrüstung aus. Ich verstehe die Welt nicht mehr.

Ich verstehe es absolut nicht, dass die Partei der Grünen, die ich früher gewählt hatte, sich für einen immer gefährlicheren Konfrontationskurs gegenüber Russland ausspricht. Und dass 85% ihrer Anhänger das gut finden.

Irritiert und verwirrt bin ich auch darüber, dass Menschen, die politisch ganz woanders stehen als ich, zum Ukraine-Krieg eine ähnliche Meinung vertreten.

Manchmal erschrecke ich über mich selber, wenn ich darüber erleichtert bin, dass wenigstens der türkische Präsident Erdogan bei der schnellen Nato-Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands bremst. Und wenn wenigstens er noch mit Putin redet und sich in Sachen Getreideausfuhr eingesetzt hat. Ich weiß, er tut dies nicht aus Menschenfreundlichkeit sondern aus Machtpolitik. Er ist ein Diktator und schuld am Tod Tausender Kurden. Er verdient keinerlei Unterstützung. Ich bin verwirrt und irritiert. Geht es Ihnen/euch manchmal ähnlich?

Woran aber können wir uns orientieren? Welche Werte gelten noch? Als Menschen des sogenannten christlichen Abendlandes orientieren wir uns doch eigentlich an der Bibel. Oder? Kritiker werden jetzt sofort sagen: „In der Bibel, vor allem im Alten Testament, ist ja alles voll von Berichten über Krieg und Grausamkeit“. Da kann ich  nicht widersprechen. Andere sagen: „Auch im Neuen Testament finden sich vollkommen widersprüchliche Aussagen“. Auch da kann ich nicht widersprechen. Wieder andere, auch viele Theologen sagen: „Die Bergpredikt und andere Jesusworte gelten nur für den privaten Bereich. In der Politik haben sie nichts zu suchen. Christentum ist sozusagen Privatsache“. Hier möchte ich allerdings entschieden widersprechen. Ich bin keine Theologin und auch keine regelmäßige Kirchgängerin. Trotzdem versuche ich, mich an christlichen Werten zu orientieren. Ich will ein paar Gedanken zu einem zentralen Bibelwort äußern. Es ist der Versuch einer Orientierung.

Die meisten von uns kennen wahrscheinlich das Bibelwort: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“. Es steht im Brief des Apostels Paulus an die Römer. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden“ – bis dahin können wahrscheinlich alle mit. „Das Böse“, das ist z.B. Putin mit seinem Angriffskrieg.  Und da steht nicht: „Kapituliere vor dem Bösen“ oder „Ordne dich dem Bösen unter“. Da steht „Lass dich nicht vom Bösen überwinden“. Der zweite Halbsatz mit dem „Sondern“ heißt jetzt allerdings nicht: „Sondern besiege das Böse, indem du es mit immer mehr Waffen bekämpfst“. Und schon gar nicht: „Sondern vernichte das Böse oder ruiniere das Böse“. Nein, da steht: „Sondern überwinde das Böse mit Gutem“. Die Bibel liefert jetzt allerdings kein Rezept dazu, wie das ganz konkret gehen könnte. Auch ich habe natürlich kein Rezept. Aber ich versuche eine Antwort.

„Das Gute“, mit dem man „das Böse“ überwinden kann, wie könnte das in der aktuellen Situation aussehen?

  • Man könnte die allerbesten Psychologen versammeln, die wissen, wie man durchgeknallte Gewalttäter zur Vernunft bringen kann und welche Fehler man dabei vermeiden sollte, z.B. dass man sie nicht weiter provozieren oder bloßstellen darf, weil dies sehr gefährlich ist.
  • Man könnte die allerbesten Streitschlichter und Vermittler versammeln, die wissen, wie man in einem Konflikt zur Deeskalation gelangt.
  • Man könnte die allerbesten Diplomaten versammeln, die schon in anderen Kriegen und Konflikten eine Lösung gefunden haben.
  • Man könnte die allerbesten Historiker versammeln, die wissen, wie man aus den Fehlern der Geschichte lernen kann.
  • Man könnte die allerbesten Naturwissenschaftler versammeln, die die Folgen eines Atomwaffeneinsatzes beschreiben und eindringlich davor warnen können. Und vor den Folgen des Klimawandels. Und vor den Folgen des zunehmenden Hungers auf der Welt.
  • Man könnte die allerbesten Theologen versammeln, die laut rufen: „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein“.
  • Man könnte dann eine Delegation aus diesen allerbesten Leuten mit den verfeindeten Regierungschefs an einen Tisch setzen und beide Seiten unmissverständlich aufforden, dass sie endlich miteinander reden müssen. Und dass sie Verantwortung tragen für das Leben auf dieser Welt. Und dass sie sich dabei von den allerbesten Experten helfen lassen können.

So stelle ich es mir vor, das Gute, welches das Böse überwinden könnte. Ich bin traurig und oft sehr verzweifelt. Ich will aber nicht verbittert werden und resigniert. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass Frieden möglich ist.

Wir wollen jetzt wieder 5 Minuten schweigen.

Uwe:

Ein Gedicht von Dieter Lattmann

Das weiche Wasser

Europa hatte zweimal Krieg,
der dritte wird der letzte sein.
Gib bloß nicht auf,
gib nicht klein bei,
das weiche Wasser bricht den Stein.

( … )

Es reißt die stärksten Mauern ein,
und sind wir schwach,
und sind wir klein,
wir wollen wie das Wasser sein.

Die Rüstung sitzt am Tisch der Welt,
die Kinder, die vor Hunger schrei`n,
für Waffen fließt das große Geld,
doch weiches Wasser bricht den Stein.

Krieg in der Ukraine,
schon viel zu lange,
und vielen Menschen wird es bange,
wir setzen uns friedlich dagegen ein,
das weiche Wasser bricht den Stein.
Diese Zeilen sind von Uwe..

Kommt, feiern wir ein Friedensfest,
und zeigen, wie sich`s leben lässt,
Mensch, Menschen können Menschen sein.
Das weiche Wasser bricht den Stein.

Es reißt die stärksten Mauern ein,
und sind wir schwach,
und sind wir klein,
wir wollen wie das Wasser sein.

Nachtrag: Dieser Text wurde auch in verschiedenen Liedern vertont. Die wohl bekannteste Version hier von den niederländischen Bots, die das vor längerer Zeit im ZDF vortragen durften (wäre das heute überhaupt noch denkbar?) – in einer Aufzeichnung von YouTube.

 Detlef:

  • Die Gesellschaft Kultur des Friedens Stuttgart ruft für morgen, Samstag den 04. Februar um 14.00 Uhr zu einer Kundgebung beim Mahnmal am Stauffenbergplatz, Stuttgart-Mitte auf. Das Thema lautet: „Spirale der Eskalation durchbrechen: Waffenlieferungen an Ukraine stoppen – Friedensverhandlungen jetzt!“
  • Am kommenden Montag, den 06.02. findet um 18.00 Uhr wieder das Ökumenische Friedensgespräch im Martin-Luther-Haus statt.
  • VieleFriedensorganisationen rufen zum Jahrestag des russischen Angriffs zur Teilnahme am bundesweiten Aktionswochenende vom 24.-26. Februar auf. Das Motto lautet „Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen!“. Auch in Stuttgart wird es eine Veranstaltung geben. Wir werden noch Näheres dazu mitteilen.
  • Bei der letzten Mahnwache hatten wir Besuch: Es kam ein Team vom ZDF kurz vor dem Ende der Mahnwache vorbei. Wir wurden zwar interviewt, allerdings kam von unseren Äußerungen keine einzige letzten Dienstag im Bericht von Frontal 21 vor. Ich persönlich war davon ziemich enttäuscht, dieses Verhalten trug nicht dazu bei, mein Vertrauen in die öffentlicht-rechtlichen Medien zu erhöhen.
  • Da man sich in den heutigen Zeiten nicht alleine auf die Berichte von den Mainstream-Medien verlassen sollte, haben wir mit unserer letzten Mahnwache damit begonnen, sie auf einige Links im Internet hinzuweisen, die uns interessant erscheinen. Interessant, das heißt natürlich nicht, dass sie alles in diesen Links für richtig halten sollen. Alle sollten sich immer eine eigene Meinung bilden. Hier also ein paar Vorschläge von heute:
  • Der erste Lesevorschlag stammt vom „Blättchen“, einer Online-Zeitung, die sich selbst in der Tradition der Weltbühne sieht – in ihr hatte z.B. auch Kurt Tucholsky mitgearbeitet. Interessant an diesem Artikel finde ich, dass hier der Ukrain-Krieg in einen größeren Zusammenhang eingeordnet wird: https://das-blaettchen.de/2023/01/beendet-diesen-krieg-64567.html.
  • Den zweiten Link hat uns Mona zugeschickt, die auch schon einmal bei unseren Mahnwachen einen Beitrag gehalten hat. Es handelt sich um eine Dokumentation des buddhistischen Mönchs Thich Nhat Hanh, der in seinem Leben einen ganz eigenen Weg gefunden hat, um sich für den Frieden in der Welt einzusetzen. Nein, ich bin eigentlich kein religiöser Mensch, aber diese Dokumentation (in englisch mit deutschen Untertiteln) hat mich sehr beeindruckt: https://www.youtube.com/watch?v=DRObW9noiVk.
  • Der nächst Link ist ein aktueller Artikel aus den NachDenkSeiten. Unser Bundeskanzler Scholz war vor kurzem in Südamerika unterwegs. Unter anderem versuchte er dabei, den neu gewählten brasilianischen Lula zu überreden, Waffen an die Ukraine zu liefern. Dieser lehnte das ab und kündigte statt dessen eine Friedensinitiative an, die er zusammen mit Indonesion, Indien und China starten möchte. Näheres hierzu auf diesem Link: https://www.nachdenkseiten.de/?p=93295.
  • Mittlerweile hat es schon viele Aufrufe zur Beendigung des Krieges in der Ukraine gegeben. Ein besonders fundierter Aufruf stammt von den „Internationalen Ärzten zur Verhütung von Atomkriegen (IPPNW), der Naturwissenschaftler*innen Initiative „Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit“ und derUkrainische Pazifistische Bewegung: https://science4peace.com/Petitions/ewExternalFiles/No-first-Use-Appeal-2022-11-27-german-1.pdf.
  • Von dem folgenden offenen Brief von Emma an den Bundeskanzler hatte ich schon auf einer vorherigen Mahnwache hingewiesen. Damals hatten diesen Aufruf ca. 470.000 Menschen unterzeichnet. Wie es aussieht, könnten es noch an diesem Wochenende mehr als 500.000 sein. Damit ist dieser Aufruf von den Unterschriftenzahlen her bestrachte die mit weitem Abstand erfolgreichste Unterschriftensammlung der Friedensbewegung. Deshalb gehen Sie noch einmal in sich: Wen könnten Sie noch unternehmen, damit ihre Freunde und Bekannten diesen offenen Brief kennenlernen und unterschreiben. Wenn es jetzt schon 500.000 sind, dann müssen das auch noch über eine Million werden! https://www.emma.de/thema/der-offene-brief-kanzler-scholz-339507.
  • Unsere nächste Mahnwache findet am Freitag, 10.02.23 um 18.00 Uhrauf dem Mittleren Marktplatz statt.
  • Jetzt ist noch Zeit zum Austausch untereinander. Wir wünschen Ihnen und euch einen guten Nachhauseweg.

 

 

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