Mahnwache vom 04.11.2022

Posted by

Im folgenden können die Texte der Mahnwache vom 04.11.2022 nachgelesen werden. An dieser Mahnwache nahmen insgesamt 55 Menschen teil, wohl auch aufgrund der aktuellen Ereignisse im Iran.

Doris:

Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer 28. Mahnwache gegen den Krieg. Vielen Dank an alle, die gekommen sind.

Der Krieg – jeder Krieg – tritt die Menschenrechte mit Füßen. Zuallererst das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Aber auch andere Menschenrechte. Und das betrifft sowohl Soldaten als auch Zivilisten. Jedoch auch in vielen Ländern der Erde, in denen aktuell kein Krieg herrscht, werden die Menschenrechte mit Füßen getreten. Sie alle aufzuzählen würde mehrere Seiten füllen. Im sogenannten „Atlas der Zivilgesellschaft“ sind so viele Länder rot markiert wie noch nie. Dort sind Vereinigungs-. Versammlungs-, und Meinungsfreiheit drastisch eingeschränkt. Menschen, die in diesen Ländern ihre Freiheitsrechte wahrnehmen – also demonstrieren, gegen Missstände kämpfen oder einfach ihre Meinung frei äußern – laufen Gefahr, inhaftiert, misshandelt oder sogar getötet zu werden. Zwei Drittel der Weltbevölkerung leben in autoritären Staaten oder Diktaturen.

Seit einigen Wochen ist die Situation im Iran besonders in den Fokus gerückt. Wir hören schlimme Nachrichten und sehen verstörende Bilder aus diesem Land. Heute ist eine Frau bei unserer Mahnwache zu Gast, die im Iran aufgewachsen ist und daher besonders unter den aktuellen Entwicklungen in ihrem Heimatland leidet. Wir begrüßen Ronak Asgari und ihre Mutter Fatemeh, die nun zu uns sprechen wird.

Ronak Asgari:

Guten Abend. Mein Name ist Ronak und das ist meine Mutter Fatemeh. Wir kommen aus dem Iran und leben seit ungefähr 3 Jahren in Deutschland.

Ich möchte heute Abend über den Iran, unsere Heimat und die Situation im Iran reden.

Der Iran war früher berühmt für seine Poesie, Literatur, Geschichte, Kultur, Kunst, wunderschöne Natur, Musik, Tanz und Gesang, farbenfrohe Kleidung, vielfältige Speisen. Aber seitdem das Islamische Regime das Land führt, ist Iran für Gewalt, Gefahr und Atomkraft berühmt!

Wie Sie vielleicht wissen, führen die Mullahs seit über 40 Jahren ein diktatorisches Regime im Iran und seit über 40 Tagen kämpfen mutige Frauen und Männer auf der Straße gegen das Regime, für ihre Grundrechte, für die Freiheit.

Seit Jahren gab es im Iran immer kleine und große Demonstrationen, die vom Islamischen Regime mit Gewalt unterdrückt wurden. Diesmal ist es aber anders. Diesmal ist es keine Demonstration mehr. Es ist eine Revolution!

Vor 6 Wochen war der Auslöser dieser Revolution der Tod von Mahsa Amini. Sie war eine erst 22-jährige Frau, die sich ihr gesamtes Leben noch vor sich. Amini war am 13. September von der islamischen Sittenpolizei festgenommen worden, weil ihr Hijab nicht den Regeln der Mullahs entsprach. Sie wurde von der Sittenpolizei geschlagen, ins Koma gefallen und starb dann.

Seitdem wurden aber hunderte Frauen und Männer und über 50 Kinder erschossen, ermordet, vergewaltigt, verhaftet und sind verschwunden. Die demonstrierenden Menschen lassen sich aber nicht mehr unterkriegen. Sie leisten weiter Widerstand, um ihre Grundrechte einzufordern.

Obwohl es im Iran immer noch schwierig ist, auf das Internet zuzugreifen, konnten wir unsere Familie und Freunde manchmal kontaktieren. Soweit ich weiß, gehen sie jeden Abend mutig auf die Straße. Sie tragen keine Kopftücher und skandieren, dass sie das islamische Regime nicht mehr wollen. Sie verbrennen ihre Kopftücher und schneiden die Haare ab, obwohl sie deswegen verhaftet, oder sogar ermordet werden sollen. Sie drucken Papiere und werfen sie in die Häuser und bitten andere Menschen darum, auf die Straße zu gehen und gegen das islamische Regime zu kämpfen.

Sie werden mit den Protesten nicht aufhören, bis die Mullah-Herrschaft beendet ist. Und deswegen reden wir nicht mehr von Demonstration, sondern nennen es Revolution. Diese Revolution forderte am Anfang Frauenrechte. Jetzt geht es aber um Menschenrechte.

Wir Frauen dürfen in der Schule oder Uni keinen Nagellack tragen. Wir dürfen in der Universität keine farbige Kleidung tragen. Wir dürfen nicht in Stadien gehen. Wir dürfen nicht tanzen und singen. All dies sind die Gesetze des islamischen Regimes, und all die Jahre hat uns das islamische Regime diese Grundrechte weggenommen. Fast alle Frauen im Iran wurden mindestens einmal von der Sittenpolizei belästigt. Aber vierzig Jahre sind genug für all diese Verfolgung und Ungerechtigkeit.

Jetzt ist aber die Zeit für eine Revolution gekommen. Wir wollen frei sein. Wir sind Menschen. Unser Leben hat seinen Wert. Niemand darf einen Menschen, der nach seiner Freiheit ruft, erschießen. Das Regime der Mullahs setzt aber all seine Macht ein, um diese Revolution zu unterdrücken und die Stimme der protestierenden Menschen zum Schweigen zu bringen.

Nun ist klar, dass das islamische Regime nicht nur sein eigenes Volk gefährdet, sondern für die ganze Welt gefährlich ist. Wir alle wissen, das islamische Regime hat Russland im Krieg mit der Ukraine unterstützt.

Wir müssen die Stimme der Menschen im Iran sein, die für die Freiheit kämpfen. Die Stimme der Menschlichkeit. Die Stimme des Kampfes für Grundrechte und gegen dieses tödliche diktatorische Regime.

Mutige Menschen auf der Welt, die sich für Menschenrechte einsetzen, werden nicht vergessen, wer auf der Seite der Menschen ist, die in Frieden leben wollen und wer auf der Seite des Diktators ist.

Doris:

Vielen Dank Ronak Asgari. Es berührt uns alle sehr, wenn wir hören, wie es Ihnen geht, wie es den Menschen im Iran geht. Wir sind solidarisch mit denen, die gewaltfrei für die Menschenrechte in ihrem Land kämpfen und dabei ihr Leben aufs Spiel setzen. Vielen Dank.

Doch was können wir wirklich tun, um die Menschen im Iran zu unterstützen? Was könnten unsere Politiker tun? Auf diese Fragen gibt es keine einfache Antwort.

Es macht mir große Sorgen, dass der Iran möglicherweise bald Atomwaffen herstellen kann. In den vergangenen Jahren wurden daher Sanktionen gegen den Iran verhängt, und schon mehrmals wurde eine Bombardierung der Atomanlagen angedroht. Daher hatte es mich mit Hoffnung erfüllt, dass vor einiger Zeit eine Vereinbarung getroffen worden war, die die Lockerung der Sanktionen und den Verzicht auf den Bau von Atomwaffen zum Ziel hatte. Obwohl der Iran sich an die Auflagen gehalten hatte, wurde der sogenannte Atomdeal von US- Präsident Trump einseitig aufgekündigt. Die europäischen Staaten versuchten, den Vertrag zu retten, und es gab Verhandlungen in Wien, die kurz vor einem Abschluss standen. Inzwischen wurden alle Verhandlungen abgebrochen. Es besteht Grund zur Annahme, dass der Iran nun sein Atomprogramm weiter entwickeln wird. Es macht mir große Sorgen, dass die USA oder Israel darauf mit der Bombardierung der Atomanlagen reagieren könnten. Die Folgen wären katastrophal. Ich habe keine konkrete Vorstellung, was genau man tun könnte, um das zu verhindern. Ich weiß nur: Die Welt braucht keinen neuen Krieg. Und: Den Menschen im Iran, die jetzt für ihre Freiheit demonstrieren, wäre damit auch nicht geholfen. Im Gegenteil.

Es geht, wie ich eingangs gesagt habe, um die Menschenrechte. Im Krieg werden diese mit Füßen getreten. Darum haben wir, die wir nicht im Krieg leben, die moralische Verpflichtung, uns für die Menschenrechte einzusetzen. In Stuttgart und Umgebung gibt es zur Zeit eine große Veranstaltungsreihe mit dem Titel „30 Tage im November – Vom Wert der Menschenrechte“. Über 230 zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich zusammengeschlossen, um in zahlreichen Veranstaltungen der Frage nachzugehen, ob, wie und was wir aus der Vergangenheit gelernt haben und welche Schlüsse sich daraus für die Zukunft ziehen lassen. Die Veranstalter schreiben: „In einer von Kriegen, sozialen Verwerfungen und der Klimakrise geprägten Gegenwart gilt es mehr denn je, Wissen und Werte zu vermitteln, die uns befähigen, Frieden, Demokratie und Freiheit immer wieder neu zu fordern, zu bewahren und die Allgemeinen Menschenrechte zu verteidigen… Zeigen wir unseren Mut zu neuer Hoffnung, hier unter uns und für uns sowie als Solidarität mit Geflüchteten, Verfolgten und Leidenden in aller Welt“. Nähere Informationen und das Veranstaltungsprogramm gibt es unter www. 30tageimnovember.de. Ich finde es sehr ermutigend, dass es diese Initiative gibt.

Uwe:

Ich lade Sie nun wieder  dazu ein, fünf Minuten mit uns zu schweigen.

Wir gedenken dabei all derer, die durch oder bei kriegerischen Auseinandersetzungen ihr Leben verloren haben, verletzt wurden, oder ihr Zuhause verloren haben. Wir gedenken der Soldaten, die bei Kämpfen getötet wurden und der Flüchtenden, die bei ihrer Flucht vor Krieg, Armut oder Hungertod im Mittelmeer oder sonst wo ums Leben kamen, oder, wie heute in den Nachrichten berichtet, auf mehreren Booten von Seenot-Rettungsorganisationen vor der italienischen Küste bis jetzt vergeblich darauf warten, in einem Hafen an Land gehen zu dürfen.

Wir gedenken der Menschen in Äthiopien, die bei dem seit zwei Jahren währenden Bürgerkrieg verletzt oder ermordet wurden, und hoffen mit ihnen, dass der gestern zwischen  den Kriegsparteien ausgehandelte Waffenstillstand tatsächlich zu einem Ende der Kampfhandlungen führt.

Wir gedenken der Frauen und Männer, die im Iran für die Durchsetzung ihrer Menschenrechte auf den Straßen demonstrieren und sich der Gefahr von Kerker, Folter oder Tod aussetzen.

Wir gedenken all derer, die sich weltweit gegen Kriege und für ein friedliches Miteinander der Menschen, sowie gegen die fortschreitende Zerstörung unserer Mitwelt einsetzen.

Uwe:

Bertold Brecht: An die Nachgeborenen    (1939)

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht noch nicht empfangen.
(…)
Aber es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall.
Nichts von dem was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück mich verlässt bin ich verloren.)

Man sagt mir: Iss und trink du! Sei froh, dass du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken,
wenn ich dem Hungernden entreiße, was ich esse
und mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.

Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
mich aus dem Streit der Welt halten
und die kurze Zeit ohne Furcht verbringen.
Auch ohne Gewalt auskommen.
Böses mit Gutem vergelten.
Seine Wünsche nicht erfüllen sondern vergessen
gilt als weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
(……..)

Uwe:

Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:

  • Am kommenden Sonntag, den 6. November findet eine Demonstration zum Atomkraftwerk Neckarwestheim statt. Das Motto lautet: „Atomkraftwerke abschalten! Keine Laufzeitverlängerungen! Weitere Energiewende jetzt!“ Start ist um 13 Uhr am Bahnhof Kirchheim/ Neckar.
  • Am Montag, 07.10.22 findet um 18.00 Uhr wieder das Ökumenische Friedensgespräch in der Stadtkirche statt.
  • Am Montag, 21. November um 19.30 Uhr spricht Andreas Zumach in der Manufaktur Schorndorf. Das Thema lautet: „Trotz Ukrainekrieg – für eine ökologische, militärarme, sozial und global gerechte Zeitenwende“. Die Friedensinitiative Schorndorf und die Friedenswerkstatt Mutlangen laden als Mitveranstalter ein.
  • Unsere nächste Mahnwache ist am kommenden Freitag, 11.11.22 um 18.00 Uhr auf dem Mittleren Marktplatz.

Leave a Reply

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.