Mahnwache vom 10.02.2023

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Es folgen wieder die Texte unserer letzten Mahnwache

Uwe:
Guten Abend, Ich begrüße Sie im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer 40. Mahnwache gegen den Krieg. Schön, dass Sie trotz der Temperaturen um den Gefrierpunkt den Weg zu uns auf den Marktplatz gefunden haben.

Bei unserer Mahnwache vor 14 Tagen hatte ich von einem Interview mit dem Pazifisten Jürgen Grässlin berichtet, welches in der ersten Ausgabe dieses Jahres des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ zu lesen war. Grässlin antwortete auf die Frage, was er den Ukrainern raten würde, wie sie sich gegen den russischen Aggressor zur Wehr setzen sollen, sinngemäß, ein gewaltfreier Widerstand, d.h. nichtmilitärische zivile Verteidigung wäre viel wirksamer und würde weniger Menschenleben kosten, als der militärische. Gräßlin berief sich in dem Interview auf die wissenschaftlichen Untersuchungen der US-amerikanischen Terrorismusforscherinnen Erica Chenoweth und Maria Stephan. Diese hatten, das wurde in der gleichen Ausgabe des Spiegel berichtet, in aufwändigen Untersuchungen im Zeitraum von 1960 bis 2006 herausgefunden, dass zivile „Widerstandskampagnen“, so bezeichnen die Wissenschaftlerinnen gewaltfreie Aktionen, wesentlich erfolgreicher waren als die militärischen, also gewaltsamen, nämlich fast doppelt so erfolgreich.

Und betrachtet man lediglich die Erfolgsquote zwischen den Jahren 2000 und 2006, ist der Unterschied zwischen gewaltfreien Kampagnen und bewaffneten Kämpfen noch größer. Die Erfolgswahrscheinlichkeit von gewaltfreien Aufständen oder Kämpfen liegt in diesem Zeitraum bei 70 Prozent und ist im Vergleich zu bewaffneten Kampagnen fast 5-mal so erfolgreich.

Gewaltfreie Kampagnen haben , nach Chenoweth und Stephan, die Tendenz, in allen Regionen der Welt erfolgreicher zu sein als bewaffnete Kämpfe. Als Beispiele dafür führen die Wissenschaftlerinnen den erfolgreichen Kampf Mahathma Gandhis gegen die Kolonialmacht Großbritannien, den friedlichen Umsturz in der ehemaligen DDR an. Auch bei dem Sturz des liberianischen Diktators Charles Taylor und bei der Erringung des Friedens in dem Land spielten die gewaltfreien Aktionen der Frauen um die Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee eine große Rolle.

Nun stellt sich die berechtigte Frage, warum auf die zivile Verteidigung, wenn sie, wie die beiden Forscherinnen nach ihren wissenschaftlichen Untersuchungen betonen, wesentlich erfolgreicher und effektiver sein soll als die militante, so wenig zurückgegriffen und sie geleistet wird. Dazu gibt es nach meinen Informationen keine belastbaren Untersuchungsergebnisse. Ich selbst glaube aber, dass zivile, nichtmilitärische Verteidigung in der vorherrschenden Politik entweder nicht bekannt ist, oder von dieser nicht gewollt wird. Beispielsweise wurden während der letzten Jahre Institutionen oder Organisationen, die sich mit Konfliktforschung beschäftigen oder in Krisenregionen an friedlichen Lösungsmöglichkeiten arbeiten, von der Bundesregierung nur noch mit geringen finanziellen Mittel ausgestattet.

Zivile Verteidigung muss auch geübt und trainiert werden. Da aber vor allen Dingen die militärische Verteidigung favorisiert wird und die steigenden Ausgaben für Aufrüstung nur von wenigen Politikern, z.B. von der Linken und der AfD hinterfragt werden, findet sie große Aufmerksamkeit und und zum Teil Akzeptanz bei großen Teilen der Öffentlichkeit.
Auch stellt sich die Frage, ob zivile Verteidigung bei dem Angriff russischer Militärs auf die Ukraine sinnvoll und wirksam gewesen wäre oder ist. Von den Medien nicht oder kaum beachtet; es hat sie gegeben, oder gibt sie vielleicht sogar noch!

Ein Beispiel dafür war in einer Nachrichtensendung des ZDF oder der ARD im März des vergangenen Jahres zu sehen und zu hören: Als eine ukrainische Kleinstadt von russischen Truppen eingenommen wurde, verhafteten russische Soldaten den Bürgermeister. Daraufhin versammelten sich viele Bürger der Stadt auf dem Marktplatz und umringten lachend und singend die Soldaten. Diese gaben mehrere Salven mit ihren Gewehren in die Luft ab, um die Menschen zu erschrecken. Aber nach einem Bericht in einem Nachrichtenportal beeindruckte dies die Zivilisten nicht. Es soll zwischen einer Abordnung der Zivilgesellschaft und den russischen Militärs zu Verhandlungen gekommen sein, mit dem Ergebnis, dass der Bürgermeister wieder freikam und die russischen Militärs nach zwei Tagen Besatzung wieder komplett abzogen, nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass sich keine Waffen in einigen Häusern der Stadt befanden.

Vielleicht haben diese Sendung einige von Ihnen gesehen;- von diesem Ereignis wurde aber nie wieder berichtet, weder im TV noch in den Mainstream – Printmedien.

Darüber, dass es solcherart zivilen Widerstand auch schon in der Antike gab, berichtete arte in seiner Sendung: „Von Kyros bis Khomeni – drei Jahrtausende Iran“, am Samstag, 4.Februar d.J. In dieser Sendung wurde von der persischen Stadt Schiran berichtet, die im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung von dem mongolischen Heer belagert wurde. Der Stadt drohte, wie anderen Städten des persischen Reiches geschehen, die Plünderung und Verwüstung. Der Gouverneur dieser Stadt forderte die Einwohner auf, die Stadttore zu öffnen und die Aggressoren mit einem Fest zu empfangen. Es gibt keine Kunde davon, wie diese Aktion verlief, aber Dokumente, aus denen hervorgeht, dass die Stadt Schiran nicht zerstört wurde, und dass der Gouverneur sein Amt weiter ausüben konnte.

Wahrscheinlich gab es, sowohl im Altertum, wie bei Konflikten in der Neuzeit, viele solcher gewaltfreier Aktionen. Leider wurden und werden aber fast ausschließlich die Heldentaten der militärischen Führer oder siegreichen Heere gerühmt. Friedvolle Taten von der Zivilbevölkerung werden dagegen kaum erwähnt, oder genießen ein weitgehend unbeachtetes Schattendasein.

Hierzu B.Brecht in seiner Ballade vom Wasserrad:
„Von den Großen dieser Erde, berichten uns die Heldenlieder,
gehen auf so wie Gestirne, gehen wie Gestirne nieder, (….)
Aufstieg oder Fall, wer trägt die Spesen?“

Ich wollte mit diesem Redebeitrag die Zivile Verteidigung vorstellen und mit den erwähnten Beispielen deutlich machen, dass diese Art Widerstand gegen Gewalt funktioniert und mancherorts überhaupt nicht so unpopulär ist, wie von der vorherrschenden Politik und dem Großteil der Medien dargestellt.
Nähere Informationen zu diesem Thema können sie erhalten bei: „Ziviler Friedensdienst“, (ZFD) de, sowie bei dem „Bund für soziale Verteidigung“ de

Ich möchte am Ende meines Redebeitrags aber keinesfalls das schwere Erdbeben, welches große Teile Syriens und der Türkei erschüttert, und dort immense Zerstörung angerichtet hat, ausklammern. Wir werden in unser Gedenken während unseres Schweigens die vielen Todesopfer, die Verletzten und die, die alles Hab und Gut verloren haben einbeziehen.
Allmählich läuft die internationale Hilfe an und viele Menschen zeigen sich solidarisch und zeigen Mitgefühl mit den Opfern, indem sie an Hilfsorganisationen spenden.
Mir selbst zeigt diese Katastrophe, dass die internationale Gesellschaft eigentlich genug damit zu tun hätte, adäquat auf diese Ereignisse apokalyptischen Ausmaßes, seien sie von Menschen verursacht, oder natürlichen Ursprungs, zu reagieren, als unsinnige, Ressourcen verschlingende Kriege zu führen.

Doris:
Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen. Wir denken an die Opfer des Krieges in der Ukraine und an die Opfer der Kriege in anderen Ländern. Auch an die Opfer der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und in Syrien. An alle, die ihr Leben verloren haben, seien es Soldaten oder Zivilisten. An alle, die ihre Heimat verlassen mussten. An die geschundene Natur, an die zerstörte Kultur. An alle, die sich gegen den Krieg einsetzen. Mögen die Politiker auf beiden Seiten endlich zur politischen Vernunft zurückkehren und eine weitere Eskalation verhindern.

Doris:
Ich lese ein Gedicht von Kurt Tucholsky:

Man hat ja noch niemals versucht,
den Krieg ernsthaft zu bekämpfen.
Man hat ja noch niemals
alle Schulen und alle Kirchen,
alle Kinos und alle Zeitungen
für die Propaganda des Krieges gesperrt.
Man weiß also gar nicht,
wie eine Generation aussähe,
die in der Luft eines gesunden du kampfesfreudigen,
aber kriegsablehnenden Pazifismus
aufgewachsen ist.
Das weiß man nicht.

Doris:

Ich werde oft gefragt: „Warum tut denn die Friedensbewegung nichts?“ oder: Was kann denn der/die Einzelne machen?“ Daher will ich am Schluss wieder einige Beispiele nennen.
• Am kommenden Freitag wird in München wieder die sogenannte „Münchner Sicherheitskonferenz“ stattfinden. Parallel dazu sind verschiedene Aktionen der Friedensbewegung geplant. Als Hybridveranstaltung wird eine „Internationale Münchner Friedenskonferenz 2023“ stattfinden. Deren Ziel ist es, militärisches Sicherheitsdenken zu überwinden und auf gemeinsame Sicherheit durch Interessensausgleich und Kooperation zu setzen. Außerdem ist eine Demonstration und Protestkette mit „Umzingelung“ der Münchner Sicherheitskonferenz geplant. Nähere Informationen gibt es auf der homepage www.friedenskooperative.de
• Viele Friedensorganisationen rufen zum Jahrestag des russischen Angriffs zur Teilnahme am bundesweiten Aktionswochenende vom 24.-26. Februar auf. Das Motto lautet „Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen!“. Im Terminkalender der Friedenskooperative sind bereits zahlreiche Veranstaltungen aufgeführt. Auch in Stuttgart wird es zwei Aktionen geben. Wir werden noch Näheres dazu mitteilen.
• Von der Organisation „Ohne Rüstung Leben“ gibt es eine neue Briefaktion an Außenministerin Baerbock mit der Überschrift; „Wege zum Frieden aufzeigen“. Einige Exemplare liegen zum Mitnehmen und Abschicken in der Mitte bereit.
• Das Friedensnetz Baden-Württemberg hat im Dezember einen Offenen Brief an Winfried Kretschmann und Frank Nopper gestartet. Es geht um die nukleare Aufrüstung im Zusammenhang mit der US-Kommandozentrale EUCOM in Stuttgart-Vaihingen. Der Brief kann mitgenommen oder gleich hier unterschrieben werden.
• Auf unserer homepage www.friedensinitiative-schorndorf.de werden wieder dieTexte der heutigen Mahnwache sowie verschiedene links zu interessanten Redebeiträgen zum Nachlesen zu finden sein.
• Unsere nächste Mahnwache findet am Freitag, 17.02.23 um 18.00 Uhrauf dem Mittleren Marktplatz statt.
• Jetzt ist noch Zeit zum Austausch untereinander. Wir wünschen Ihnen und euch einen guten Nachhauseweg.

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