Mahnwache vom 25.10.2024

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Es folgen die Beiträge dieser Mahnwache zum Nachlesen.

 Doris:

Guten Abend. Ich begrüße Sie und euch im Namen der Friedensinitiative Schorndorf zu unserer heutigen Mahnwache gegen den Krieg und für den Frieden. Vielen Dank allen, die gekommen sind. Vielen Dank an Mona, die den heutigen Redebeitrag halten wird. Ich gebe ihr jetzt gleich das Mikrofon.

Mona:

Den nach seinem Stifter benannten Nobelpreis gibt es zu gleichen Teilen (jeweils fast 100.000 € ) in 5 Disziplinen: Chemie, Physik, Physiologie oder Medizin, Literatur und für Friedensbemühungen. Erstmalig verliehen wurde er 1901, fünf Jahre nach dem Tod des Stifters, seither mit einigen Ausnahmen jährlich für „diejenigen…die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben.“ Und im Fall der Friedensbemühungen „…an denjenigen, der am meisten oder am besten für die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt hat.“ (Wortlaut aus dem Testament A.Nobels vom Nov. 1895).

Warum der Anteil an für den Frieden engagierten ausgezeichneten Frauen vergleichsweise höher ist als in den übrigen Kategorien mag daran liegen, dass viele Frauen ihre primäre Aufgabe darin sehen, das Leben zu schützen und zu erhalten, während überwiegend Männer den sog. Dienst an der Waffe tun, freiwillig oder gezwungen. Es war vermutlich auch eine Frau, die den Industriellen Alfred Nobel zur Gründung seiner Stiftung angeregt hat: Bertha von Suttner, Pazifistin, Friedensforscherin und Schriftstellerin. Sie bekam 1905 selbst den Friedensnobelpreis als erste Frau. Schon vor 120 (!) Jahren machte sie auf die Interessen der Rüstungsindustrie und die Gefahr eines internationalen Vernichtungskriegs aufmerksam. In zahlreichen Städten in Österreich und Deutschland tragen Plätze, Straßen, v.a. Schulen ihren Namen. Auch eine private Uni in Niederösterreich (die einzige nach einer Frau benannte im deutschsprachigen Raum) und weitere humanistische Institutionen setzen unter ihrem Namen ihr geistiges Erbe fort. Es gibt (bzw. gab) Briefmarken mit ihrem Porträt, Banknoten und Münzen zu ihrem Gedenken, einen Film und mehrere TV-Produktionen zu ihrem Leben, zwei Chorwerke und ein Theaterstück, das erst kürzlich uraufgeführt wurde. „Die Waffen nieder!“, Titel ihres bekanntesten Werks und bis heute auf Bannern bei Demos zu lesen, werden als ihre letzten Worte überliefert, bekräftigt durch „….sag‘s vielen ….vielen.“

Bis 1990 wurde für die Verleihung des Friedensnobelpreises keine offizielle Begründung genannt. Henri Dunant, Gründer des IKRK (Internationales Komitee vom Roten Kreuz) war der erste Preisträger, das Komitee dann insgesamt noch dreimal.  Das UNHCR (UN-Flüchtlingskommissariat) bekam den Preis zweimal. UNICEF (Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen), Amnesty International und Ärzte ohne Grenzen und die EU waren ebenfalls Preisträger. An einzelnen Personen wären zu erinnern: Albert Schweitzer, Martin Luther King, Mutter Teresa, Willy Brandt, der Dalai Lama, Michail Gorbatschow, Nelson Mandela und Mahatma Gandhi, der fünf Mal nominiert war und den Preis tragischer Weise nicht bekam. Seine Gutachter waren einmal nicht hundertprozentig von seiner Friedfertigkeit überzeugt, ein andermal gab es politische Bedenken und zuletzt verhinderte seine Ermordung kurz vor Ablauf einer bestimmten Frist die Auszeichnung, die laut Vorschrift nicht posthum vergeben werden durfte.

Es hat auch Friedensnobelpreise gegeben, die sich im Nachhinein als fragwürdig herausstellen sollten, z.B. für Henry Kissinger, Jassir Arafat, Barack Obama.                                                           Und, was man nicht glauben will: es gab auch die ernsthaften Nominierungen Adolf Hitler (1939) sowie Josef Stalin (1945 und 1947) !!

Während der Friedensnobelpreis auch für den Einsatz gegen Hunger, gegen Rassismus, für Menschenrechte, für Klimaschutz und für Flüchtlingshilfe vergeben wurde, bekamen ihn bisher insgesamt 3 weitere Organisationen sowie 3 Einzelpersonen zuerkannt, die sich ausdrücklich gegen die militärische Nutzung von Atomkraft wenden. Das waren die IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung eines Atomkriegs, 1985, von D kritisiert wegen „Moskau-Nähe“), die IAEO (Internationale Atomenergie – Organisation, 2005 für nukleare Sicherheit und Sicherung, D Mitglied seit Gründung 1957) und die ICAN (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, 2017) sowie die OPCW (Organisation für das Verbot chemischer Waffen, 2013).

Ein ehemaliger japanischer Ministerpräsident, Eisaku Sato, erhielt den Preis 1974 für sein Engagement gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen und Japans Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag. Linus Pauling, US-amerikanischer Chemiker mit Dutzenden Ehrendoktoraten und Auszeichnungen als Wissenschaftler, setzte sich für die Beendigung von Atomwaffentests ein, weil in der Folge durch radioaktiven Niederschlag immense Schädigungen von Mensch und Umwelt sichtbar wurden. Dafür wurde auch er (nachdem er schon den Nobelpreis für Chemie erhalten hatte) mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, 1962. Fehlt noch der polnische Physiker Józef Rotblat. Noch bis 1943 hatte er am Projekt der ersten Atombombe mitgearbeitet, verließ es aber wegen ethischer Bedenken. Nach den Katastrophen von Hiroshima und Nagasaki wurde er zum erklärten Gegner der atomaren Aufrüstung und kämpfte lebenslang für die Abschaffung aller Atomwaffen. Er erhielt den Preis 1995, stellvertretend für eine regelmäßige Konferenzreihe (Pugwash Conferences on Science and World Affairs) von Wissenschaftlern in einem Fischerdorf in Kanada. Sie hatten sich zur Aufgabe gemacht, aufzuklären über Gefahren der atomaren Bedrohung und Fragen der globalen Sicherheit. Erstmalig fand sie statt 1957 unter Führung von Albert Einstein und Bertrand Russell als Antwort auf deren Manifest von 1955(!!), unterschrieben von 10 namhaften Wissenschaftlern (im Wortlaut nachzulesen im Internet)

In diesem Jahr ging der Preis an Nihon Hidankyo, eine japanische NGO, gegründet vor knapp 70 Jahren von einem Mann (Senji Yamaguchi, gest. 2013), der als 14jähriger Junge in der Waffenproduktion beim Unternehmen Mitsubishi gearbeitet hatte. Nach dem Atombombenabwurf überlebte er mit schwersten Verbrennungen und entstelltem Gesicht. (Sein Foto wurde durch einen japanischen Fotokünstler bekannt). Die Organisation war bereits vor 20Jahren für den Nobelpreis nominiert. Sie setzt sich ein für die Ächtung und Vernichtung aller Atomwaffen. Sie fordert eine Entschädigung der Opfer sowie sicheren Schutz und Unterstützung der Hibakusha (überlebende Atombombenopfer), von denen allein in Japan heute noch mehr als 100.000 Menschen in einem Durchschnittsalter von 85 J. leben, wegen Diskriminierung oft zurückgezogen.

Soweit ein paar lexikalische Daten zum Atomzeitalter. Und jetzt? — Das Stichwort Atomwaffen ist bei mir verknüpft mit dem Foto vom Stahlkuppelskelett in Hiroshima und mit dem von einem Atompilz in der Wüste mit Zuschauermenge im Vordergrund, die die Sensation des Tests verfolgt. Man wollte schließlich wissen, ob die Berechnungen, aus welcher Abwurfhöhe wie viel Zerstörung möglich wäre, aufgehen. Mir fallen auch die Namen der Bomben ein, die Gottweißwer ihnen gegeben hat: „Little Boy“(16kt) und „Fat Man“ (21kt). Als handle es sich um Playmobil- oder Comicfiguren (s. auch postapokalyptisches Computerspiel + TV-Serie „Fallout“). Die Namen der jeweiligen Bombenschützen habe ich bis jetzt nicht ausfindig machen können. Vermutlich müssen die – wie auch viele andere Fakten in diesem Zusammenhang – geheimgehalten werden. Aber dass der Pilot (Paul Tibbets) , der den Einsatz über Hiroshima flog, seiner Maschine den Namen seiner Mutter gegeben hatte (Enola Gay), ist vielleicht nicht nur für mich bemerkenswert…ebenso, dass er verfügt hat, die Asche seiner Leiche (2007) über dem Ärmelkanal verstreuen zu lassen.

Bei aller Unsäglichkeit gibt es Berichte von Hibakusha über das Grauen, und damit zurück zum diesjährigen Friedensnobelpreis. Man findet sie unter verschiedenen Überschriften und Querverweisen z.B. in der deutschen digitalen Bibliothek. Und es gibt das Friedensmuseum von Hiroshima, das der englische Journalist Fred Pearce für seine ausgiebigen Recherchen besucht hat. „Mit ergreifender Sorgfalt“ schreibt er „geben die Kuratoren…die Identität jedes Opfers an, dessen persönliche Dinge dort ausgestellt sind.“ Er nennt z.B. die Schuluniform-Bluse der Schwester eines seiner Gesprächspartner, die bei der Arbeit verglühte. „Er hatte geweint“ schreibt der Journalist weiter „als er erzählte, wie er die Bluse nach dem Tod seiner 87jährigen Mutter sorgfältig gefaltet hinten in einer Schublade gefunden hatte. Ihr ganzes Leben lang habe die Mutter sich geweigert, über die Katastrophe zu sprechen….“ Die Bluse sei das einzige gewesen, was ihr von ihrer Tochter geblieben sei.—— Objekte aus einem anderen Szenario: eine geschmolzene Lunchbox und eine Pfeife aus Elfenbein, die eine Frau (Tsuneyo Okahara) direkt nach der Explosion der Bombe in verzweifelter Suche nach Überresten ihres 48 Jahre alten Mannes fand, auf einem Schreibtisch im Bürogebäude, in dem er gearbeitet hatte.

Die ICAN gibt als Zahl für derzeit international vorhandenen Atomwaffen ca. 12.500 an, davon mehr als 3.800 sofort einsetzbare Sprengköpfe, die den Planeten mehr als 1mal zerstören könnten. —– „Nun Herr, wes soll ich mich trösten?“ singe ich mit dem Psalmisten in der Schorndorfer Kantorei, kann aber als nicht wirklich Gläubige nicht auf die Hilfe des Herrn hoffen. Ich kann aber mit Vaclav Havel‘s Maxime hoffen, dass die Mahnwache Sinn hat, egal wie sie ausgeht. Und Willy Brandt das Schlusswort geben aus seiner Nobelpreisrede von 1971: „Mir ist nicht nach dem lauten Appell zumute….Aber diese Bitte kommt mir aus dem Herzen: Alle, die Macht haben, Krieg zu führen, möchten der Vernunft mächtig sein und Frieden halten.“

Literatur: Fred Pearce, Fallout, München 2019                                               © Mona Kirschner
Deutsches Ärzteblatt, PP22, August 23, Berlin
Internetportal Atomwaffen A-Z + verschiedene andere zum Themenkreis

Doris:

Wir werden jetzt wieder 5 Minuten schweigen. Wir denken an die Opfer der Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, und an die Opfer der Kriege in anderen Ländern, die oft vergessen werden. An die Menschen, die im Krieg verletzt wurden an Leib und Seele. An alle, die ihr Leben verloren haben, seien es Soldaten oder Zivilisten. An alle, die ihre Heimat verlassen mussten und auf der Flucht sind. An die geschundene Natur, an die zerstörte Kultur. An alle, die sich gegen den Krieg einsetzen. Mögen die Politiker auf allen Seiten endlich zur Vernunft kommen und eine weitere Eskalation verhindern.

Doris:

Ich lese ein Gedicht von Ingeborg Bachmann:

Nach dieser Sintflut
möchte ich die Taube,
und nichts als die Taube,
noch einmal gerettet sehn.

Ich ginge ja unter in diesem Meer!
flög‘ sie nicht aus,
brächte sie nicht
in letzter Stunde das Blatt.

Doris:

Ich möchte noch folgendes ansagen, bevor wir unsere Mahnwache beenden:

  • Wer sich in nächster Zeit an der Friedensbanner-Aktion auf dem Wochenmarkt beteiligen möchte, kann sich gerne in diese Liste eintragen. Oder bei Doris und Uli Kommerell anrufen (Tel.: 65700, steht im Telefonbuch)
  • am Montag, den 04.11. trifft sich wieder die Ökumenische Friedensgruppe der Stadtkirchengemeinde um 18.00 Uhr im Martin-Luther-Haus. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.
  • Am Donnerstag den 07.11. zeigt die Ökumenische Friedensgruppe um 19.30 Uhr im Marti-Luther-Haus das Video „Der lange Weg zum Krieg“. Es handelt sich um ein Interview mit Günter Verheugen und Petra Erler über die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs. Anschließend wird ein offenes Gespräch darüber stattfinden.
  • Unsere nächste Mahnwache ist wegen des Feiertags erst heute in zwei Wochen, am Freitag den 8.11. um 18.00 Uhr, wieder hier auf dem Marktplatz.

2 comments

  1. Stellt sich die Welt zu einem neuen Verteilungskampf auf? Gründe sind da: Der USA geht es um die Verteidigung ihrer Führungsrolle; die Brics-Staaten wollen ihren Anteil; arabische Staaten drängen auf die Bühne. Es sind noch Nachwirkungen des westlichen Kolonialismus. Hinzu könnte noch kommen: Die ökologische Krise setzt neue Maßstäbe großregionaler Gefährdungen. Manche reden von „Menschheit“. Wo ist die realpolitisch zu finden?
    Keine Hoffnung mehr? Doch, in allen, die sich für Frieden engagieren. Die Ökobewegung hat schon viel Globalisierung geschafft. Der Friedensbewegung sollte das auch gelingen können. Vielleicht fehlt noch eine kritische Masse. Es mag noch dauern, ausgeschlossen ist es nicht.

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