Mahnwache vom 18.11.2022

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Uwe:
Guten Abend. Mein Name ist Uwe Glund;- ich begrüße Sie im Namen der Friedensinitiative
Schorndorf zu unserer 30.Mahnwache gegen den Krieg.
Als wir uns am 25. Februar d.J. zu unserer ersten Mahnwache gegen den
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hier an dieser Stelle
zusammenfanden, haben wir uns nicht vorstellen können, dass dieser Krieg so lange,
nämlich nun schon ein dreiviertel Jahr, andauern würde. Obwohl es nach wie vor viele
kriegerische Auseinandersetzungen gibt, bei denen Menschen getötet, oder deren Hab und
Gut zerstört werden, finden die Kriegsereignisse in der Ukraine unsere besondere
Aufmerksamkeit. – Die Ukraine befindet sich mitten in Europa und damit uns sehr
naheliegend und uns unmittelbar betreffend. Und dass dieser Krieg brandgefährlich ist und
das Potential besitzt, einen dritten Weltkrieg auszulösen, haben die Ereignisse der letzten
Tage überdeutlich gezeigt und bewusst gemacht. Obwohl zunächst nicht klar war, wer die
Rakete abgeschossen hat, die in Ostpolen ca. 7 Kilometer von der Staatsgrenze zur Ukraine
entfernt, nieder ging und zu einer Explosion geführt hat, bei der 2 Zivilisten getötet wurden,
wurden russische Militärs verdächtigt, dafür verantwortlich zu sein. Z.B. titele das
Boulevardblatt Bildzeitung am Tag nach dem Vorfall: “Russland greift Polen mit Raketen
an!“. Erfreulich fand ich, dass sowohl der NATO Generalsekretär Stoltenberg, den ich
eigentlich als Scharfmacher in Erinnerung habe, wie auch der US-amerikanische Präsident
Biden, und auch die polnische Regierung dazu rieten, erst einmal die Ermittlungen
abzuwarten, mittels derer geklärt welchen soll, von welcher Seite die Rakete abgefeuert
worden ist. Glücklicherweise stellte sich relativ rasch heraus, dass diese Rakete von
ukrainischer Seite aus auf den Weg gebracht worden und außer Kontrolle geraten ist. Die
Regierung der Ukraine hat aber dennoch sofort nach dem Vorfall die NATO-Staaten
aufgefordert, eine Flugverbotszone über der Ukraine zu verhängen, wodurch, wenn dem
entsprochen worden wäre, die NATO Staaten zur offiziellen Kriegspartei geworden wären,
mit katastrophalen Folgen für Europa und große Teile dieser Welt.
Meiner Ansicht nach müssen alle politischen und diplomatischen Bemühungen dahin gehen,
diesen Krieg sofort zu beenden oder zumindest einen Waffenstillstand zu erreichen. Was von
machen Politikerinnen und Politikern immer wieder erklärt wird, diesen Krieg mit immer
mehr Waffen zu beenden, oder/und dass die Ukraine so unterstützt werden müsse, dass sie
diesen Krieg gewinne, halte ich angesichts der Entwicklungen der letzten Wochen für ein
Märchen. Zwar haben ukrainische Soldaten einige von den russischen Militärs besetzte
Gebiete zurückerobern können, gleichzeitig aber nicht verhindern können, dass die
Infrastruktur des Landes, wie E-Kraftwerke und Wasserwerke von russischer Seite aus
zerstört und unbrauchbar gemacht werden. Das Leid der Zivilbevölkerung wird damit bis zur
Belastungsgrenze erhöht.
Angesichts dieser Entwicklung liegt die Vermutung nahe, dass die neue Militärstrategie der
russischen Militärs darauf basiert, die ukrainische Bevölkerung durch die Zerstörung ihrer
Lebensgrundlagen zu zermürben und damit kriegsmüde zu machen.

Obwohl in der gegenwärtigen Situation die Rufe nach Verhandlungen vielfach als
Traumtänzerei und nutzlos bezeichnet werden, zeigen einzelne Ereignisse, dass dem nicht so
ist. In der letzten Woche wurde z.B. unter Vermittlung des türkischen Staatspräsidenten
Erdogan das zwischen der Ukraine und Russland beschlossene sog. Getreideabkommen um
einige Monate verlängert.
Auch wird immer wieder davon berichtet, dass die beiden gegeneinander kriegsführenden
Staaten den Austausch gefangengenommener Soldaten vereinbart haben. -Das sind zwar
nur winzige Lichtblicke, die aber immerhin zeigen, dass Verhandlungen, auch in Kriegszeiten,
möglich sind.

Es wird nun Eberhard Bolay zu uns sprechen

Eberhard Bolay:

Guten Abend. Mein Name ist Eberhard Bolay aus Schorndorf.
Vergangenen Freitag habe ich zufällig gehört, wie eine Frau die andere gefragt hat: „Warum
stehen wir hier? Es ist doch dunkel, kaum jemand kommt vorbei und niemand sieht uns.“
Ja, warum stehen wir hier? Ich nehme an, wir stehen hier, …
… weil wir alle gegen Kriege, insbesondere gegen diesen Krieg in der Ukraine sind.
… Wir wollen nicht, dass Menschen einander töten und Länder zerstören.
… Wir wollen, dass friedliche Mittel zur Konfliktlösung gesucht werden.
… Wir wollen, dass verhandelt wird. Diplomaten anstelle von Soldaten sollen sich um
Konflikte kümmern.
… Wir wollen eine neue Friedensordnung in Europa und der ganzen Welt, … denn Kriege
zerstören alles, selbst alle Bemühungen gegen die Klimakatastrophe. Kriege zerstören die
Menschlichkeit, Kultur und Natur, ja die ganze Welt.
Warum stehe ich hier?
… weil ich zu tiefst davon überzeugt bin, dass es ausgeschlossen ist, mit Gewalt und Waffen
wirklichen Frieden zu schaffen. Wer Gewalt sät, wird Gewalt ernten! Seit wir diese
Mahnwachen abhalten, stehe ich – wann immer ich kann – mit meinem Schild „FRIEDEN
SCHAFFEN – OHNE WAFFEN“ dabei.
Dies ist die Forderung der christlich-pazifistischen Organisation OHNE RÜSTUNG LEBEN.
Werner Dierlamm, unser Freund und Mitbewohner im Mühlbachhaus, hat im 2. Weltkrieg
seine Familie verloren. Durch schmerzliche Verlusterfahrungen wurde er zum konsequenten
Pazifisten … ein Vorbild. Er ist am 11. Juni 2021 mit 93 Jahren hier in Schorndorf verstorben.
Werner Dierlamm formulierte eine einfache und klare Selbstverpflichtung:
„Ich bin bereit, ohne den Schutz militärischer Rüstung zu leben. Ich will in unserem Staat
dafür eintreten, dass Frieden ohne Waffen politisch entwickelt wird.“
OHNE RÜSTUNG LEBEN setzt sich ein:
 * Rüstungsexporte zu stoppen
 * Atomwaffen zu ächten und
 * Frieden ohne Waffen zu entwickeln.
Krieg und Gewalt sollen als Mittel der Politik geächtet werden.

Diese Selbstverpflichtung von 1978 habe ich damals, also vor 44 Jahren, unterschrieben. Bis
heute sind es ca. 30.000 Unterschriften.
Deutschland ist weltweit die Nummer 1 in der Produktion und im Export von sog.
Kleinwaffen. Auch unsere schweren Waffen sind Exportschlager. Sie werden sogar an
autoritäre Staaten, wie Saudi Arabien geliefert. Saudi Arabien führt seit Jahren im Jemen
einen schmutzigen Krieg! Aufrüstung ist Wirtschaftsförderung … eines Wirtschaftszweiges,
den ich nicht will.
Wenn ich mich frage, warum ich hier stehe, so muss ich auch ein Gefühl der Hilflosigkeit
zugeben: Ich erlebe, wie andere daran arbeiten, meine Hoffnungen zu zerstören…
… das erlebe ich schmerzlich, … denn ich habe keine Lösungen und es gibt wohl auch keine
einfachen.
Da fällt mir ein, was die Theologin Dorothee Sölle einmal vor dem Tor in Mutlangen gesagt
hat. Sinngemäß zitiert:
„Man kann ja doch nichts machen, ist ein zu tiefst gottloser Satz, denn er nimmt uns alle
Hoffnung!“ Zitatende. Ja … und Hoffnung brauchen wir alle zum Überleben … auch
außerhalb der heißen Kriegsgebiete. Alles, was wir tun sind Kleinigkeiten, doch „Steter
Tropfen höhlt den Stein“. Auch kleine Tröpfchen können kühlen und manchmal sogar heiße
Steine sprengen!
Was haben wir getan:
Demonstriert, blockiert, Blockaden begleitet, Kunst und Kultur gegen Raketen,
Raketenverfolgungen, Gottesdienste, … Die Pershing-Raketen sind weg … naja, wir haben
mitgearbeitet. Schweigekreise, Friedensgebete, Friedenswochen, … Wir haben Flüchtlinge
begleitet, aufgenommen, Geld und Waren gespendet, … Wir machen Fairen Handel, denn
würdige Löhne für ehrenwerte Arbeit, für ein würdiges Leben sind Friedensarbeit und wirken
fluchtvermeidend. Menschen, die mit ihren Familien friedlich in Würde leben können,
müssen nicht fliehen.
Wir können nicht viel tun, aber, wir sollten das, was wir können und könnten auch tun …
doch alleine geht garnix … auch ein Grund warum wir gemeinsam hier stehen.
Was mich belastet ist das leider häufige Schwarz-Weiß-Denken: Hier die Guten, da die
Bösen.
 * Wir im Westen sind nicht die Guten, weil wir der Ukraine Waffen liefern.
 * Die Russen sind die Bösen, weil Putin und seine Armee die Ukraine überfallen.
   Das ist nicht mein Weltbild … mir fehlen Zwischentöne.
 * Wie gehen wir mit z.B. russischen Asylsuchenden, Wehrdienstverweigerern,
   Militärflüchtlingen um?
 * Wie gehen wir mit russischen Künstlern oder Partnerschaften mit russischen Städten
   um?
… und mir kommen noch weitere Fragen:
 * Ist der aktuelle Rückzug der russischen Armeen die Ruhe vor dem Sturm oder
   werden jetzt Verhandlungen möglich?
 * Was heißt das wenn Politiker sagen „Putin darf nicht siegen“?
 * Was bedeutet Russland muss unwiederbringlich beschädigt werden“?
 * Wohin führen diese Eskalationen? Bei Drohungen mit Nuklearschlägen sind wir
   bereits.
 * Wo bleibt eine Europäische Friedensordnung?
 * Ukrainer kämpfen. Deren Mut ist bewundernswert. Jedoch auch Ukrainer wollen
   wohl lieber in Frieden leben.
 * Ich bewundere die Menschen in Belarus, in Russland, in Iran … und wo auch immer …
   für deren Widerstand, insbesondere den gewaltlosen …
 * … und frage mich: was würde ich tun?
 * Ich bin dankbar, dass wir hier unter dem Schutz der Polizei mahnen dürfen.
 * 100 Milliarden für Aufrüstung! Das ist eine Eins mit 11 Nullen! 100 000 000 000
   Wenn ich es schaffen würde monatlich 1000 Euro zu sparen, dann müsste ich dafür etwa 10
   Million Jahre arbeiten
 * … oder 10 Millionen Menschen müssten ihre Sparvermögen für dieses
   Sondervermögen der Bundeswehr spenden.
 * Ist es nicht Unrecht, so viel Geld in Zerstörung und Tod zu investieren, wo doch so
   viel Gutes damit getan werden könnte?
  * Olaf Scholz hat in Scharm el Shech 170 Millionen für einen Klimaclub bereitgestellt,
   um Klimaschäden der ärmsten Länder zu mildern … und Frau Baerbock hat gestern noch 60
   Mio draufgelegt. 230 Mio reichen nicht einmal für die Schäden im Ahrtal. Man rechnet mit 3
   bis 4 Milliarden! 230 Mio sind etwa ein 500stel des Bundeswehrsondervermögens. Welche
   500 Staaten der Welt sollen noch die restlichen Millionen beitragen? Es gibt doch nur ca.
   180.
 * Das geniale Dezimalsystem ist schwer zu begreifen. …
 * Woher wissen wir, dass mit Putin überhaupt nicht verhandelt werden kann?
   Anfangs hat sogar die Ukraine Kompromissvorschläge vorgelegt. Warum sind diese vom
   Tisch?
 * Gibt es wirklich keine Hoffnung? Bei Verhandlungen kommt es immer zu
   Kompromissen! Welche sind noch möglich?
 * Wir wollen helfen, die Ukraine wieder aufzubauen. Klar, sie brauchen Strom, Wasser
   und Heizung … Jedoch braucht Wiederaufbau nicht erst Waffenstillstand, besser Frieden?
 * Was sind bei all dem die wirtschaftlichen Interessen?
 * Viele Fragen und nur leider wenig Antworten.

Dr. Eberhard Bolay, Bismarckstr. 11, 73614 Schorndorf

Doris:

Vielen Dank Eberhard Bolay für den sehr persönlichen und eindrücklichen Redebeitrag.
Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen. Wir denken an die Opfer des Krieges in der
Ukraine und an die Opfer der Kriege in anderen Ländern. An die Menschen, die im Krieg
verletzt wurden an Leib und Seele. An alle, die ihr Leben verloren haben, seien es Soldaten
oder Zivilisten. An alle, die ihre Heimat verlassen mussten. An die geschundene Natur, an die
zerstörte Kultur. An alle, die sich gegen den Krieg einsetzen. Mögen die Politiker auf beiden Seiten endlich zur politischen Vernunft zurückkehren und eine weitere Eskalation verhindern.

Doris:

Ich habe einen Text geschenkt bekommen , der von Dietrich Bonhoeffer stammt. Den
möchte ich jetzt vorlesen.

Optimismus, gerade in heutiger Zeit.
Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation,
sondern er ist eine Lebenskraft,
eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren.
Eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint.
Eine Kraft, Rückschläge zu ertragen.
Eine Kraft, welche die Zukunft niemals dem Gegner überlässt,
sondern sie für sich in Anspruch nimmt.
Es gibt gewiss auch einen dummen und feigen Optimismus, der verpönt werden muss.
Aber den Optimismus als Willen zur Zukunft soll niemand verächtlich machen.
Es gibt Menschen, die es für unernst, Christen, die es für unfromm halten,
auf eine bessere irdische Zukunft zu hoffen und sich auf sie vorzubereiten.
Sie glauben an das Chaos, die Unordnung,
die Katastrophe als den Sinn des gegenwärtigen Geschehens
und entziehen sich in Resignation oder frommer Weltflucht
der Verantwortung für das Weiterleben für die kommenden Geschlechter.
Mag sein, dass der jüngste Tag morgen anbricht.
Dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen.
Vorher aber nicht.

Doris:

Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:

  • Für morgen, Samstag, den 19. November 2022, ruft ein breites Bündnis verschiedener
    Friedensorganisationen zu bundesweiten Protesten auf. Das Motto lautet: „Stoppt das
    Töten in der Ukraine – Aufrüstung ist nicht die Lösung“. In 26 Städten wird es Aktionen
    geben. Die für Stuttgart vorgesehene Veranstaltung ist leider nicht zustande gekommen.
    Die am nächsten gelegene Veranstaltung ist in Tübingen, und zwar um 11.00 Uhr auf
    dem Marktplatz.
  • Am Montag, 21. November um 19.30 Uhr spricht Andreas Zumach in der Manufaktur
    Schorndorf. Das Thema lautet: „Trotz Ukrainekrieg – für eine ökologische, militärarme,
    sozial und global gerechte Zeitenwende“. Die Friedensinitiative Schorndorf und die
    Friedenswerkstatt Mutlangen laden als Mitveranstalter ein.
  • Unsere nächste Mahnwache ist am kommenden Freitag, 25.11.22 um 18.00 Uhr. Da auf dem
    Marktplatz dann bereits der Aufbau für den Weihnachtsmarkt beginnt, muss unsere
    Mahnwache ab nächsten Freitag verlegt werden. Sie findet in der Vorweihnachtszeit neben dem Mondscheinbrunnen bei der Stadtkirche statt. Bringen Sie gerne Plakate und Friedensfahnen mit, damit die Passanten erkennen, warum wir dort stehen.
  • Jetzt ist noch Zeit für Gespräche untereinander.

One comment

  1. Danke, dass ihr so regelmäßige Mahnwachen macht und gute Denkanstöße mit euren Reden gebt!
    Ab und zu komme ich aus Waiblingen dazu

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