Mahnwache vom 17.02.2023

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Es folgen die Texte dieser Mahnwache.

Detlef:

Hallo zusammen, ich möchte Sie herzlich zu unserer 41. Mahnwache seit Beginn des Ukraine-Krieges begrüßen.

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht haben vor einer Woche einen Appell unter dem Titel „Manifest für Frieden“ gestartet, der innerhalb von einer Woche von bereits 500.000 Menschen unterzeichnet wurde. Für den 25.02.2023 rufen sie zu einer Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin auf. Es folgen die drei ersten Absätze und der letzte Absatz des Appells im Wortlaut:

Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine (10.2.2023). Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.

Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen. Im Ernst?

Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch „Bodentruppen“ senden. Doch wie viele „rote Linien“ wurden in den letzten Monaten schon überschritten?

Und jetzt der letzte Absatz:

Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.

Den großen Mainstream-Medien in Deutschland war wohl klar, dass dieser Aufruf der beiden auf große Resonanz stoßen würde. Konnte man kleinere Aktionen der Friedensbewegung noch mehr oder weniger totschweigen, so war das bei diesem Aufruf kaum möglich. Also griffen diese Medien zur Variante zwei: Man musste diesen Aufruf schnell in ein schlechtes Licht rücken.

Los ging es bereits am 12.02.2023 mit einem Kommentar von Jan Feddersen in der taz,der dort als „Redakteur für besondere Aufgaben“ bezeichnet wird. Hier zunächst die Überschrift und der erste Absatz dieses Kommentars:

Aufruf von Wagenknecht und Schwarzer

Ruiniertes Lebenswerk

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer haben ein „Manifest für den Frieden“ veröffentlicht. Sie entblößen sich damit als amoralisch.

Und hier der erste Absatz des Artikels:

Sie nennen es „Manifest für den Frieden“, diese beiden Frauen, und es handelt sich um exakt das Gegenteil: Es muss, aus jeder vernünftigen linken und emanzipatorischen Logik heraus, als „Manifest für die Unterwerfung“ bezeichnet werden, was die beiden Initiatorinnen Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer lanciert haben. Sich der Politik Wladimir Putins untertan machen, sagen sie mit Blick auf die militärisch gerade durch russische Militärs seit knapp einem Jahr in Verheerung gebrachte Ukraine.

Es tut mir leid, ich habe mir das gesamte Manifest der beiden daraufhin noch einmal angeschaut, ich kann darin nichts von dem erkennen, was Herr Feddersen da behauptet.

Bei den negativen Kommentaren über dieses Manifest wollte am 15.02.2023 Florian Harms von „t-online“ nicht nachstehen, sein Kommentar trägt die Überschrift: Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer: Das ist kaum noch zu ertragen.

Insgesamt wirkt dieser Kommentar etwas seriöser als der in der taz. Allerdings ist die höchst gefährliche Schlussfolgerung bei beiden dieselbe: Statt eines Waffenstillstandes und Friedensverhandlungen muss man Putin mit immer mehr Waffenlieferungen und militärischen Erfolgen zurückdrängen. Zur Gefahr eines Dritten Weltkrieges sagt man lieber gar nichts.

Kurzer Hinweis zu „t-online“. Bis vor kurzem war ich noch der Meinung, dass diese Online-Plattform von der Deutschen Telekom betrieben würde. Das ist aber seit 2015 nicht mehr so, sie gehört dem Vermarkter von Online- und Außenwerbung Ströer Media. Nach eigenen Angaben beschäftigt t-online 80 Redakteurinnen und Redakteure. Mittlerweile werden einem sogenannte „Nachrichten“ von „t-online“ sehr penetrant angeboten, sobald man nur sein Laptop einschaltet.

Es ist sicherlich nicht leicht, sich heute gerade zum Ukraine-Krieg eine eigene Meinung zu bilden. Ich habe mir angewöhnt, solchen Berichten zu misstrauen, die alleine die Politik Russlands kritisieren. Vieles an dieser Kritik mag auch richtig sein, vieles wird auch zu Recht verurteilt. Das rechtfertigt aber noch lange nicht, zu allen negativen Entwicklungen in der Ukraine zu schweigen. Stichworte: Offizielle Veranstaltungen in der Ukraine, bei denen der Nazi Bandera bejubelt wird; Soldaten, die auf ihrer Uniform Nazi-Symbole tragen (sicher nicht alle); Abschaffung von Russisch als Amtssprache in der gesamten Ukraine: Parteienverbote und Gleichschaltung der Medien. Sicher, vieles davon gibt es auch in Russland. Aber: Verurteilen sollte man das nicht nur in Russland, sondern auch in der Ukraine. Und man sollte endlich mit der Behauptung aufhören, dass man in der Ukraine für Demokratie kämpft.

In der einseitigen Sicht dieser Welt wollen viele unserer SpitzenpolitikerInnen nicht nachstehen. Da wird dann gerne der Imperialismus von Russland beklagt. Das klingt gut, man hofft so wohl auch auf Stimmen von eher links denkenden Menschen. Mein Problem dabei ist nur: Wenn man dann gleichzeitig nicht den Imperialismus der USA verurteilt, dann ist das einfach einseitig und unglaubwürdig.

Zum Schluss: Ich habe mir Mühe gegeben, sowohl die Sichtweise von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht als auch die Kritik daran darzustellen. Genauer können Sie das auch später in unserem Bericht auf unserer Web-Seite nachlesen, wo Sie die entsprechenden Links finden werden. Meine persönliche Hoffnung ist, dass dieser Appell noch von ganz vielen Menschen unterschrieben wird und auch, dass am 25.02.2023 viele Menschen bei der Kundgebung in Berlin dabei sein werden.

Uwe:

Ich möchte Sie jetzt wieder dazu einladen, fünf Minuten mit uns zu schweigen. Wir gedenken dabei der Opfer aller Kriege und Konflikte dieser Welt, seien sie ermordet, verwundet oder sich auf der Flucht befindlich. Wir gedenken all der Menschen, die sich aktiv gegen den Krieg einsetzen und dabei zum Teil ein hohes Risiko eingehen.

Wir gedenken der Opfer des schweren Erdbebens in Syrien und der Türkei. Wir gedenken auch der Menschen, die engagiert für den Erhalt unserer Erde aktiv sind.

Uwe:

Auf dem Weg zum Täter (Peter Bichsel)

Ich bin ein Opfer des Krieges, weil er mich verroht hat, weil meine Erschütterung gespielt ist und weil mein Entsetzen in mein politisches Konzept passt – und weil –  bitte nehmen Sie es mir nicht übel – er seinen Teil dazu beiträgt, dass ich meine persönliche Trauer nicht mehr ernst nehmen darf. Was sind meine persönlichen kleinen Traurigkeiten  – Schwierigkeiten mit meiner Partnerin zum Beispiel – gemessen an der Entsetzlichkeit des Krieges. Darf ich mich noch beklagen über Kopfschmerzen, wenn andere Hunger haben?

Ich weiß, das ist lächerlich, und ich stelle auch fest, dass meine Kopfschmerzen unwichtig sind.

Ich stelle auch fest, dass ich kein Recht auf Traurigkeit habe, wenn andere nicht an Traurigkeit, sondern an akuter Angst leiden.

Aber ich fürchte, wenn ich mit meiner eigenen Traurigkeit nicht mehr umgehen kann und darf, dann werde ich auch nicht mehr umgehen können mit der Traurigkeit der Welt. Der Krieg hat mich bereits erreicht, er ist dabei, meine Gefühle zu zerstören und meine Gefühle lächerlich zu machen. Der Krieg bahnt sich bereits einen Weg durch meine Seele. Ich bin ein Opfer des Krieges.

Denn der große Schrecken macht den kleinen Schrecken möglich, und der Schrecken macht meine persönliche Trauer lächerlich, und ohne meine persönliche Trauer bin ich entmenschlicht und befinde mich auf dem Weg zum Täter.

Der Schweizer Dichter und Schriftsteller Peter Bichsel hat diesen Text 1982 angesichts des im Libanon stattfindenden Bürgerkriegs geschrieben. –  Ich finde, dass er sehr gut zur dem Krieg in der Ukraine, sowie vielen anderen Kriegen auf dieser Welt passt ;- ich habe mir erlaubt, ihn an unwesentlichen Stellen zu ändern

Doris:

Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden.

  • Heute beginnt in München die sogenannte „Münchner Sicherheitskonferenz“. Sie ist das weltweit wichtigste Expertentreffen zur Verteidigungs- und Außenpolitik, an dem 40 Staatschefs und 90 Minister teilnehmen. Vertreter Russlands sind ausgeschlossen. Die Sicherheitskonferenz wird dieses Jahr, so steht es in der Zeitung, zur Kriegskonferenz. Parallel dazu sind verschiedene Protestaktionen der Friedensbewegung geplant, so z.B. eine Demonstration mit Menschenkette, Friedensgebete und ein Kulturprogramm. Nähere Informationen gibt es auf der homepage friedenskooperative.de Auch wenn wir nicht nach München fahren, ist es doch wichtig, diese Aktionen mit guten Gedanken zu begleiten.
  • Viele Friedensorganisationen rufen zum Jahrestag des russischen Angriffs zur Teilnahme am bundesweiten Aktionswochenende vom 24.-26. Februar auf. Das Motto lautet „Stoppt das Töten in der Ukraine – für Waffenstillstand und Verhandlungen!“. Im Terminkalender der Friedenskooperative sind allein für den 24.02. bereits über 60 Veranstaltungen aufgeführt, so auch in Tübingen, Karlruhe, Aalen, Stuttgart usw.
  • Von 13-13.30 Uhr findet nächsten Freitag am Stuttgarter Schlossplatz eine Mahn- und Protestaktion „Stoppt das Töten – Waffenstillstand und Verhandlungen jetzt!“ statt. Veranstalter sind „Die Anstifter“.
  • Eine zweite Protestaktion ist um 17.30 Uhr am Hospitalhof. Dort findet eine Veranstaltung mit Wolfgang Ischinger zur europäischen Sicherheitspolitik statt. Die DFG-VK ruft dazu auf, vor dem Hospitalhof ein Peace-Zeichen aus Kerzen zu stellen. Es wird auch Redebeiträge geben.
  • Von der Organisation „Ohne Rüstung Leben“ gibt es eine neue Briefaktion an Außenministerin Baerbock mit der Überschrift; „Wege zum Frieden aufzeigen“. Einige Exemplare liegen zum Mitnehmen und Abschicken in der Mitte bereit.
  • Auf unserer homepage friedensinitiative-schorndorf.de werden wieder dieTexte der heutigen Mahnwache sowie verschiedene links zu interessanten Redebeiträgen zum Nachlesen zu finden sein.
  • Unsere nächste Mahnwache findet am Freitag, 24.02.23 um 18.00 Uhr auf dem Mittleren Marktplatz statt. Man muss sich also entscheiden, ob man hier bleibt oder nach Stuttgart geht.
  • Jetzt ist noch Zeit zum Austausch untereinander. Wir wünschen Ihnen und euch einen guten Nachhauseweg.

One comment

  1. Lieber Detlef Beune, lieber Uwe, (liebe Doris),
    danke für eure zuverlässige kontinuierliche Organisation u inhaltl Vorbereitg der freitäglichen Mahnwachen! und wirklich gut, dass, was da jeweils vorgetragen wurde, nochmal nachgelesen u evtl weiter recherchiert werden kann.
    Neben dem in gehässiger Sprache als Rundumschlag verfassten Kommentar von Jan Feddersen aus der taz zum heiß diskutierten Manifest der Frauen Wagenknecht und Schwarzer habe ich einen für mich wohltuend positiv kritischen gefunden:

    https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/philosophin-fordert-einen-politisch-klugen-pazifismus-92087549.html

    Die Autorin lehrt Philosophische Anthropologie in München.
    Außerdem finde ich sehr lesenswert, was ein langjähriger UN-Diplomat zum geopolitischen Hintergrund des Kriegs in der Ukraine ausführt:

    https://michael-von-der-schulenburg.com/de/welche-chancen-fuer-frieden-gibt-es-in-der-ukraine/

    Zum Text von Bichsel: Für mich geht private Traurigkeit wegen Kopfschmerzen und höchste Erschrecken über Kriegsnachrichten und –bilder durchaus zusammen, es gibt da halt eine Relation. Und bis zu einem gewissen Grad kann ich entscheiden, welchen der beiden Schmerzen ich zeitweilig unterdrücken/verdrängen/verleugnen will oder muss, wenn das Zusammen nicht mehr aushaltbar ist….

    Soviel für heut, mit guten Wünschen für Zeit und Kraft zum Dranbleiben!
    Mona

    p.s. M. von Schulenburg wird im rahmen der online-veranstaltgsreihe des friedensnetzwerks
    am 22.2. von 19 -20 uhr einen vortrag halten (anmeldepflichtig)

    https://www.ippnw.de/aktiv-werden/termine/veranstaltungsreihe-ukrainekrieg.html

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