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Es folgen die Redebeiträge dieser Mahnwache:
Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch zu unserer Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Vielen Dank allen, die heute gekommen sind.
Wie jeden Freitag bringen wir in Gedanken die Nachrichten der vergangenen Woche mit. Ich nenne nur stellvertretend einige Zeitungsüberschriften:
• Spahn für deutschen Zugriff auf Atomwaffen
• Wadephul: Putin bedroht unsere Freiheit
• Iran will nach Krieg Atomprogramm fortsetzen
• Rüstung ist bei Besuch in Kiew Hauptthema
• Aufgeheiztes Europa
• US-Kürzungen bei der Entwicklungshilfe: 14 Millionen Tote befürchtet
• und heute die Radiomeldung vom bisher schwersten russischen Luftangriff auf Kiew seit Kriegsbeginn.
Wir stehen hier mit unseren Sorgen und Ängste, unserer Trauer und unserer Wut. Weil wir gemeinsam all dem Schlimmen etwas entgegensetzen wollen. Gut, dass es auch anderswo Menschen und Organisationen gibt, die sich für eine bessere Welt einsetzen. Gut, dass wir uns an Vorbildern orientieren können. Lonny hat mir kürzlich erzählt, dass sie eine sehr gute Rede von Willy Brandt entdeckt hat. Ich habe sie gebeten, diese heute vorzutragen. Daher gebe ich jetzt gleich das Mikrofon weiter.
Lonny:
Ich lese aus der Rede von Bundeskanzler Willy Brandt anlässlich der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages am 7. Dezember 1970:
„Meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Ich bin mir bewusst: Dies ist eine schwere Reise. Für eine friedliche Zukunft wird sie von Bedeutung sein. Der Vertrag von Warschau soll einen Schlussstrich setzen unter Leiden und Opfer einer bösen Vergangenheit. Er soll eine Brücke schlagen zwischen den beiden Staaten und den beiden Völkern. Er soll den Weg dafür öffnen, dass getrennte Familien wieder zusammenfinden können. Und dass Grenzen weniger trennen als bisher.
Und trotzdem: Dieser Vertrag konnte nur nach ernster Gewissenserforschung unterschrieben werden. Wir haben uns nicht leichten Herzens hierzu entschieden. Zu sehr sind wir geprägt von Erinnerungen und gezeichnet von zerstörten Hoffnungen. Aber guten Gewissens, denn wir sind überzeugt, dass Spannungen abgebaut, Verträge über Gewaltverzicht befolgt, die Beziehungen verbessert und die geeigneten Formen der Zusammenarbeit gefunden werden müssen, um zu einer europäischen Friedensordnung zu gelangen.
Dabei muss man von dem ausgehen, was ist; was geworden ist, auch in Bezug auf die Westgrenze Polens. Niemand hat uns zu dieser Einsicht gezwungen. Wir sind mündig geworden. Es geht um den Beweis unserer Reife und um den Mut, die Wirklichkeit zu erkennen. Was ich im August Ihnen aus Moskau gesagt habe, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, gilt auch für den Vertrag mit Polen: Er gibt nichts preis, was nicht längst verspielt worden ist. Verspielt nicht von uns, die wir in der Bundesrepublik Deutschland politische Verantwortung tragen und getragen haben. Sondern verspielt von einem verbrecherischen Regime, vom Nationalsozialismus.
Wir dürfen nicht vergessen, dass dem polnischen Volk nach 1939 das Schlimmste zugefügt wurde, was es in seiner Geschichte hat durchmachen müssen. Dieses Unrecht ist nicht ohne Folgen geblieben.
Großes Leid traf auch unser Volk, vor allem unsere ostdeutschen Landsleute. Wir müssen gerecht sein: Das schwerste Opfer haben jene gebracht, deren Väter, Söhne oder Brüder ihr Leben verloren haben. Aber nach ihnen hat am bittersten für den Krieg bezahlt, wer seine Heimat verlassen musste. Ich lehne Legenden ab, deutsche wie polnische. Die Geschichte des deutschen Ostens lässt sich nicht willkürlich umschreiben. (…)
Namen wie Auschwitz werden beide Völker noch lange begleiten und uns daran erinnern, dass die Hölle auf Erden möglich ist; wir haben sie erlebt. Aber gerade diese Erfahrung zwingt uns, die Aufgaben der Zukunft entschlossen anzupacken. Die Flucht vor der Wirklichkeit schafft gefährliche Illusionen. Ich sage: Das Ja zu diesem Vertrag, zur Aussöhnung, zum Frieden, ist ein Bekenntnis zur deutschen Gesamtgeschichte. Ein klares Geschichtsbewusstsein duldet keine unerfüllbaren Ansprüche. Es duldet auch nicht jene geheimen Vorbehalte, vor denen der Ostpreuße Immanuel Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ gewarnt hat.
Wir müssen unseren Blick in die Zukunft richten und die Moral als politische Kraft erkennen. Wir müssen die Kette des Unrechts durchbrechen. Indem wir dies tun, betreiben wir keine Politik des Verzichts, sondern eine Politik der Vernunft. (…)“
Ich möchte dazu ergänzen: Krieg ist seit 80 Jahren international verboten – mit zwei Ausnahmen: Dem Recht auf Selbstverteidigung und wenn die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates vorliegt. Die Gründung der UNO 1945 ist eine Sternstunde der Menschheit, welche seit mehreren Jahrtausenden Kriege führt und ihn 1945 weltweit verbietet. An der Gründung der UNO waren 50 Staaten beteiligt. Jetzt sind es 190 Mitglieder. Die Welt sehnt sich nach Frieden.
(es folgten noch weitere persönliche Ausführungen, die nicht schriftlich festgehalten sind).
Doris:
Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen und das Gehörte auf uns wirken lassen.
Doris:
Ich lese einen Text von Martin Stöhr
Krieg und Frieden
Es gibt immer nur wenige Agenten und Täter des Todes.
Aber es sind viele Gleichgültige,
die ihnen das Geschäft des Todes nicht verwehren.
Es sind wenige,
die am Werk des Friedens und der Versöhnung arbeiten.
Auf ihnen ruht die Hoffnung,
dass die laufenden Kriege
zugunsten von Gerechtigkeit und Frieden,
zugunsten von Millionen Kindern, Männern und Frauen
vermindert oder gar beendet werden.
Der Krieg rechnet mit uns
und spekuliert auf unsere Gleichgültigkeit.
Der Frieden aber rechnet erst recht mit uns,
dass wir die Erinnerung an die Toten
in Arbeit für die Lebenden und vom Tode bedrohten umsetzen.
Dazu sind wir fähig.
Doris:
Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:
- Morgen, am Samstag, den 05. Juli wird es um 14.00 Uhr in Karlsruhe eine überregionale Kundgebung für einen gerechten Frieden im Nahen Osten geben. Abfahrt ist um 55 Uhr ab Stuttgarter Hauptbahnhof, Gleis 8.
- Ebenfalls morgen ruft das Bündnis „Nie-wieder-Krieg“ zu einem bundesweiten Aktionstag für den Berliner Appell Wir werden versuchen, bei unserer Friedensbanner-Aktion nochmals Unterschriften zu sammeln. Wer sich daran beteiligen möchte, möge sich bitte nachher bei mir melden.
- Am Montag, den 07.07. trifft sich wieder die Ökumenische Friedensgruppe der Stadtkirchengemeinde Schorndorf um 18.00 Uhr im Martin-Luther-Haus. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.
- Am Dienstag, den 08.07. ist wieder der“Flaggentag der Mayors for Peace“. OB Hornikel hat zugesagt, die Flagge hier vor dem Rathaus zu hissen und bis zu unserer nächsten Mahnwache hängen zu lassen. Vor dem Stuttgarter Rathaus wird es am 08.07. um 13.00 Uhr eine Veranstaltung u.a. mit der Präsidentin der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Baden Württemberg e.V. geben. In Mutlangen gibt es um 17.00 Uhr eine Veranstaltung beim Wildpflanzenpark Mutlanger Heide. Es spricht u.a. Dr. Angelika Claußen von der Organisation IPPNW.
- 17 345 Menschen haben inzwischen die Petition zur Unterstützung des SPD- Manifests für einen Wandel in der deutschen Außenpolitik unterzeichnet. Man kann auch hier bei uns auf Papier unterschreiben.
- Vor genau 30 Jahren, im Juli 1995, ermordeten bosnisch-serbische Einheiten in Srebrenica unter dem Kommando von Ratko Mladic mehr als 8000 muslimische Männer und Jungen. Mehr als 25 000 Frauen, Kinder und ältere Menschen wurden vertrieben. Die Organisation „Mütter von Srebrenica“ bringt jedes Jahr am 11. Juli Menschen zusammen, über ethnische und religiöse Trennlinien hinweg. Sie gedenken der Opfer und setzen sich für Wahrheitsfindung und Versöhnung ein.
- Unsere nächste Mahnwache findet am kommenden Freitag, den 11. Juli um 18.00 Uhr wieder hier auf dem Marktplatz statt.
danke, Lonny, für die erinnerung an einen versöhnlichen politiker u die persönliche einlassg. danke, Doris, für die abschrift des textes zum nachlesen!