Mahnwache vom 27.05.2022 der Friedensinitiative Schorndorf

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Doris:

Ich begrüße Sie zu unserer heutigen Mahnwache gegen den Krieg. Danke, dass Sie gekommen sind.

„Ja gibt es eure Mahnwache etwa immer noch? Was soll denn das bringen?“ So oder so ähnlich werden wir manchmal gefragt. Bestenfalls werden wir belächelt oder für etwas naiv gehalten. Schlimmstenfalls werden wir mit Vorwürfen konfrontiert. So schrieb mir z.B. eine mir bekannte Frau, die früher durchaus mit der Friedensbewegung sympathisierte, sie finde die Haltung der Friedensbewegung unerträglich.

Zu Beginn des Krieges in der Ukraine sind ja weltweit viele Menschen auf die Straße gegangen. Sie waren sich einig in der Ablehnung des russischen Angriffs und in der Solidarität mit der Ukraine. Inzwischen ist die Situation viel komplexer und unübersichtlicher geworden, und die meisten Leute bleiben zuhause. Gerade in einer komplexen Frage sollte es eigentlich in einer Demoratie möglich sein, über mögliche Antworten fair zu streiten, unterschiedliche Meinungen zu äußern und diese gegenseitig zu respektieren. Wir beobachten jedoch zunehmend, dass es seit der sogenannten „Zeitenwende“ nur noch eine richtige und ethisch zu vertretende Haltung zu geben scheint. Diese wird sowohl von den Politikern und den Medien, als auch von vielen Menschen in unserer persönlichen Umgebung vertreten. Alle abweichenden Meinungen werden als blauäugig, unsolidarisch oder unethisch bewertet. Skepsis, Zweifel und Bedenken sind unerwünscht.

Ich nenne einige der Dogmen, welche die anscheinend allein richtige Haltung repräsentieren:

  • Sie sagen: „Putin hat einen brutalen Angriffskrieg begonnen. Wir müssen der Ukraine mit möglichst vielen und möglichst schweren Waffen helfen, sich zu verteidigen“.

Ich frage mich: Haben die bisherigen Waffenlieferungen, welche in bisher nie dagewesenem Umfang stattfinden, wirklich dazu beigetragen, das Leid der ukrainischen Bevölkerung zu mindern und den Krieg schneller zu beenden?

  • Sie sagen: „Wir bewundern die Tapferkeit, die Opferbereitschaft und den Heldenmut der ukrainischen Bevölkerung“.

Ich frage mich: Wie kann es sein, dass der Militarismus in der Sprache so schnell wieder Fuß gefasst hat? Und: hilft das wirklich weiter?

  • Sie sagen: „Wie kann man angesichts der schrecklichen Bilder aus der Ukraine noch für Abrüstung sein! Und: Wir müssen noch mehr Waffen liefern, um unsere Solidarität mit den Opfern des Krieges unter Beweis zu stellen.“

Ich frage mich: Wie kann man angesichts der schrecklichen Bilder für weitere Aufrüstung sein? Haben wir aus den bisherigen Kriegen, z.B. in Afghanistan, wirklich etwas gelernt? Besteht nicht etwa die Gefahr, dass unsere Waffen in die falschen Hände fallen und somit zur Gefahr werden für diejenigen, die sie beschützen sollen? Haben wir nicht schon in anderen Konflikten beobachtet, dass Waffen sich unkontrolliert verbreiten und noch Jahre später für Probleme sorgen?

  • Sie sagen: „Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Wir müssen der Ukraine helfen, die russischen Truppen vollständig zu vertreiben“.

Ich frage mich: Warum nur ist das ursprüngliche Ziel, den Krieg möglichst bald zu beenden, so schnell dem neuen Ziel gewichen, die Ukraine müsse den Krieg gewinnen? Ist dieses Ziel wirklich reslistisch? Zu welchem Preis soll es erreicht werden? Wird Putin es dulden, militärisch zu verlieren, oder wird er nicht womöglich mit dem Einsatz von Atomwaffen reagieren?

  • Sie sagen: „Wir müssen Russland völlig isolieren und wirtschaftlich einen größtmöglichen Schaden zufügen, um den Krieg zu beenden. Daher sind weitere noch schärfere Sanktionen notwendig“.

Ich frage mich: Was haben die bisherigen Sanktionen bewirkt? Haben sie den Menschen in der Ukraine wirklich weiter geholfen? Haben sie nicht auch uns und weltweit großen wirtschaftlichen Schaden zugefügt?

  • Sie sagen: „Wir brauchen für die Zukunft eine völlig neue Außenpolitik, die auf einer glaubhaften militärischen Abschreckung, auch mit Atomwaffen, beruht. Für unsere Sicherheit müssen viele Milliarden Euro in Aufrüstug investiert werden.“

Ich frage mich: Führt diese Politik wirklich zu mehr Sicherheit? Werden die Risiken einer militärischen Eskalation und einer atomaren Katastrophe nicht einfach totgeschwiegen? Welche Folgen hat die gigantische Aufrüstung für das Klima und für die Millionen von hungernden Menschen auf der Welt? Wollen wir wirklich unsere ethischen Werte mit der Androhung eines unvorstellbaren Massenmords verteidigen?

  • Sie sagen: „Putin ist doch an allem Schuld. Er allein trägt die Verantwortung“.

Ich frage mich: Was hilft uns die Feststellung dieser Tatsache für die Zukunft? Bleibt uns wirklich keine andere Wahl, als auf Putins Drohungen mit noch mehr Drohungen zu reagieren? Wollen wir also das Gesetz des Handelns Putin überlassen?

Ich schließe mit einem Zitat von Bundeswehr-Brigadegeneral a.D. Erich Vad, einem langjährigen militärpolitischen Berater der Bundesregierung (keinem naiver Träumer aus der Friedensbewegung):

„Wir müssen den laufenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine vom Ende her denken. Wenn wir den Dritten Weltkrieg nicht wollen, müssen wir früher oder später aus dieser militärischen Eskalationslogik raus und Verhandlungen aufnehmen.“

So weit einer, der es eigentlich aus Erfahrung wissen kann.

Noch ein Letztes: Gott sei Dank leben wir hier in einer Demokratie. Da gibt es nicht nur das Recht, sich einzumischen, sondern auch die ethische Pflicht. Das ist meine Überzeugung.

Wir hören jetzt Mona Kirschner.

Mona Kirschner:

Vor fünfzig Jahren haben wir gesungen „We shall overcome“ und „Du, lass dich nicht verhärten“ und „…wann wird man je verstehn?“

Ich finde, dass die Lieder aus der damaligen Friedensbewegung ihren Sinn keineswegs verloren haben, auch wenn man sie heute auf den Straßen kaum mehr hört. Sie alle sind aus dem Hoffnungsimpuls entstanden, dass Frieden möglich sei.

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt der Volksmund. Ich möchte lieber sagen, sie sei ein Funke, der nie erlischt, auch wenn er vor Windstößen geschützt werden muss.

Fulbert Steffensky(wird nächstes Jahr 90J alt, da ist seine erste Frau D.Sölle schon 20J tot) fragt: „Wie lernt man hoffen? Im Augenblick (Vortrag Juli 2017) wird die Frage nach der Hoffnung an vielen Orten gestellt. Sie irritiert mich, denn sie wird oft lamentös und vor jedem Handeln gestellt. Erst will man in der Aussicht versichert sein, dass alles gut geht, allenfalls dann wird man handeln und seinen Teil zum guten Ausgang beitragen. Vielleicht sollten wir die Frage nach dem guten Ausgang vergessen, denn sie ist nicht beantwortbar. Vielleicht war die Geschichte mit dem Regenbogen nach der Sintflut, die die Bibel erzählt, doch anders gemeint. Es war wohl nicht der einfache Fortbestand der Welt gemeint, der Fortschritt und die Garantie des guten Ausgangs. Vielleicht heißt Hoffnung gar nicht der Glaube an den guten Ausgang der Welt und an die Vermeidung ihrer Zerstörung. Es garantiert uns keiner, dass das Leben auf der Erde in absehbarer Zeit nicht kollabiert, auch kein Regenbogen. Aber wir können tun, als hofften wir. Hoffen lernt man auch dadurch, dass man handelt, als sei Rettung möglich. Hoffnung garantiert keinen guten Ausgang der Dinge. Hoffen heißt darauf vertrauen, dass es sinnvoll ist, was wir tun.(Viele kennen das wörtlich fast gleiche statement des tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel) Hoffnung ist der Widerstand gegen Resignation, Mutlosigkeit und Zynismus.“

Zu den eingangs erwähnten Protestsongs gehört auch „Blowin‘ in the Wind“ von Bob Dylan, der für seine Poesie sogar den Literaturnobelpreis bekommen hat. Ich lese daraus die Zeilen, die sich auf den Krieg (damals den Vietnamkrieg), Diktatur und Rassismus beziehen.(s.songtext)

Bevor wir schweigen noch ein Text, der im Poetry Project mit geflüchteten Jugendlichen in Berlin 2015 entstanden ist. Geschrieben hat ihn Mohamad Mashghdost, Afghane aus Iran, 18 Jahre:

Meine Heimat habe ich verlassen,
mein Herz.
Jetzt ist es wie Schlaf und Traum
und brennt in der Tiefe meines Körpers.
Die weinende Mutter
hat mich fortgeschickt,
die Leiden sind zu Ende, sagte ich.
Ich packte und machte mich auf den Weg.
Leib und Seele überließ ich dem Ozean,
Gott, danke, ich existiere noch.
Gott möge das Meer verfluchen, das die Leiber verschlingt.
Das Gebet und die Liebe für die Schwester halfen mir, anzukommen.
Aber meine Augen haben die Farben des Unglücks gesehen.
Einführung ins Schweigen

Mustapha Samady ist ebenfalls aus Afghanistan geflohen, lebt als Dichter seit 2015 in Berlin, 30Jahre alt, bisher sind vier Gedichtbände von ihm auf dt erschienen:

Manche Dinge hängen zusammen, nah
wie der Eiffelturm mit Paris
Maradona mit Argentinien
Taliban mit Gewalt
wie ich mit dir
du mit mir
wir miteinander
Manche Dinge liegen weit auseinander, weit
wie Waffen von Frieden
Liebe von Talib*
ich von meiner Heimat
meine Heimat von Frieden
Manche Dinge sind von weitem nah
wie die Freiheit
die Freiheit
die Freiheit
die Freiheit
* Mitglied der islamistischen Miliz der Taliban

Uwe:

Ich möchte folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:

  • Zur Zeit findet ja in Stuttgart der Katholikentag statt. Morgen, am Samstag den 28. Mai ist um 14.00 Uhr im Haus der Wirtschaft eine Veranstaltung zum Thema „Verantwortung teilen, Sicherheit neu denken! Christliche Friedensethik trifft internationale Politik“.

Um 16.30 Uhr gibt es im Forum 3 eine Veranstaltung zum Thema:“G 36-Exporte nach Mexiko: der Zusammenhang von Waffenlieferungen und Menschenrechtsverbrechen“

  • Vom 21. -23. Juni wird in Wien die erste Vertragsstaatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag stattfinden. Deutschland wird mit einem Beobachterstatus vertreten sein. Teilnehmen werden auch verschiedene Friedensorganisationen, u.a. eine Delegation der Friedens- und Begegnungsstätte aus Mutlangen.
  • Die Organisation „Ohne Rüstung Leben“ hat eine neue Postkartenaktion an Frau Baerbock gestartet. Es geht um die neue nationale Sicherheitsstrategie, die zur Zeit erarbeitet wird. Die Aufforderung an Frau Baerbock lautet:“Machen Sie die nationale Sicherheitsstrategie zur Friedensstrategie!“ Bitte nehmen Sie Postkarten mit – auch gerne zum Weitergeben – und schicken Sie sie ab. Danke.
  • Unsere nächste Mahnwache ist heute in einer Woche, am Freitag, 03.06.22

Jetzt ist noch Zeit zum Austausch untereinander.

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