Mahnwache vom 23.02.2024

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Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Es folgen die Beiträge dieser Mahnwache zum Nachlesen

Doris:

Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer heutigen Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Vielen Dank allen, die gekommen sind.

Morgen ist der 2. Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine. Kaum jemand hätte wahrscheinlich bei unserer 1. Mahnwache vor 2 Jahren gedacht, dass dieser Krieg so lange dauern würde und dass noch immer kein Ende in Sicht ist. Wenn man den Jahrestag eines schrecklichen Ereignisses begeht, sollte das eigentlich in der Form geschehen, dass man in Trauer all der Opfer gedenkt. Die Konsequenz daraus müsste sein, alles dafür zu tun, um künftige Opfer zu vermeiden. Was können wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen für eine bessere Zukunft? Was können wir anders machen, damit aus Krieg endlich Frieden wird? Das müssten die Hauptfragen sein, die sich die verantwortlichen Politiker stellen sollten. Wir alle wissen, dass die Realität leider anders aussieht.

Bei der kürzlich stattgefundenen Münchner Sicherheitskonferenz haben nahezu sämtliche Politiker die Sichtweise wiederholt, dass Russland die alleinige Verantwortung für diesen Krieg trage, dass Russland militärisch besiegt werden müsse und dass man infolge dessen der Ukraine weiterhin Waffen in noch größerer Anzahl und Schlagkraft als je zuvor liefern müsse. Die Konfrontation mit Russland hat inzwischen zudem zu einem gigantischen Aufrüstungsprogramm in Deutschland und zu einem weltweiten neuen Rüstungswettlauf geführt. Forderungen nach der sogenannten „Kriegstüchtigkeit“, nach einer „echten Zeitenwende“ und sogar nach deutschen Atomwaffen sind zu hören.

Diese Entwicklung macht mich traurig, wütend, hilflos und verzweifelt. Warum gibt es so wenig Widerspruch? Warum gibt es keinen lauten Aufschrei gegen all den Wahnsinn?

Warum nur scheinen die Politiker auf beiden Seiten nicht zu merken, dass dieser Weg die Menschheit immer näher an den Abgrund führt? Wo bleiben die mahnenden Stimmen, die zur Vernunft, zur Deeskalation und zur Mäßigung rufen? Gibt es denn keine Politiker mehr, die differenzierter denken als diejenigen, die die Welt in Gut und Böse einteilen? Politiker, die vorausschauen und an die Konsequenzen für die Zukunft denken? Es gab doch früher einmal Politiker, die sich dem Zeitgeist widersetzt haben und sich für Entspannung, Interessenausgleich, Verständigung, Annäherung, Abrüstung und Aussöhnung eingesetzt haben und damit auch große Fortschritte erzielt hatten. Nicht umsonst hat die Europäische Union einmal den Friedensnobelpreis erhalten.

Und: Wo bleibt der Aufschrei in der Bevölkerung? Anscheinend haben 68% ihre Zustimmung zu dem mehrere Hundert Milliarden schweren Aufrüstungsvorhaben geäußert. Ich kann das ehrlich gesagt kaum glauben. Ja, man hat die Bevölkerung seit Beginn des Ukrainekrieges gezielt in diese Richtung beeinflusst. Zunächst ging es um Nothilfe für die Opfer des Krieges, was ja wirklich ein Gebot der Menschlichkeit ist. Dazu kamen ganz schnell Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung, was für viele auch noch nachvollziehbar war. Dann sprach man von der Notwendigkeit, die russischen Truppen vollständig aus der Ukraine vertreiben zu müssen, wozu auch Angriffswaffen notwendig wären. Im letzten Sommer wurde das Bild vermittelt, ein Sieg der Ukraine stehe kurz bevor, wenn wir nur genügend Waffen lieferten. Seit dem Herbst war es klar, dass die Ukraine den erwarteten Durchbruch nicht erreicht hatte und vielleicht doch unterliegen könnte. Daran wären dann unsere nicht ausreichenden Waffenlieferungen Schuld. Inzwischen ist immer öfter zu hören, Russland würde womöglich auch andere Nato-Staaten militärisch angreifen. Das macht Angst. Aus dieser Angst heraus meinen viele Menschen, man müsse aufrüsten, um vor dieser Bedrohung sicher zu sein. Jeder, der nachdenkt und sich informiert, weiß jedoch, dass mehr Aufrüstung nicht mehr, sondern weniger Sicherheit bedeutet. Und dass immer weniger Geld bleibt für Soziales im Land, für die Bekämpfung des Hungers in der Welt und für die Bekämpfung des Klimawandels. Also für die Zukunft unserer Kinder, für die Zukunft unserer Welt.

Wo bleibt der Aufschrei der Pädagogen, Psychologen und Therapeuten? Sie alle wissen doch, dass man Konflikte nicht durch weitere Provokation des Gegners lösen kann, nicht durch Androhung oder Einsatz von mehr Gewalt. Es gibt so gute Programme zur Streitschlichtung, die in Schulen und anderswo erfolgreich eingesetzt werden. Sie wissen, dass man sich in den Gegner hineinversetzen muss und auch seine Interessen berücksichtigen muss, wenn man etwas erreichen will. Selbst wenn er noch so viel Schuld hat. Wie sollen unsere Kinder lernen, ohne Gewalt miteinander auszukommen, wenn in der Politik das Besiegen des Gegners die einzige Option ist?

Wo bleibt der Aufschrei der Wissenschaftler, der Musiker und Sportler? Früher war ihre grenzüberschreitende Zusammenarbeit bzw. ihr fairer Wettkampf ein wichtiger Beitrag zur Völkerverständigung und zum Frieden. Warum lassen sie sich dies alles aus der Hand nehmen?

Wo bleibt der Aufschrei der unabhängigen Medien, der Intellektuellen, der Kulturschaffenden, der Künstler und Schriftsteller? Heinrich Böll hatte einmal gesagt: „So lange noch ein Mensch auf der Erde verhungert, ist jede Waffe eine Gotteslästerung!“ Wie recht er doch hatte.

Ja, und wo bleibt der Aufschrei der Kirchen? „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“, war seit 1948 ein Minimalkonsens gewesen. Heute gibt es keine klare Positionierung gegen die Rechtfertigung von Krieg und militärischer Gewalt, gegen die Forderung der militärischen Vernichtung des Gegners, gegen den Einsatz der menschenrechtswidrigen Streumunition, gegen die Drohung mit völkerrechtlich verbotenen Atomwaffen. Immerhin hat sich der Friedensbeauftragte der EKD Friedrich Kramer kürzlich öffentlich gegen die Forderung nach deutscher „Kriegstüchtigkeit“ ausgesprochen.

Gut, dass die Friedensorganisationen nach wie vor ihre Stimme erheben gegen die Kriegslogik.

  • Ja, es gibt sie noch, die „Aktion Aufschrei“, die sich seit 2011 gegen deutsche Rüstungsexporte einsetzt. Sie will auch jetzt nicht tatenlos zusehen, sondern gibt den Opfern eine Stimme und den Tätern Name und Gesicht.
  • Die Organisation IPPNW fordert anlässlich des 2. Jahrestags von der Bundesregierung und der EU einen Strategiewechsel. Sie hat ein neues Papier herausgegeben, das einen Überblick gibt über bestehende Vorschläge und mögliche Schritte, den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie statt durch Waffen zu beenden.
  • Mitglieder der Organisation ICAN führten am vergangenen Montag im Deutschen Bundestag und im Auswärtigen Amt Gespräche über die deutsche Atompolitik. Sie forderten erneut den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag. Sie haben erreicht, dass zahlreiche Politiker sich gegen deutsche Atomwaffen positioniert haben. Sie sprachen auch mit Katharina Barley, die versicherte, dass sie weiterhin hinter ihrer Unterschrift der ICAN-Abgeordnetenerklärung stehe.
  • Das Netzwerk Friedenskooperative ruft für den 24.02. zu bundesweiten Aktionen auf. Am kommenden Wochenende wird es bundesweit in zahlreichen Städten Anti-Kriegs-Proteste geben. Es sind etwa 70 Aktionen angemeldet.

Diese Beispiele machen Mut. Wir sind nicht alleine. Es gibt Menschen, die mit uns auf dem Weg sind, die ihre Stimme gegen den Krieg erheben. In unserem Land gibt es das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das ist leider in vielen Ländern nicht der Fall. Wir wollen und sollten dieses Recht auch nutzen.  Wir sagen: es ist Zeit für eine diplomatische Initiative! Unsere Politiker müssen endlich wieder mit Putin, anstatt nur über ihn sprechen! Auch wenn er die größte Schuld an diesem Krieg hat: wir sind es den bisherigen Opfern schuldig, den Krieg endlich zu beenden und künftige Opfer zu vermeiden.

Doris:

Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen. Wir denken an die Opfer der Kriege in der Ukraine, in Israel und im Gazastreifen, und an die Opfer der Kriege in anderen Ländern, die oft vergessen werden. An die Menschen, die im Krieg verletzt wurden an Leib und Seele. An alle, die ihr Leben verloren haben, seien es Soldaten oder Zivilisten. An alle, die ihre Heimat verlassen mussten und auf der Flucht sind. An die geschundene Natur, an die zerstörte Kultur. An alle, die sich gegen den Krieg einsetzen. Mögen die Politiker auf allen Seiten endlich zur Vernunft kommen und eine weitere Eskalation verhindern.

Doris:

Ich lese ein Gedicht von  Bertolt Brecht:
An meine Landsleute
Ihr, die ihr überlebtet in gestorbenen Städten
Habt doch nun endlich mit euch selbst Erbarmen!
Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen
Als ob die alten nicht gelanget hätten:
Ich bitt euch, habet mit euch selbst Erbarmen!

Ihr Männer, greift zur Kelle, nicht zum Messer!
Ihr säßet unter Dächern schließlich jetzt
Hättet ihr auf das Messer nicht gesetzt
Und unter Dächern sitzt es sich doch besser.
Ich bitt euch, greift zur Kelle, nicht zum Messer!

Ihr Kinder, dass sie euch mit Krieg verschonen
Müsst ihr um Einsicht eure Eltern bitten.
Sagt laut, ihr wollt nicht in Ruinen wohnen
Und nicht das leiden, was sie selber litten:
Ihr Kinder, dass sie euch mit Krieg verschonen!

Ihr Mütter, da es euch anheimgegeben
Den Krieg zu dulden oder nicht zu dulden
Ich bitt euch, lasset eure Kinder leben!
Dass sie euch die Geburt und nicht den Tod dann schulden
Ihr Mütter, lasset eure Kinder leben!

Doris:

Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:

  • Heute um 19 Uhr, referiert Andreas Zumach in der Glockenkelter in Stetten zum Thema: „Gaza – keine Alternative zum Frieden“.
  • Morgen findet um 12.00 Uhr auf dem Schlossplatz in Stuttgart die Kundgebung „Stoppt das Töten in der Ukraine“statt. Wer daran teilnehmen möchte, trifft sich um 11.00 Uhr am Bahnhof zur gemeinsamen Fahrt mit dem MEX um 11.14 Uhr.
  • Ebenfalls morgen ist um 14.30 Uhr auf dem Marktplatz in Stuttgart eine Protestveranstaltung unter dem Motto „Rechte Welle brechen“ geplant. Mehr als 80 Organisationen haben dazu aufgerufen.
  • Am Dienstag, 27. Februar um 19.30 Uhr spricht Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung im Club Manufaktur zu dem Thema „Im Rüstungswahn. Deutschlands Zeitenwende: Aufrüstung, Militarisierung, Sozialabbau“. Zu dieser Veranstaltung laden ein: Der Club Manufaktur, die Friedensinitiative Schorndorf, der Weltladen El mundo und das Ökumenische Friedensgespräch.
  • Am Freitag, den 1. März findet um 19.00 Uhr im Martin-Luther-Haus eine Veranstaltung zum Weltgebetstag statt. Thema ist dieses Jahr die Situation in Palästina.
  • Unsere nächste Mahnwache ist am kommenden Freitag, den 1. März um 18.00 Uhr wieder hier vor dem Rathaus.
  • Jetzt ist noch Zeit zum Austausch untereinander.

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