Mahnwache vom 16.12.2022

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Doris:

 Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch zu unserer 34. Mahnwache gegen den Krieg. Vielen Dank allen, die heute gekommen sind. In der Weihnachtsausgabe der Schorndorfer Nachrichten soll es um das Thema Frieden gehen, und da wird auch über unsere Mahnwache berichtet werden. Deshalb wird nachher ein Fotograf der Schorndorfer Nachrichten vorbeikommen.

Das Jahr geht seinem Ende entgegen. Es ist kalt geworden. Es ist immer dunkler geworden. Und noch immer stehen wir hier. „Geht doch endlich nach Hause! Das bringt doch nichts!“ sagen viele. Auch manche von denen, die anfangs noch zur Mahnwache gekommen sind. Warum stehen wir immer noch hier? Aus Entsetzen – aus Wut – aus Angst – aus Trotz – aus Mitgefühl – aus Trauer – aus dem Willen, nicht zu resignieren – aus der Überzeugung, dass es nicht egal ist, ob wir zur Tagesordnung übergehen oder nicht.

Wir schauen zurück. Schon zu Beginn des Jahres 2022 war eine ungeheure Anspannung zu spüren. Würden die russischen Truppen, die an der ukrainischen Grenze stationiert waren, einmarschieren oder nicht? Würde Putin einlenken? Würde „alles nochmal gut gehen“? Oder würde es zum offenen Krieg kommen: zwischen Russland und der Ukraine – oder gar zwischen Russland und der Nato? Wir wissen  inzwischen, was dann geschah. Der russische Präsident ordnete den völkerrechtswidrigen Überfall auf das Nachbarland Ukraine an. Dass es so kam, war zwar erklärbar, aber keinesfalls zu rechtfertigen. Auch ein Aufrechnen mit anderen völkerrechtswidrigen Angriffskriegen, die vonseiten der Nato geführt worden waren, ist keine Rechtfertigung. Auch wenn es durchaus wichtig ist, diese anderen vergangenen und gegenwärtigen Kriege nicht zu vergessen und die Angreifer zu benennen. Der schnelle Sieg des Riesen über das kleine Land blieb aus. Putin hatte sich verrechnet. Er hatte mit dem Überfall einen großen Fehler begangen. Ich vermute, dass er  das selbst längst weiß.

Und die Menschen in der Ukraine? Sie wollten sich nicht ergeben. Sie wollten kämpfen und ihre Heimat verteidigen. Das war nachvollziehbar. Aber war es auch sinnvoll und richtig? Es ist nicht einfach, das zu beurteilen. Nach einigen Wochen schien die Vernunft sich durchzusetzen. Eine zwischen Unterhändlern beider Länder ausgehandelte Lösung schien zum Greifen nah: ein Verzicht der Ukraine auf eine Nato- Mitgliedschaft bei gleichzeitigen Sicherheitsgarantien, ein Sonderstatus für bestimmte ukrainische Gebiete. Diese Lösung wäre für viele Menschen in der Ukraine sicherlich sehr bitter gewesen. Aber: vermutlich würden Tausende der getöteten Soldaten und Zivilisten noch leben. Vermutlich wäre das Land heute nicht so schwer zerstört.

Und Deutschland? Unsere Politiker haben sich beeilt, der Ukraine Hilfe zuzusagen. Keine Frage, an humanitärer Hilfe und Hilfe durch die Aufnahme von Flüchtlingen durfte nicht gespart werden. Aber militärische Hilfe? Waffenlieferungen mitten in ein Kriegsgebiet? Innerhalb von wenigen Tagen wurde dieses Tabu gebrochen, das seit der Wiederbewaffnung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg zumindest formal existiert hatte. Wer sich gegen diese Waffenlieferungen aussprach, machte sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Dass man nur Verteidigunswaffen liefern könnte und nur für diesen begrenzten Zweck, erwies sich schnell als unrealistisch. Auch sogenannte schwere Waffen wurden in großer Zahl geliefert. Die Ukraine führt seither einen Stellvertreterkrieg. Und ein neues weltweites Wettrüsten nahm an Fahrt auf, einschließlich der Gefahr eines Atomkriegs. Haben wir das wirklich gewollt? Hätten wir das nicht wissen können? Hat das wirklich einen erkennbaren Nutzen für die Menschen in der Ukraine gebracht? Und: die Sanktionen, mit denen wir Russland an seiner Kriegführung hindern wollten, haben sie das etwa bewirkt? Haben sie nicht vielmehr der ganzen Weltwirtschaft Schaden zugefügt? Und in der Folge auch dem Klima und den hungernden Menschen auf dieser Welt!

Die Zusage des Westens, der Ukraine über einen unbegrenzten Zeitraum bedingungslos Waffen zu liefern, hat dazu geführt, dass der ukrainische Präsident nun Russland besiegen will und nicht mehr zu Verhandlungen bereit ist. Ich vermute, dass  viele unserer Politiker inzwischen wissen, dass sie mit dieser Entscheidung einen großen Fehler begangen haben. Ebenso wie der russische Präsident vermutllich weiß, dass er einen Fehler begangen hat. Jetzt können beide Seiten das nicht mehr ungeschehen machen. Sie können nicht mehr zurück. Aber, müssen sie wirklich auf dem eingeschlagenen falschen und gefährlichen Weg weitergehen, bis… ja bis wohin? Gibt es wirklich keine Möglichkeit, „stopp“ zu sagen? Lasst uns endlich überlegen, wie wir aus dieser Sackgasse wieder herausfinden! Aber: Wer macht den ersten Schritt? Der jeweils andere? Dann wird es nie einen ersten Schritt geben. Der erste Schritt könnte heißen: dem anderen wirklich zuzuhören. Einmal seine Perspektive einzunehmen. Was sind seine Interessen? Was könnte ihn zum Einlenken bringen, ohne dass er das Gesicht verliert? Und: was sind unsere gemeinsamen Interessen? Wenn wir wirklich wollen, dass die Menschheit auf diesem Planeten noch eine Zukunft hat, müssen wir das gemeinsam angehen!

Wenn wir vom russischen Präsidenten erwarten, dass er Kompromisse eingeht, um den Krieg zu beenden, dann müssen wir auch vom ukrainischen Präsidenten erwarten, dass er Kompromisse eingeht. Wir sollten endlich beide Seiten zu neuen Verhandlungen auffordern und unsere weitere Unterstützung davon abhängig machen. Es gibt verschiedene Konzepte, von Experten ausgearbeitet, wie eine Verhandlungslösung aussehen könnte. Es gibt Vermittlungsangebote verschiedener Länder oder Institutionen. Jeder Tag, an dem weiter Krieg geführt wird, ist ein verlorener Tag. Jeder Tag, an dem miteinander über ein Ende des Krieges gesprochen wird, ist ein Tag, der sich lohnt.

Nicht nur die Friedensbewegung fordert Verhandlungen, sondern ausgerechnet der amerikanische Generalstabschef Mark Milley erklärte auf einer Pressekonferenz an der Seite des US-Verteidigungsministers Lloyd Austin, dass er nicht an einen schnellen Sieg der Ukraine glaube. Deshalb sei nun ein guter Zeitpunkt, auf politischem Weg eine Entscheidung zu suchen, durch Friedensverhandlungen. Er verwies zudem noch auf eine historische Lektion aus dem ersten Weltkrieg, als verweigerte Verhandlungen der Kriegsparteien zu Millionen von zusätzlichen Toten geführt hatten. „Man muss den Augenblick nutzen“, sagte Milley. Er sprach von bisher rund 100.000 toten und verletzten Soldaten auch auf Seiten der Ukrainer. Natürlich erhielt Mark Milley für seine Äußerungen viel Widerspruch. Ich finde es dennoch bemerkenswert, dass vom obersten Chef des US-Militärs eine solche Einschätzung kommt. Wir müssen uns also nicht länger als naiv bezeichnen lassen, wenn wir auf einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen drängen.

Und: lassen wir uns nicht entmutigen. Es ist nicht umsonst, wenn wir hier stehen. Es macht einen Unterschied, ob wir für den Frieden auf die Straße gehen oder nicht. Ich schließe mit einem Satz von Bert Brecht:  „Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!“

Uwe:

Ansage für das Schweigen

Uwe:

Günter Eich:

Wacht auf

Wacht auf,- denn eure Träume sind schlecht!
Bleibt wach,- weil das Entsetzlich näher kommt.
Auch zu dir kommt es, der weit entfernt wohnt
von den Stätten, wo Blut vergossen wird,
auch zu dir und deinem Nachmittagsschlaf,
worin du ungern gestört wirst.
Wenn es heute nicht kommt, kommt es morgen
aber sei gewiss.
(….)
Nein, schlaft nicht,
während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid misstrauisch gegen ihre Macht,
die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen.
Wacht darüber,
dass eure Herzen nicht leer sind,
wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird.
Tut das Unnütze,
singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem,
seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt.

1953

Uwe:

Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:

  • Es gibt hier bei uns noch Postkarten „Raus aus dem nuklearen Wahnsinn!“ an Bundeskanzler Scholz und an Außenministerin Baerbock sowie Briefe an die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht  gegen den Kauf neuer Atombomber.
  • Unsere nächste Mahnwache ist am kommenden Freitag, 23.12.22 um 18.00 Uhr wieder hier neben dem Mondscheinbrunnen bei der Stadtkirche.
  • Jetzt ist noch Zeit zum Austaus untereinander.

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