Mahnwache vom 06.10.2023

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Bild von Narcis Ciocan auf Pixabay

Es folgen die Beiträg dieser Mahnwache zum Nachlesen

Doris:
Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer Mahnwache gegen den Krieg. Vielen Dank allen, die gekommen sind.

Wir trauern um die über 50 Todesopfer des jüngsten russischen Angriffs auf ein Dorf in der Ostukraine. Dieses Kriegsverbrechen wird nun zum Anlass für weitere Kriegspropaganda genutzt. Dabei wären wir es den Opfern schuldig, alle Kraft für ein Ende des Krieges einzusetzen.

Gestern vor einer Woche war ich bei einem sehr beeindruckenden Vortrag des Fotoreporters Uli Reinhardt mit dem Thema „Reporterinnen und Reporter in Krisengebieten“. Seit ca. 40 Jahren begibt sich Reinhardt in Krisen- und Kriegsgebiete, um durch seine Fotoreportagen die Öffentlichkeit wachzurütteln. Die Fotos stammen aus Somalia, Kolumbien, Kambodscha, dem Kosovo und vielen anderen Ländern. Gezeigt wurde die hässliche Seite des Krieges, das Elend der Menschen vor Ort, die Auswirkungen der Kriege noch Jahrzehnte später. Keine leichte Kost. Er macht diese Arbeit nicht aus Voyeurismus, sondern um zu verhindern, dass die Wirklichkeit einfach ausgeblendet und verdrängt und vergessen werden kann. Kriege zerstören Menschenleben, Städte, Natur. Die Wunden verheilen auch nach Jahren nur oberflächlich. Wir alle wissen um die langjährigen Folgen von Napalm, Agent Orange, Streumunition, Uranmunition, Atombomben. Noch heute explodieren Minen im ehemaligen Jugoslawien, und nicht nur dort. Noch heute müssen immer wieder Fliegerbomben aus dem 2. Weltkrieg entschärft werden. 78 Jahre nach seinem Ende.

Die einzig logische Konsequenz aus all dem ist es doch, dass alles Menschenmögliche getan werden muss, um Kriege zu verhindern, Kriege zu beenden, die Waffenarsenale abzurüsten. Eine gewisse Zeit lang schien es auch, dass die Menschheit dies begreifen könnte. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ verkündete der Weltkirchenrat schon 1948 in Amsterdam. „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen“ war sogar einmal ein Slogan der CDU. Abschaffung der Atomwaffen nannten einige Parteien vor der letzten Bundestagswahl als ihr Ziel.

Und heute? Die Kirchen schaffen es nicht, Haltung zu zeigen. Selbst das sogenannte Friedenspfarramt spricht sich für Waffenlieferungen aus. Die Parteien sind sich einig: wir müssen ein gigantisches Aufrüstungsprogramm betreiben. Wir müssen die Ukraine mit immer mehr und immer aggressiveren Waffen bis zum Sieg über Russland unterstützen, weil ja dort auch unsere Freiheit, unsere Demokratie und unsere Werte verteidigt werden. Ich kann es einfach nicht fassen, dass die Politiker jetzt so denken und dass die Menschen sich von solchen Sätzen überzeugen lassen. Wie kann man denn mit einem Krieg unsere Werte verteidigen? Mit Atomwaffen, den schmutzigsten aller Waffen, unsere Freiheit sichern?

Schon immer wurden Kriege schöngeredet. Man hat ja noch niemals gesagt: Wir wollen unser Nachbarland überfallen, um uns Gebiete und Bodenschätze anzueignen, um uns strategische Vorteile zu verschaffen. Man nannte den Krieg „Militärintervention“ und sprach von ehrenwerten Zielen wie der Befreiung von unterdrückten Menschen, dem Kampf gegen Terroristen, der Wiederherstellung des Rechts. Wir alle wissen, dass weder in Afghanistan noch in Libyen, im Irak usw. diese Ziele erreicht worden sind. Im Gegenteil.

Heute will man uns glauben machen, dass es keine Alternative zur Fortführung des Krieges in der Ukraine gibt. Jeder anständige Mensch muss das einsehen. Heldentum und Tapferkeit sind wieder ganz normale Begriffe geworden. Wir haben anscheinend bisher in einer sogenannten „Komfortzone“ gelebt und sollen uns nun daran gewöhnen, dass Bundeswehrsoldaten in Zukunft wieder ihr Leben verlieren, dass Krieg etwas ist, was auch uns treffen kann.

Am vergangenen Dienstag wurde bundesweit mit vielen Veranstaltungen der Tag der deutschen Einheit gefeiert. Auch bei diesen Feiern wurden viel markige Sätze gesprochen, anstatt mit Demut auf die Geschichte zurückzublicken. Wenig war davon zu hören, dass wir dem Russen Michael Gorbatschow die deutsche Einheit verdanken, und dass einige deutsche Politiker durch ihre Entspannungspolitik manches erreicht hatten.

Bundesaußenminister Genscher sagte am 31. Januar 1990 in einer großen Rede zur Zukunft der beiden Deutschlands in der Evangelischen Akademie Tutzing: „Sache der NATO ist es, eindeutig zu erklären: Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des NATO-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben. […] Der Westen muss auch der Einsicht Rechnung tragen, dass der Wandel in Osteuropa und der deutsche Vereinigungsprozess nicht zu einer Beeinträchtigung der sowjetischen Sicherheitsinteressen führen dürfen.“
Diese Zusage war Grundlage für den Zwei-plus-vier-Vertrag, der am 12.09.1990 in Moskau abgeschlossen wurde. Die hier Anwesenden wissen sicher über den Vertrag Bescheid. Aber ich denke, dass viele Bundesbürgerinnen und Bundesbürger nicht viel damit anfangen können. Ich habe mir den Vertrag nochmals angeschaut. Die „2“ steht ja für die zwei deutschen Staaten, die BRD und die DDR. Die „4“ steht für die vier Besatzungsmächte Großbritannien, Frankreich, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion. Der Geist des Vertrages zeugt von einem Aufbruch in eine neue Zeit. Ich möchte daher bewusst einige Sätze daraus wörtlich vorlesen.

In der Präambel heißt es u.a.:

…der folgender Vertrag wird unter den 6 Staaten geschlossen…
IN DEM BEWUSSTSEIN, dass ihre Völker seit 1945 miteinander in Frieden leben,
ENTSCHLOSSEN, in Übereinstimmung mit ihren Verpflichtungen aus der Charta der Vereinten Nationen freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen,
ENTSCHLOSSEN, die Sicherheitsinteressen eines jeden zu berücksichtigen,
ÜBERZEUGT von der Notwendigkeit, Gegensätze endgültig zu überwinden und die Zusammenarbeit in Europa fortzuentwickeln,
IN BEKRÄFTIGUNG ihrer Bereitschaft, die Sicherheit zu stärken, insbesondere durch wirksame Maßnahmen zur Rüstungskontrolle, Abrüstung und Vertrauensbildung; ihrer Bereitschaft, sich gegenseitig nicht als Gegner zu betrachten, sondern auf ein Verhältnis des Vertrauens und der Zusammenarbeit hinzuarbeiten,…

Ich lese aus Artikel 2:

Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihre Erklärungen, dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.

Aus Artikel 3:

Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihren Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen. Sie erklären, dass auch das vereinte Deutschland sich an diese Verpflichtungen halten wird….Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich, die Streitkräfte des vereinten Deutschland innerhalb von drei bis vier Jahren auf eine Personalstärke von 370 000 Mann zu reduzieren….Die Bundesregierung sieht in ihrer Verpflichtung zur Reduzierung von Land- und Luftstreitkräften einen bedeutsamen deutschen Beitrag zur Reduzierung der konventionellen Streitkräfte in Europa…

Solche Sätze stehen im Zwei-plus-vier-Vertrag, der ja auch heute noch Gültigkeit hat. Wenn ich diese Sätze lese und mit der Gegenwart vergleiche, werde ich sehr traurig. Was für eine Chance steckte damals in dem neuen Anfang! Man hatte den Eindruck, Deutschland habe aus seiner Geschichte gelernt. Heute kündigt unsere Außenministerin Baerbock vollmundig eine EU an, die sich „von Lissabon bis Luhansk“ ausdehnt. Das weckt bei mir die Assoziation: „Von der Maas bis an die Memel…“ Welch ein Kontrast zum Geist des Vertrages.
Es bleibt uns nur: wir müssen weiterhin dagegen halten, mahnen, uns zur Wehr setzen, nicht resignieren, aufstehen für den Frieden.

Uwe:

Wir laden Sie/euch nun wieder dazu ein, fünf Minuten mit uns zu schweigen.
Wir gedenken dabei all der Opfer der gegenwärtigen weltweit stattfindenden Kriege, seien sie ermordet worden, seien sie auf der Flucht vor Mord und Totschlag. Wir gedenken der vielen tausend Menschen aus Berg-Karabach, die sich nach der Eroberung ihrer Heimat durch aserbaidschanische Militärs gezwungen sehen nach Armenien zu fliehen.
Wir gedenken der geschundenen Natur und all der Menschen, die sich weltweit für den Erhalt dieser Erde und gegen Kriege einsetzen.

Uwe:

Rose Ausländer: Am Ende der Zeit

Am Ende der Zeit
Wenn der Krieg beendet ist
am Ende der Zeit
gehen wir wieder spazieren
in der Muschelallee
einverstanden
mit Mensch und Mensch
Es wird schön sein
wenn es sein wird
am Ende der Zeit

Bevor wir unsere heutige Mahnwache gegen den Krieg beenden, nun noch ein Hinweise auf eine Veranstaltung:

  • Am 26.10. , um 10.30h liest und spricht Meron Mendel, Vorsitzender der Anne Frank Stiftung zu Thema: „Über Israel reden- eine deutsche Debatte“
  • Unsere nächste Mahnwache gegen den Krieg findet heute in einer Woche, am Freitag, 13.10.23, wie immer, um 18h, hier vor dem Rathaus, statt.

Wir wünschen Ihnen einen gute Nachhauseweg und ein schönes Wochenende, und;- vielen Dank, dass Sie heute an unserer Mahnwache teilgenommen haben.

One comment

  1. Vielen Dank für diesen informativen Beitrag!
    Vielen Dank dafür, dass hier der – so dringend nötige – andere Blick auf die Zusammenhänge gefördert wird.
    So wird deutlich, dass der „böse Putin“ womöglich nur aus berechtigten Sicherheitsinteressen direkt vor seiner Landesgrenze militärisch agiert.

    Es erschreckt mich immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit und emotionalen Intensität Präsident Putin von sonst sehr zivilisierten und toleranten Menschen als Unmensch bezeichnet wird, den sie lieber tot als lebendig sähen.

    Die in Althütte geborene Politikerin Anna Haag ging nur deshalb der NS-Propaganda im 2. Weltkrieg nicht auf den Leim, weil sie ständig den „Feindsender“ BBC hörte.
    Das hätte sie damals den Kopf kosten können.

    Unser aktueller Feindsender ist „RT Deutsch“ („Russia Today“).

    Von der EU seit März 2022 verboten (auch wenn Juristen das als rechtswidrig bezeichnen, weil Meinungsfreiheit auch in Krisenzeiten gelten müsse).
    https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/russia-today-verbot-der-eu-zulaessig-oder-nicht-kompetenzueberschreitung/

    Über den Messengerdienst „telegram“ ist RT noch erreichbar.
    Und:
    Es droht keine Todesstrafe, wenn man sich dort informiert.

    Thomas Röpers Anti-Spiegel ist sogar problemlos im Netz zu finden.
    https://www.anti-spiegel.ru/2023/mal-was-anderes-ein-interview-mit-mir-ueber-privates/

    Natürlich betreiben auch diese – mehr oder weniger bewusst – Propaganda.
    Genauso wie die BBC damals.
    Wichtig ist nur, dass man dort aber auch das erfährt, was hiesige Medien uns verschweigen.
    Und darauf kommt es an.

    Gabriela Uhde

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